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Buchbesprechung: Lauren Oliver „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“

Cover Lauren OliverLesealter 14+(Carlsen-Verlag 2010, 445 Seiten)

Das ist nicht nur ein Titel, der mal wieder den Rahmen sprengt, sondern zugleich auch noch einer, der neugierig macht. Da klingt der englische Originaltitel von Lauren Olivers Buch doch vergleichsweise harmlos: „Before I Fall“.

Lauren Oliver ist eine noch relativ junge Autorin, die in Brooklyn (New York) lebt, und „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ ist das erste Buch, das sie veröffentlicht hat.

Inhalt:

Der 12. Februar ist ein ganz besonderer Tag: der Valentinstag. An ihm schenken die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig immer Rosen mit kleinen Nachrichten. Sam ist deswegen auch schon ganz aufgeregt, als sie – wie jeden Tag – mit ihren Freundinnen Lindsay, Ally und Elody zur Schule fährt. Ein besonderer Tag soll der 12. Februar außerdem werden, weil Sam und ihr Freund Rob sich vorgenommen haben, das erste Mal miteinander zu schlafen, denn Robs Eltern sind übers Wochenende verreist. Doch bis zum Abend dauert es noch ein wenig.

Zunächst einmal werden in der Schule die Rosen verteilt. Wie viele man davon bekommt, ist immer ein Gradmesser dafür, wie beliebt man ist. Sam wird gut bedacht, ist jedoch mit dem etwas harmlosen „Ich hab dich lieb“, das auf dem Zettel von Robs Rose steht, nicht ganz zufrieden. Doch ansonsten ist die Stimmung gut: Die vier Freundinnen, die es faustdick hinter den Ohren haben, können es sich natürlich nicht verkneifen, über die Freaks zu lästern, die gar keine oder nur wenige Rosen bekommen.

Kent, ein Kinderfreund von Sam, der ihr inzwischen aber eher peinlich ist, lädt seine Mitschüler am Abend des Valentintags zu einer Party zu sich nach Hause ein, weil seine Eltern nicht da sind. Rob schlägt vor, dass Sam und er dort erst einmal feiern, bevor sie zu ihm nach Hause gehen wollen. Doch auf der Party läuft einiges anders, als Sam sich das vorgestellt hat: Rob betrinkt sich so, dass sie von ihm genervt ist. Deswegen beschließt Sam, mit Lindsay nach Hause zu fahren, anstatt mit zu Rob zu gehen. Doch auf dem Waldweg, den sie entlang fahren, sieht Sam plötzlich etwas Weißes aufblitzen, dann tut es einen Schlag, und sie kann sich an nichts mehr erinnern.

Später wacht Sam wieder auf, doch sie stellt verwundert fest, dass der Wecker den 12. Februar, den Valentinstag, anzeigt. Und so erlebt sie den Tag nicht nur ein zweites, sondern später auch ein drittes, viertes und … Mal.

Bewertung:

Wer in Kinofilmen etwas bewandert ist, dem kommt die Idee, den gleichen Tag immer wieder erleben zu müssen, bekannt vor. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ heißt eine amerikanische Filmkomödie aus dem Jahr 1983, die eine ähnliche Grundidee hat. Dennoch war es interessant zu sehen, was Lauren Oliver aus der Idee in einem Jugendbuch gemacht hat.

Anfangs war ich von dem Buch, von dem ich einiges Gute gehört hatte, ziemlich genervt. Sam und ihre drei Freundinnen sind völlig überdrehte Mädchen, die sich über alles und über andere ohne Rücksicht auf Verluste lustig machen. Ja, man könnte sie fast als Kotzbrocken bezeichnen. Furchtbar amerikanisch fand ich die Geschichte außerdem, weil sie so oberflächlich wie ein seichter Hollywood-Schinken daherkommt. Alles dreht sich nur ums Gut-Aussehen, ums Spaßhaben und um Jungen.

Durch die ersten 100 Seiten musste ich mich erst mal durchbeißen, bis ich dann gemerkt habe, dass dahinter viel mehr steckt. Sam macht den 12. Februar immer wieder durch, ohne dass sie weiß, warum das so ist – und das Mädchen ist deswegen reichlich irritiert. Doch jedes Mal verhält Sam sich an den einzelnen Tagen anders – ja, sie fängt irgendwann an, damit zu spielen. Und ab diesem Moment wird „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ auch interessant.

Es dauert etwas, bis Sam ihre eigene Oberflächlichkeit durchschaut und versucht, den Tag anders zu gestalten. Es würde die Spannung verringern, wenn ich hier Genaueres berichte – aber nach mehrmaligem Durchleben ist Sam geläutert und verhält sich eben nicht so oberflächlich wie zu Beginn des Romans.

Letztendlich ist Lauren Olivers Jugendroman ein intelligentes Buch, das Jugendlichen auf unterhaltsame Art und Weise zu vermitteln versucht, ehrlich zu sich zu sein und auf die eigene innere Stimme zu hören. Es ist sympathisch, dass man durch das Gedankenspiel des wiederkehrenden Tages erleben darf, wie Sam sich schrittweise von ihrer bisherigen Oberflächlichkeit verabschiedet und an der ewigen Wiederkehr des Gleichen reift.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Man sollte sich von den ersten 100 Seiten des Buches nicht täuschen lassen: Lauren Oliver ist ein packender Roman gelungen, der spielerisch daherkommt und trotzdem ernst ist, vielleicht an manchen Stellen nur etwas zu breit angelegt ist. Sehr genau beschreibt die Autorin, wie Jugendliche manchmal an sich vorbei leben, indem sie sich gedankenlos und nur auf Spaß bedacht oberflächlich verhalten. Dass es auch anders geht, muss Sam mühsam lernen – der Leser dagegen darf es in diesem von kleineren Längen abgesehen kurzweiligen Buch miterleben.

Was mich außerdem für „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ eingenommen hat, war, dass hinter der Geschichte kein böser moralischer Zeigefinger steht. Lauren Oliver steht, auch wenn sie sich unmöglich verhalten, zu ihren Figuren, die Autorin verurteilt sie nicht. Am Ende heißt die Botschaft, man solle sein Leben genießen, aber auch auf seine Mitmenschen achten. Das klingt etwas platt, wird aber Gott sei Dank überhaupt nicht so vermittelt.

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(Ulf Cronenberg, 25.08.2010)

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Kommentare (15)

  1. Gina

    Das kauf ich meiner Tochter! Danke für den Tipp!
    Interessant finde ich das Cover. Reine Typo-Cover ohne Foto und Illustration sind zurzeit angeblich der letzte Schrei, hab ich mir vor kurzem sagen lassen. Hm. Ob sich das wirklich durchsetzt?
    Liebe Grüße
    Gina

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg

      Gina, ich hoffe nicht, dass sich das durchsetzt. Als Abwechslung ist es erträglich. Ich bin ja jemand, der an Typografie interessiert ist, aber das wird das schnell langweilig.
      Viele Grüße, Ulf

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  2. Li Schumann

    Es stimmt, die Grundidee ist die gleiche wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Und ähnlich wie dieser Filmklassiker ist es ein sehr gelungenes Werk, ein hervorragendes Jugendbuch, leider – wie auch ich finde – hat es Längen und man neigt kurzfristig zum Querlesen. Ein Drittel weniger und ich hätte es schon an meine Nichten weiter verschenkt.
    Trotzdem halte ich es für ein ausgezeichnetes und wichtiges Buch, weil die Autorin sehr authentisch die Situation unter Schülern wiedergibt und das Mitläufertum thematisiert. Wie die junge Sam jeden Tag neu erlebt und jedes Mal ihr Verhalten korrigiert und sich dabei ihrem eigentlichen Ich nähert, ist wunderbar geschildert. Nur halt, wie gesagt, immer ein bisschen zu lang – und das macht einen beim Lesen etwas wirr. Aber das entspricht auch dem Zustand von Sam, die – so wie ich das verstanden habe – dies in einer Art Koma, in der Zeit vom Unfall bis zu ihrem Tod erlebt. Man weiß nicht, ob das nur einige Augenblicke sind oder Stunden oder Tage – ein recht offenes, gelungenes Ende des Buches. Beeindruckend.
    So wie die junge Sam das Mitläufertum wie eine Zwiebel Schale um Schale abwirft und schließlich zu ihrem eigentlich Ich gelangt, könnte das Buch vorbildhaft werden, wenn es gelesen wird. Die meisten Jugendlichen scheuen ja solch dicke Bücher.

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  3. Britta Kiersch

    Hallo Ulf,
    ich wußte, dass die Mädchen dich schrecklich nerven würden, und war schon sehr gespannt, ob du überhaupt über die ersten beiden Tage hinaus kommen würdest. Schön, das du dich durchgebissen hast, denn die Entwicklung der Heldin und auch die Eigendynamik, die die verschiedenen Situationen verändert, hat doch wirklich viel zu bieten! Da sieht man doch mal wieder, wie wenig die tollsten Pläne und Strategien nützen, weil man eben nicht allein auf der Welt ist und die anderen auch ihren „eigenen Kopf“ haben.
    Schöne Grüße
    Britta

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg

      Hallo Britta,
      bevor ich ein Buch, ohne es auszulesen, aus der Hand lege (was selten vorkommt), weil es mich nervt, lese ich zumindest mal in der Mitte und am Ende noch ein Stück. Da hätte ich dann ja gemerkt, dass dieser Roman mehr zu bieten hat … 😉
      Ulf

      Antworten
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  5. Amiina

    Dieses Buch ist mein Lieblingsbuch, da es mir den Anstoß gegeben hat, mein Leben und mein Verhalten zu ändern. Als ich angefangen habe es zu lesen, war es, als blickte ich in einen Spiegel, da meine Freundinnen und ich genauso wie Sam & Co sind. Dadurch hab ich mich in Sam hineinversetzt gefühlt und alles noch intensiver miterlebt. Als ich am Ende angekommen war, war es, als würde mein Alter Ego mit dem Umblättern der letzten Seite verschwinden und mein neues Ich geboren. Ich glaube, ich habe das Buch mittlerweile sicher 5 bis 10 Mal gelesen und kann manche Passagen schon auswendig; und immer, wenn ich merke, dass ich wieder in mein altes Ich zurückfalle, nehme ich das Buch zur Hand und lese es von Neuem. Ich liebe dieses Buch und werde es an alle Menschen weiterreichen, bei denen es mir nötig erscheint und die genauso sind, wie ich war.
    Liebe Grüße
    Amiina (16)

    Antworten
  6. Christoph Enzinger

    „Komisch, wie stark man sich verändert. Als ich klein war, liebte ich zum Beispiel all das: Pferde, das Schlemmermenü und den Gänsestein. Und mit der Zeit fielen diese Sachen einfach weg, eine nach der anderen, und wurden ersetzt durch Freundinnen und Instant Messaging und Handys und Jungs und Klamotten. Eigentlich schade, wenn man mal darüber nachdenkt. Als gäbe es bei den Menschen keine Kontinuität. Als würde irgendetwas abreißen, sobald man zwölf oder dreizehn wird oder ab wann auch immer man kein Kind mehr, sondern ein ‘junger Erwachsener‘ ist, und danach ist man ein völlig anderer Mensch. Vielleicht sogar ein unglücklicherer Mensch. Vielleicht sogar ein schlechterer.“ (Seite 263)

    Wieder einmal ein Buch, das mich mit gemischten Gefühlen erfüllt hat. Spannend konstruiert, aber diese Teenie-Zicken … Vier Punkte für die ersten 78 Seiten, fünf Punkte für den Rest.
    Wieder einmal ein Buch, das diejenigen, die es eigentlich lesen sollten, nicht lesen werden (wie „Erebos“). Aber sehr zu empfehlen. Besonders für Mädchen wie Amiina (15+).

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  7. Doro

    Gut, dass ich gerade diese Rezension gelesen habe. Wollte das Buch (nach den ersten 30 Seiten) schon völlig entnervt weglegen. Aber wenn ihr meint, es wird noch gut, lese ich´s doch noch zu Ende. Dieser übertriebene, amerikanische Stil müsste nicht sein, schade.

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    1. Ulf Cronenberg

      Aber der amerikanische Stil hat ja seinen Sinn und wird mit zunehmender Dauer entlarvt … Also: Dran bleiben!

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  9. Lisa

    Hallo Ulf,
    eine gelungene Rezension! Ich kann dir in allen Punkten nur zustimmen. Zu Beginn fand ich die Charaktere auch unerträglich, doch je weiter man liest, desto mehr Sinn ergibt alles.

    Ich habe deine Rezension unter meiner verlinkt. Ich hoffe, das ist in Ordnung, ansonsten kann ich das natürlich jederzeit rückgängig machen 🙂

    Viele Grüße
    Lisa
    Room of Faancy

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Hallo Lisa,
      das ist natürlich in Ordnung! Und schön, dass wir einer Meinung sind.
      Viele Grüße
      Ulf

      Antworten
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