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Buchbesprechung: Lauren Oliver „Als ich dich suchte“

Cover: Lauren Oliver „Als ich dich suchte“Lesealter 15+(Carlsen-Verlag 2017, 368 Seiten)

Von Lauren Oliver, deren eigentlicher Name Laura Schechter lautet, habe ich einige, aber nicht alle Jugendromane gelesen. Die in Brooklyn (New York) lebende Autorin ist für mich eine typisch amerikanische Erzählerin – so würde ich das mal bezeichnen. Sie schreibt Romane, die eine gewisse epische Breite haben (etwas, was – wie mir scheint – in der amerikanischen Literatur stärker verbreitet ist als in Deutschland), die einen größeren Kosmos rund um die Hauptfigur zu fassen versuchen. „Als ich dich suchte“ ist auch so ein typisches Lauren-Oliver-Buch …

Inhalt:

Nick und Dara sind Schwestern im Teenager-Alter, sie trennt nur ein Jahr. Einerseits sind sie sich sehr vertraut, beziehen sich viel aufeinander, andererseits sind sie jedoch auch in vielem sehr unterschiedlich. Dara, die Jüngere, ist eher das Problemkind der Familie: Sie experimentiert mit Drogen, büxt nachts schon mal durchs Fenster aus und hat schon mit einigen Jungen etwas am Laufen gehabt. Nick dagegen ist die mustergültige Tochter. So sehen das auch die Eltern der beiden, die geschieden sind.

Als Dara sich in Parker, ihren gemeinsamen Kinder- und Jugendfreund, verliebt und die beiden ein Paar sind, wird die Schwesterbeziehung zwischen Nick und Dara auf eine Belastungsprobe gestellt. Denn eigentlich ist Nick ebenfalls in Parker verliebt, auch wenn sie sich selbst das nicht so richtig eingestehen will.

Kurz darauf kommt es zu einem tragischen Autounfall: Nick war gefahren, überstand den Unfall jedoch ohne größere Blessuren, Dara jedoch wurde schlimm verletzt. In den Monaten danach kriselt es zwischen den Schwestern. Es ist vor allem Dara, die nichts mehr mit Nick zu tun haben will und sich ihr entzieht. Für Nick ist das nicht einfach auszuhalten – sie wird von Schuldgefühlen geplagt. Als Dara dann an ihrem Geburtstag auch noch verschwindet und nicht zum Essen mit der eigenen Familie auftaucht, macht sich Nick große Sorgen und wird nervös.

Bewertung:

Familie – das ist schon ein ganz besonderes Thema. Im Fall von „Als ich dich suchte“ (Übersetzung: Katharina Diestelmeier; englischer Originaltitel: „Vanishing Girls“) geht es vor allem um zwei Schwestern, die schicksalsmäßig miteinander verbandelt sind – im Guten wie im Bösen. Wie das dann so ist: Ein Junge trägt Konflikte in ihre Beziehung und bringt die Schwestern auseinander.

Lauren Olivers neuer Roman enthält jedoch noch einiges mehr. Es geht unter anderem auch um die Eltern: seit einiger Zeit geschieden, die Mutter seitdem depressiv und tablettensüchtig, der Vater in einer neuen Beziehung, die jedoch nur vordergründig harmonisch ist. Lauren Olivers Roman erzählt nicht nur stringent seine Geschichte (und zwar größtenteils aus der Sicht Nicks, ab und zu aus der von Dara), sondern er ist angereichert mit Mails und Tagebucheinträgen. Was die Eltern angeht, so ist es herrlich dechiffrierend zu lesen, wie die beiden sich in Mails an den anderen nichts schenken. Kleine Spitzen, die zeigen, wie groß die Verletzung der beiden ist, stecken in und zwischen den Zeilen. Gut beobachtet und festgehalten ist das.

Das ist überhaupt die Stärke von Lauren Oliver: Auch in „Als ich dich suchte“ zeigt die Autorin, dass sie eine gute Beobachterin ist, die Subtiles festzuhalten weiß, dass sie außerdem eine gute Erzählerin ist und sehr treffend Stimmungen und Gefühle beschreibt – zum Beispiel bei Parker:

„Schließlich lächelt er: ein langsamer Prozess, der in seinen Augen beginnt und sie zum Strahlen bringt. Parker hat graue Augen, aber es ist das wärmste Grau der Welt. Wie das Grau einer Flanelldecke, die schon hundert Mal gewaschen wurde.“ (S. 57)

In irgendeinem Interview mit der Autorin habe ich mal gelesen, dass sie an ihrem Beruf liebt, sich am Vormittag im Pyjama zum Schreiben hinzusetzen: Ja, man kann es sich richtig vorstellen, wie Lauren Oliver an Vormittagen in ihren Buchkosmos abtaucht und ihre Figuren mit solchen Formulierungen zu fassen versucht.

„Als ich dich suchte“ ist ansonsten ein vielschichtiges Buch. Es beginnt als Geschwisterroman, entwickelt sich zu einem Familiendrama, wird, als Dara verschwindet, fast zu einem psychologischen Detektivroman, ist ab und zu mal Liebesgeschichte … – und am Ende wartet etwas auf den Leser, was man nicht erwartet hat. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob mir dieses Finale, das das ganze Buch in ein neues Licht taucht, wirklich gefallen hat. Klar, man bekommt die Auflösung vieler Rätsel und Geheimnisse, die das Buch vorher gestreut und offengelassen hat; man erfährt auch, dass hinter dem Autounfall ein größeres Drama stand … – aber irgendwie habe ich mich durch die unerwartete Wendung fast etwas hinters Licht geführt gefühlt (mein Empfinden mag nur verstehen, wer das Buch gelesen hat).

Für mich bleibt: Mir hat das Buch immer dann am besten gefallen, wenn es um die Geschwisterbeziehung und die Familie von Nick und Dara ging; als Nick im letzten Drittel dann einem Geheimnis von Dara auf der Spur ist, als die Detektivelemente zunehmen, verliert sich das Buch etwas im Reißerischen, es wird klischeehafter und verliert an psychologischer Tiefe.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Aus meiner Sicht ist „Als ich dich suchte“ nicht Lauren Olivers bester Jugendroman. Da haben mir das gerade verfilmte „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ und „Panic“ besser gefallen. Und dennoch: Auch Lauren Olivers neuer Jugendroman zeigt, dass die Autorin eine großartige Erzählerin ist, die breite angelegte Bücher schreibt und sich gut in ihre Figuren hineinversetzen kann.

Dass „Als ich dich suchte“ ein bisschen zwischen verschiedenen Genres hin- und herwechselt, mag manchem Leser gefallen, mich hat es eher gestört, und während ich die ersten beiden Drittel mit Genuss gelesen habe, fand ich das letzte Drittel des Romans nicht mehr ganz so gelungen. Dennoch: Auch Lauren Olivers neues Buch ist ein Roman zum Abtauchen, ideal für ein verregnetes Wochenende, wo man den halben Tag im Pyjama auf dem Sofa sitzen bleibt. Und der Hauptfiguren wegen dürfte „Als ich dich suchte“ wohl eher von Mädchen als von Jungen gelesen werden …

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(Ulf Cronenberg, 11.08.2017)

P. S.: Carlsen empfiehlt das Buch ab 13 Jahren – das scheint mir dann doch etwas tief gegriffen …

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