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Buchbesprechung: Lara Schützsack „Sonne, Moon und Sterne“

Cover: Lara Schützsack „Sonne, Moon und Sterne“Lesealter 10+(Sauerländer-Verlag 2019, 239 Seiten)

Lara Schützsacks Debütroman „Und auch so bitterkalt“ ist im Frühjahr 2014 erschienen – ein gelungenes, aber nicht in allem leicht verdauliches Buch für Leser/innen aber 14 Jahre. Seitdem gab es kein neues Kinder- oder Jugendbuch der in Berlin lebenden Autorin, die schon Drehbücher geschrieben hat und außerdem als Musikberaterin für Filme arbeitet. Mit „Sonne, Moon und Sterne“ legt Lara Schützsack nun ein Kinderbuch vor, und angekündigt ist für September 2019 schon das nächste: „Tilda, ich und der geklaute Dracula“.

Inhalt:

Gustav ist kein Junge, sondern ein Mädchen, das die Haare kurz trägt. Ihr 11-jähriges Leben ist gerade ordentlich durchgeschüttelt worden, denn ihre Eltern (Iris und Erik) haben beschlossen, dass sie mehr Freiraum und Abstand voneinander brauchen. Gustavs Mutter, die in der Familie hauptsächlich das Geld verdient, haut so in den Sommerferien gleich nach Mallorca ab, um sich dort um eine kranke Freundin zu kümmern, während der Vater mit Gustav, deren beiden älteren Schwestern Ramona und Sara sowie der schon altersschwachen Hündin Sand zu Hause bleibt. Schlimm für Gustav ist, dass deswegen der übliche Sommerurlaub in Dänemark ausfällt. Dabei steht der dafür gemietete Camper schon vor dem Haus.

Was macht man mit dem Sommer, wenn man nicht in den Urlaub fährt? Iris kauft Gustav, bevor sie abreist, noch einen Ferienpass, und mit dem kann man nicht nur in Museen, sondern auch ins Freibad gehen – angesichts der Hitzewelle eine gute Idee. Doch es gibt da ein Problem. Bei Gustav beginnt die Brust zu wachsen, und mit den erbsengroßen Hübbelchen will sie sich nun wirklich nicht im Badeanzug zeigen. Also lungert Gustav mit Sand nur vor dem Schwimmbad herum und sieht dabei Moon wieder.

Moon ist ein Junge, der in den letzten Schultagen schon mal in Gustavs Klasse, die er ab nächstem Schuljahr besuchen soll, geschnuppert hat. Mit längeren Haaren und seiner seltsamen Glitzerleggings wurde er von vielen schräg angeschaut. Gustav ist verwundert, was Moon vor dem Schwimmbad da eigentlich macht: Er sammelt Flaschen aus Mülleimern. Auch wenn Moon etwas strange ist, als die beiden ins Gespräch kommen, findet Gustav Moon mehr als nett und verliert sich fast in dessen Augen …

Bewertung:

Tamara Bach hat es vorgemacht: Als Autorin, die bisher Jugendromane geschrieben hat, hat sie sich in diesem Jahr mit „Wörter mit L“ einem jüngeren Lesepublikum zugewandt – herausgekommen ist dabei ein tolles Kinderbuch. Bei Lara Schützsack war die Frage, ob ihr das nach einem Jugendroman auch gelingt … Die Frage lässt sich eindeutig mit Ja beantworten – das sei vorweggenommen. „Sonne, Moon und Sterne“ ist ein richtig gutes Kinderbuch, das auch ich als Erwachsener (und das ist nicht selbstverständlich) sehr gerne gelesen habe.

Die Geschichte ist einfach cool erzählt, auch wenn sie eigentlich als überladen durchgehen müsste, wenn man die darin verarbeiteten Themen mal auflistet: Eltern, die sich nicht mehr verstehen und sich selbst erst wieder finden müssen, ein ausgefallener Sommerurlaub, die großen Schwestern in der Pubertät, Gustav als Hauptfigur am Ende der Kindheit, Moon als Junge, der eine psychisch kranke Mutter hat, und schließlich die altersschwache Sand, deren Leben zu Ende zu gehen scheint. Das ist schon ziemlich viel, aber es wird getragen, weil Lara Schützsack alles leichtfüßig erzählt.

Interessant ist dabei die Erzählperspektive, die Lara Schützsack wählt – die meisten Kinderbücher für Leser/innen in dem Alter werden in Ich-Form geschrieben. Aber „Sonne, Moon und Sterne“ wird personal aus der Sicht Gustavs erzählt, was aber voll und ganz funktioniert – ab und zu, wenn man nach einer Pause wieder einsteigt, wundert man sich kurz über die Erzählweise, aber kurz darauf fühlt man sich wieder heimisch. Man hat trotz fehlender Innenperspektive das Gefühl, als würde man in Gustavs Seele hineinschauen können – gekonnt und raffiniert ist das gemacht.

Zur Trickkiste des Romans gehört außerdem, dass es zum einen von den pointierten Figuren lebt, zum anderen von der Geschichte selbst. Ja, die Figuren: Es geht schon damit los, dass ein Mädchen Gustav heißt und kurze Haare hat, während Moon eine Glitzerleggings und lange Haare trägt. Iris ist von Gustavs Eltern die, die das Geld verdient und die schimpfen kann, dass die Wände wackeln. Erik ist da wesentlich gutmütiger, ja, gerade in der Krisenzeit ziemlich phlegmatisch. Ein Genderproblem kann man dem Buch sicher nicht vorwerfen. Es sind außerdem viele andere Figuren, die man einfach mögen muss: von den Schwestern Gustavs über Moons depressive Mutter bis hin zu den absoluten Nebenfiguren wie dem Kioskbesitzer im Schwimmbad, der gerade mal zwei Sätze sagen darf, aber mit seiner typisch Berliner Schnauze treffend charakterisiert wird.

Natürlich ist alles in allem schnell klar, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt: dass vor allem Gustav und Moon – Wirrungen gehören dazu – Freunde werden und erste Beziehungserfahrungen anstehen. Aber die Geschichte hat genug Witz und ausreichend Nebengeschichten, um trotzdem nie langweilig zu werden. Einer der Höhepunkt des Plots ist eine Party, mit der die älteren Schwestern in Gustavs Geburtstag reinfeiern wollen – Iris ist ja auf Mallorca, Erik auf einem Festival. Mehr muss hier nicht verraten werden, als dass da einiges aus dem Ruder gerät.

Warum „Sonne, Moon und Sterne“ ein richtiges gutes Kinderbuch ist, liegt schließlich daran, dass die Geschichte nicht nur originell aufgebaut ist, sondern auch sprachlich einfühlsam und kreativ erzählt wird. „Frau Gösner macht Pausen zwischen den Sätzen, aber es sind nicht solche Pausen, in die man hineinfällt, sondern gute Pausen. Pausen, auf denen man ganz leicht schwebt.“ (S. 235f) Das ist eine von vielen typischen Stellen (Gustav hat eine Paartherapeutin am Telefon, die sie um Hilfe für ihre Eltern bitten wollte), die zeigt, dass Lara Schützsack Figuren wie Situationen einfach großartig zu beschreiben versteht.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Mit „Sonne, Moon und Sterne“ hat Lara Schützsack ein tolles Kinderbuch für Leserinnen und Leser ab 10 Jahren geschrieben, das nicht nur nie langweilig ist, sondern bei dem alles stimmt. Die Geschichte ist rund, sie wird getragen von Humor und Witz, der ein oder anderen Überraschung, darüber hinaus aber vor allem auch von den Figuren. Ja, die Personen im Buch sind etwas überzeichnet – aber dass das in Kinderbüchern ein funktionierendes Mittel ist, wissen wir spätestens seit den Rico-Oskar-Büchern von Andreas Steinhöfel. Überzeichnung allein reicht aber nicht aus – es gehört auch dazu, dass die Figuren lebensecht bleiben und man reale Personen wiedererkennt; und das ist Lara Schützsack in ihrem Buch gelungen.

Bleibt die Frage, ob man das Buch auch Jungen im Alter von 10 oder 11 Jahren in die Hand geben kann. Klar geht das. Aber ob man sie wirklich auch für das Buch begeistern kann? Ich stelle mir vor, wie ich in einer 5. Klasse „Sonne, Moon und Sterne“ vorlese. Spätestens, wenn es um die Hübbelchen auf der Brust geht, wird es etwas leicht peinlich-betretene Lachsalven geben. Vielleicht hätte dem Buch noch ein Bruder gut getan – als kleines Identifikationsangebot für Jungen. Moon ist da sicher nicht so ganz kompatibel … Aber egal, das kann man dem Buch nun wirklich nicht vorwerfen. „Sonne, Moon und Sterne“ ist ein tolles Kinderbuch. Eine Perle in einem Genre, in dem ich als Erwachsener nicht so schnell zu begeistern bin. Und ich freue mich schon auf „Tilda, ich und der geklaute Dracula“. Vielleicht tauchen da ja auch mehr Jungen auf … Dem Titel nach ist dann jedenfalls eine Ich-Erzählung zu erwarten. Ich bin gespannt.

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(Ulf Cronenberg, 09.06.2019)

Lektüretipp für Lehrer!

„Sonne, Moon und Sterne“ ist eine Lektüre, die vor allem etwas für die Mädchenfraktion in einer Klasse ist. Aber dort dürfte das Buch gut ankommen und viele Diskussionen ermöglichen – gerade um Themen, die die Familie und die Pubertät betreffen.
Ich bin ja sowieso ein Verfechter davon, dass man in Klassen immer wieder verschiedene Bücher als Lektüre anbietet und nicht alle das Gleiche lesen, und dann ist Lara Schützsacks Buch durchaus eine gute Wahl. Man müsste ihm noch ein Buch, das eher Jungen anspricht, zur Seite stellen – das könnte ein Rico-Oskar-Buch von Andreas Steinhöfel sein.

Kommentare (2)

  1. Manfred Stenz

    Aus meiner Sicht ein wirklich tolles Buch. Als Erwachsener hat mich das Buch gepackt, vor allem die zweite Hälfte.

    Ganze fünf Punkte würde ich nicht vergeben, dafür sind Gustavs pubertierende Schwestern dann doch zu plakativ geschildert. Zudem ist mir der rote Faden durch die Geschichte zu wenig straff gezogen, da wäre sicher noch etwas mehr drin gelegen.

    Die Sprache ist aber stellenweise brillant und Gefühle und Stimmungen werden treffend geschildert. Auf jeden Fall ein Lesetipp für das angegebene Alter. Und ja, dieses Buch spricht bestimmt eher Mädchen an – (und Hundebesitzer).

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    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Seltsam, das mit den pubertierenden Schwestern hat mich gar nicht gestört, weil ja das Buch auch etwas vom Slapstick lebt. Der Vater ist ja auch mit seinem alten Plattenfreund überzeichnet … Das macht für mich den Witz des Buchs aus (die Rico-Bücher von Steinhöfel und viele andere moderne Kinderbücher machen das genauso) …

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