(Fischer-Verlag 2014, 174 Seiten)
Ein Debütroman, eine neue Autorin. Lara Schützsack dürfte kaum jemand kennen, auch wenn sie bereits für das Drehbuch eines Filmes verantwortlich zeichnet: „Draußen ist Sommer“. Die Autorin lebt in Berlin, hat Vergleichende Literaturwissenschaften studiert und noch ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie drangehängt. Außerdem arbeitet sie als Musikberaterin. Was man da macht? Regisseure dabei beraten, welche Musik an bestimmten Stellen von Filmen besonders gut passt … Klingt nach einer interessanten Tätigkeit.
Inhalt:
Lucinda ist 17 Jahre alt, ihre vier Jahre jüngere Schwester heißt Malina, und die beiden haben eine recht innige Verbindung zueinander – Malina bewundert ihre große Schwester, auch wenn diese nicht gerade einfach ist. Mit ihrer Mutter Isa kommt Lucinda dagegen gar nicht zurecht. Ständig gibt es Streit, allerdings ist Lucinda ein nicht gerade leicht fassbares Mädchen. Sie verhält sich vollkommen unangepasst, will machen, was sie will, ohne Kompromisse einzugehen – und dabei kommt es ständig zu Konflikten mit ihrer recht dominanten Mutter, die sich immer mehr zuspitzen.
Ein Hauptkampfthema zwischen Lucinda und Isa ist das Thema Essen. Lucinda bewegt sich in eine Magersucht hinein, und so ganz klar ist nicht, was hierfür die Ursache ist. Ist es der auf die Spitze getriebene Machtkampf zwischen Isa und Lucinda? Oder gibt es andere Gründe? Oft ist Lucinda auch depressiv …
Als Jarvis, ein Junge mit amerikanischen Eltern, in eines der Nachbarhäuser einzieht und dieser Lucinda begegnet, ist er – wie fast alle Jungen – Lucinda sogleich erlegen. Auch Lucinda scheint verliebt zu sein, zugleich spielt sie mit Jarvis und hält ihn immer wieder auch auf Distanz. Jarvis kommt damit gar nicht zurecht. Er schleicht betrunken um das Haus von Lucinda und Malina herum, grölt nachts nach Lucinda, die ihn mal erhört, dann wieder stehen lässt. Eine Katastrophe bahnt sich an …
Bewertung:
Da ich vorab nie Klappentexte und Pressemitteilungen lese, habe ich ziemlich lange gebraucht, bis ich verstanden habe, worum es in „Und auch so bitterkalt“ eigentlich geht. Das Buch legt seine Themen nicht von Anfang an offen, der Roman beginnt eher kryptisch. Lucinda und Malina werden als innig miteinander verbundene Schwestern beschrieben: Lucinda – wie der Name ja schon ausdrückt – ist nicht so recht fassbar, ein Lichtwesen sozusagen, zugleich aber ein faszinierendes Mädchen, dem alle Jungen zu Füßen liegen. Malina dagegen ist bodenständiger, steht aber auch – nicht gerade eine angenehme Position – immer wieder in der Mitte zwischen allen Familienkonflikten.
Lucinda ist eindeutig die Hauptfigur in dem Roman, Malina dagegen, die Erzählerin steht eher im Hintergrund – dabei ist sie für mich die tragischere Figur im Roman, weil sie in der Familie eine undankbare Rolle hat und zwischen allen Stühlen steht. Lucinda bleibt unnahbar, wandelt auf ihrem eigenen seltsamen Weg, und darüber vergisst man beinahe Malina. Doch was muss die jüngere Schwester im Laufe des Buches alles mitmachen … Nicht nur, dass Malina eine Art Puffer zwischen Mutter und Malina ist, letztendlich muss Malina mit ansehen, wie die große Schwester ihr perfides Spiel mit Jarvis treibt, dieser abstürzt und infolgedessen dann auch Lucinda.
Wer mit Malina mitfiebert, der muss als Leser auch so einiges aushalten, und das liegt daran, dass Lara Schützsack sehr tief in die Erzählerin hineinkriecht. Das ist keine platte Nabelschau, indem direkt Gefühle beschrieben werden, sondern sehr geschickt gemacht, indem Situationen und Beobachtungen von Malina beschrieben werden; und die zwingen den Leser dazu, die Leerstellen zu füllen.
Ja, und worum geht es in Lara Schützsacks Jugendroman nun eigentlich? Um ein Mädchen, das beobachtet, wie die eigene Schwester in die Klauen der Magersucht gerät. Aber vielleicht greift das zu kurz. Für mich blieb Lucinda, die sich selbst als Muse (von anderen geliebt, sich selbst aber nie richtig auf andere einlassend) sieht, immer ein wenig unfassbar. Ein Mädchen, das auf einem extrem schmalen Grat wandert. Ein Mädchen mit Borderline-Störung?
Ein einfaches Buch ist „Und auch so bitterkalt“ jedenfalls nicht. Ich habe dafür auch relativ lange gebraucht, ich konnte und wollte es nicht in ein paar Zügen herunterlesen. Manchmal ist mir das Buch ein wenig fremd geblieben, und so richtig gepackt hat mich auch erst das letzte Drittel. Doch da versteht man dann auch, dass die vorherigen zwei Drittel keine etwas zu langatmige Einleitung sind, sondern dass das letzte Drittel dramaturgisch sehr geschickt vorbereitet wird.
Fazit:
5 von 5 Punkten. Ein wegen seiner etwas über 170 Seiten mal schnell heruntergelesenes Buch ist „Und auch so bitterkalt“ ganz bestimmt nicht. Es ist auch kein Buch, das man bedenkenlos allen Jugendlichen in die Hand drücken kann. Die Geschichte wird nur zu schätzen wissen, wer sich mit sperrigeren Texten anfreunden kann und will, mit Büchern, die nicht durch eine äußere Handlung vorangetrieben werden, sondern deren psychologisches Moment das eigentlich Spannende darstellt. Lara Schützsack hat ganz bestimmt auch kein Buch geschrieben, das viele Jungen interessieren wird. Neben Mädchen im Alter ab 14 Jahren dürften vor allem Erwachsene als Zielgruppe von dem Buch angetan sein.
Und dennoch – oder genau deswegen – ist „Und auch so bitterkalt“ ein besonderes Buch. Der Roman ragt durch seine dichte Sprache und durch eine tiefe Figurenzeichnung heraus. Es gab immer wieder Stellen in dem Buch, wo ich mich gefragt habe, warum sich Lucindas Eltern so verhalten – das war mir teilweise völlig unverständlich. Wenn ich eine so extrem magersüchtige Tochter habe, schleppe ich diese doch in eine Klinik – mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen … Hier wirkt Lara Schützsacks Buch nicht gerade real, aber das Buch zeigt auf der letzten Seite mit seinem traumwandlerischen Schluss, dass es darum auch gar nicht geht. „Und auch so bitterkalt“ ist eher eher eine psychologische Figurenstudie als ein Problembuch, das die Realität beschreibt. Und man spürt auch immer wieder, dass Lara Schützsack filmisch denkt und szenisch vorgeht, anstatt eine fortlaufende Handlung niederzuschreiben. Mit all dem kann man hadern oder man kann es akzeptieren. Ich habe mich für Letzteres entschieden.
(Ulf Cronenberg, 08.03.2014)
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