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Buchbesprechung: Clay Carmichael „Zoë“

Cover Clay CarmichaelLesealter 11+(Hanser-Verlag 2011, 255 Seiten)

„Zoë“ hatte ich mir vor ein paar Monaten schon einmal auf die Schnelle angeschaut. Damals hatte ich aber keine Zeit, eine Buchbesprechung zu schreiben. Als ich vor ein paar Tagen ein weiteres Mal ein wenig im Buch gelesen habe, bin ich hängen geblieben – und deswegen gibt es jetzt doch noch eine Rezension darüber.

„Zoë“ ist, wie der Verlag schreibt, das erste Jugendbuch der Amerikanerin Clay Carmichael – doch meiner Meinung nach handelt es sich dabei eher um ein Kinderbuch für Leser(innen) ab 11 oder 12 Jahren.

Inhalt:

Zoës Mutter, die ein ziemlich lotteriges Leben mit ständig wechselnden Freunden und Drogen geführt hat, ist tot, und so kommt Zoë bei ihrem Onkel Henry unter, den das Mädchen bis dahin gar nicht kannte. Henry ist ein berühmter Künstler, der vor allem große Metallskulpturen herstellt. Als Arzt arbeitet er auch ab und zu, denn das ist der Beruf, den er eigentlich gelernt, aber nie mit großer Begeisterung ausgeführt hat.

Für Zoë ist das alles neu, und nachdem es früher mit den Freunden ihrer Mutter ständig Ärger gab, erwartet sie, dass auch Henry bald die Nase von ihr voll haben und sie wegschicken wird. Doch Henry ist zwar oft brummig und launisch, hat aber – wie Zoë nach und nach merkt – ein großes Herz.

Neu ist für Zoë noch mehr: Zum einen streift um das Haus ein alter und scheuer Kater, den Zoë langsam an sich gewöhnen will. Sie versucht ihn mit leckerem Futter auf ihre Seite zu bringen. Zum anderen lernt Zoë durch Henry viele andere reizende Menschen kennen: vor allem Fred und dessen herzkranke Frau Bessie, die nicht aus dem Haus darf. Zoë, Fred und Bessie sind schon bald ein Herz und eine Seele.

Zum ersten größeren Streit kommt es jedoch, als Henry von Zoë verlangt, dass diese wie jedes Kind in die Schule gehen soll. Zoë will das mit allen Mitteln verhindern. Doch Henry lässt nicht locker und setzt sich durch. In der Schule gefällt es ihr schließlich besser als befürchtet – abgesehen von Hargrove, dem fiesen Sohn des Bürgermeisters, der sie ständig blöd anschaut und triezt.

Bewertung:

Dass ich beim zweiten Lesen wieder an Zoës Geschichte (Übersetzung: Birgitt Kollmann) hängen geblieben bin, zeigt schon, dass mir das Buch gefallen hat, auch wenn es an manchen Stellen etwas sperrig ist. Zoë ist jedoch eine Erzählerin, die einem sofort ans Herz wächst. Das Mädchen ist vorlaut, besserwisserisch, aber zugleich auch sympathisch, weil es kein Blatt vor den Mund nimmt. Wenn sie mit Henry z. B. das erste Mal im Supermarkt einkaufen geht, muss man einfach schmunzeln, denn in ihren Wortgefechten schenken sich die beiden nichts.

Überhaupt sind es die Figuren, die mir an Clay Carmichaels Buch besonders gut gefallen haben. Fred ist der sympathische Mann für alles, seine Frau Bessie ist religiös und hat eine bewundernswert lebensbejahende Art, und der Pfarrer des Dorfes – von allen nur Padre genannt – hat Humor und kann herrliche Witze erzählen. Die Gespräche der Figuren – auch wenn sie aneinander geraten – sind einfach erfrischend.

Sperrig sind dagegen die kurzen Zwischensequenzen, in denen auktorial aus Sicht des Katers immer wieder kurz einiges erzählt wird. Man fragt sich anfangs, was diese Stellen eigentlich sollen – aber letztendlich tun sie dem Buch, das sonst vielleicht etwas zu rund und kitschig geworden wäre, gut. Auf seltsam distanzierte Art und Weise erfährt man vom Kater so einiges über die Vergangenheit von Henrys Familie. Ganz einfach sind diese Stellen nicht zu erlesen – da könnten vielleicht 11-Jährige manchmal etwas überfordert sein.

Ansonsten passieren im Laufe des Buchs noch andere ungewöhnliche Dinge – aber ich will nicht allzu viel verraten. Ein geheimnisvoller Junge taucht auf, ebenso eine weiße Hirschkuh – das alles lässt sich auf einer anderen Ebene durchaus auch metaphorisch verstehen (was jedoch am ehesten von erwachsenen Lesern zu deuten ist). Allerdings frage ich mich, ob die Episoden mit der Hirschkuh wirklich nötig waren. Jedenfalls ist dieser Erzählstrang eindeutig der schlechteste im Buch. Zwar liefert er einiges an Spannung, zugleich gleitet das Buch hier jedoch für meinen Geschmack ein wenig zu sehr ins Mystische ab.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Zoë“ ist ein sympathisches Buch, was vor allem an den Figuren liegt. Die neunmalkluge Zoë muss man einfach mögen, auch wenn man sich vorstellen kann, dass sie einem Erwachsenen auch gehörig auf den Wecker gehen kann. Letztendlich erzählt Clay Carmichael die Geschichte eines Mädchens, das nach vielen problematischen Erfahrungen erstmals ernst genommen und geliebt wird und langsam seinen pseudoerwachsenen Schutzpanzer ablegen kann. Aus der misstrauischen wird eine zutraulichere Zoë.

Für 11- oder 12-Jährige gibt es Stellen in dem Buch, die durchaus eine Herausforderung darstellen dürften (sofern man sie nicht einfach überliest). Das macht „Zoë“ zur anspruchsvollen, nicht unbedingt leicht verdaulichen, aber dennoch empfehlenswerten Lektüre. Gut ist es, wenn vielleicht ein Erwachsener mitliest und man dann gemeinsam über das Buch sprechen kann. Und schließlich: „Zoë“ ist sicher eher ein Buch für Mädchen als für Jungen.

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(Ulf Cronenberg, 24.01.2012)

P. S.: Ich stelle mir übrigens Zoë etwas anders als das Mädchen auf dem Buchcover, das meiner Meinung nach etwas älter aussieht, vor. Richtig aussagekräftig finde ich das Cover jedenfalls nicht.

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Kommentare (0)

  1. Christoph Enzinger

    Ich habe deine Besprechung erst gelesen, nachdem ich mit dem Buch fertig war, und ja: Alle kritischen Anmerkungen teile ich.
    Ein schönes, unaufgeregtes Buch. Jedoch das Cover hat mich am Anfang abgeschreckt. Ja, ein hübsches Mädchen, aber soll ich wirklich ein Märchenbuch lesen? Der Originaltitel ist wieder einmal um Welten besser: „Wild Things“ – und das Originalcover ist viel ansprechender. Ja, dieses Buch wird 11 bis 12-jährigen Mädchen gut gefallen.
    Die Katzen-Intermezzi fand ich etwas seltsam und überflüssig, und auch die Hirschkuh fand ich etwas aufgesetzt und für die Geschichte unnötig. Aber ich habe es sehr gerne gelesen.

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