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Buchbesprechung: Kevin Brooks „Killing God“

Cover Kevin BrooksLesealter 15+(dtv 2011, 262 Seiten)

Eineinhalb Jahre kein neues Buch von Kevin Brooks – zumindest auf Deutsch … Als großer Fan von Kevin Brooks war das schon fast eine Durststrecke für mich, und ich habe mich richtig gefreut, als „Killing God“ vor ein paar Tagen bei mir eingetrudelt ist. Ich mag die Bücher von Kevin Brooks einfach, weil er es auf eine unnachahmliche Art schafft, intensiv und spannend zu schreiben. Da sitzt jedes Wort. Und was gute Jugendthriller, denen man sich nicht entziehen kann, angeht, reicht ihm kaum jemand das Wasser. „Killing God“ lag also nicht lange ungelesen auf meinem Bücherstapel …

Inhalt:

Dawn ist ein etwas pummeliges Mädchen, das zu Hause allein mit seiner Mutter lebt und außer ihren beiden Hunde Jesus und Mary keine Bekannten und Freunde hat. Die Dackel hat Dawn nach ihrer Lieblingsband The Jesus and Mary Chain benannt, mit deren Musik Dawn sich oft über ihr ziemlich verpfuschtes Leben hinwegtröstet. Dawns größtes Ziel ist es, Gott zu töten – was immer sie auch darunter versteht …

Dawns Vater, ein Junkie, hat vor einiger Zeit, ohne sich zu verabschieden, die Familie verlassen – Dawn und ihre Mutter wissen nicht, ob er überhaupt noch lebt. Dawns Mutter ist seitdem nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie sitzt den ganzen Tag vor dem Fernseher, raucht eine Zigarette nach der anderen und trinkt sich stumpf.

Geldsorgen plagen Dawn und ihre Mutter allerdings nicht. Denn nach dem Verschwinden des Vaters hat Dawn eine Tasche voll mit Pfundnoten in der Wohnung entdeckt. Obendrauf lag außerdem eine Pistole. Dass Dawns Vater das Geld zurückgelassen hat, ist wahrscheinlich. Woher es allerdings stammt, wissen weder Dawn noch ihre Mutter.

Bei ihren Mitschülerinnen ist Dawn nicht gerade beliebt. Umso erstaunter ist das Mädchen, als ausgerechnet Mel und Taylor, die beiden angesagtesten Mädels ihrer Schule, bei ihr auftauchen und sie hofieren. Irgendwas kann da nicht stimmen – doch weil Dawn sonst keine Freunde hat, sieht sie über ihre Zweifel hinweg … – ein großer Fehler.

Bewertung:

„Killing God“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) ist ein nicht unbedingt von den ersten Seiten an zugängliches Buch – aber letztendlich gilt das für die meisten der Jugendbücher von Kevin Brooks. Allerdings kommt man in das neueste Buch des britischen Autors vielleicht noch weniger schnell hinein als in seine früheren Werke. Die Kapitel sind jeweils mit Songs der Band The Jesus and Mary Chain überschrieben, und immer wieder finden sich im Romantext Zitate aus den Songtexten der Punk-Band, die die Stimmungen und Gedanken von Dawn beschreiben und erweitern.

Mir ging es am Anfang so, dass ich eher etwas enttäuscht von dem Buch war. Wo blieb der Sog, der mich sonst nach 50 Seiten in die Geschichten von Kevin Brooks gezogen hat? Sicher, Dawn, die Erzählerin, wird gut eingeführt; sie ist eine seltsame Person, eine klassische Außenseiterin – das Mädchen bleibt einem auch als Leser etwas fremd. Manchmal hatte ich jedoch den Eindruck, dass Kevin Brooks seine Hauptfigur selbst nicht immer so ganz zu fassen bekam. Und die Liedtexte von The Jesus and Mary Chain sind sicherlich genial in das Buch eingearbeitet, zugleich bleiben sie aber vor allem für deutsche Leser schwer zugänglich und unterbrechen den Fluss der Geschichte.

Nach und nach wird man als Leser in die Geheimnisse von Dawns Familie eingeführt. Irgendwann erfährt man von der Geldtasche, die Dawn gefunden hat, und lange Zeit ist man etwas irritiert, weil Dawn mehrmals beschreibt, dass sie in ihrer Persönlichkeit gespalten ist. Dass dahinter ein größeres Familienschicksal steht, das nicht nur mit dem Verschwinden des Vaters in Zusammenhang steht, bekommt man relativ spät mit. Das gilt auch für die Dawns Beweggründe, Gott zu töten, die letztendlich ein Ausdruck dessen sind, dass ihr Vater sich im Laufe der Zeit zum Glauben hingezogen gefühlt hat. Anstatt dass ihm das jedoch Halt und Sicherheit in seinem Leben gegeben hat, führte es eher dazu, dass Dawns Vater immer unberechenbarer und zwiespältiger wurde.

Seine Stärken spielt Kevin Brooks in „Killing God“ dann erst auf den letzten 80 Seiten aus, als die Geschichte endlich vertrackter wird und zugleich an Fahrt aufnimmt. Dawn wird in eine Grenzsituation gebracht – wie man das aus anderen Büchern von Kevin Brooks kennt –, und endlich kann man etwas aufatmen, weil man das Gefühl bekommt, dass auch „Killing God“ ein typischer Kevin-Brooks-Roman ist. Zwischenzeitlich hatte ich betrauert, dass Brooks einiges der gewohnten Intensität und Gnadenlosigkeit verloren hatte.

Am Ende des Buches steht ein Showdown in besten Kevin-Brooks-Manier, der in einen recht offenen Schluss mündet. Folgerichtig ist der Schluss einerseits, andererseits lässt er einen auch leicht ratlos zurück. Wie geht die Geschichte um Dawn denn nun eigentlich aus? Tja, da ist wohl die Fantasie des Lesers gefragt …

Fazit:

4 von 5 Punkten. Ein schlechtes Buch ist „Killing God“ mitnichten, aber es zählt auch nicht zu den Höhepunkten in Kevin Brooks‘ Schaffen. Die erste Hälfte des Buches wirkt irgendwie ein bisschen vertrödelt und lässt die Intensität von Büchern wie „The Road of the Dead“ – nach wie vor meiner Meinung nach das dichteste Buch von Kevin Brooks – vermissen. Ein wenig schade ist das.

„Killing God“ ist nur ein gutes, aber nicht herausragendes Buch ist, zumindest wenn man Kevin Brooks‘ eigene Bücher zum Vergleich heranzieht. Vielleicht bin ich etwas mäkelig, und hätte „Killing God“ jemand anderes geschrieben, wäre es unter Umständen besser weggekommen. Aber wenn man eine individuelle Bezugsnorm anlegt, dann sind die drei Bücher davor („The Road of the Dead“, „Black Rabbit Summer“ und „Being“) eben die packenderen Bücher.

Kann es sein, dass das auch dtv so sieht? Oder warum erschien „Killing God“ im Gegensatz zu den letzten Büchern von Kevin Brooks in einem weniger hochwertigen Schutzumschlag und mit leicht schlechterem Papier? Schade ist auch das jedenfalls …

Kevin Brooks bleibt für mich trotzdem einer der besten Jugendbuchschriftsteller, die es im Moment gibt. Wer noch kein Buch von ihm kennt, sollte diese Bildungslücke dringend schließen, auch wenn seine Jugendromane dem Leser einiges zumuten.

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(Ulf Cronenberg, 19.02.2011)

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Und hier noch ein übersetztes Video-Interview mit Kevin Brooks zu „Killing God“:

Kommentare (6)

  1. Alice Gabathuler

    Mir ging es genau anders: Ich war auf der Brooks-Lesung an der Frankfurter Buchmesse 2009, an der Brooks den Anfgang von „Killing God“ vorgelesen hat. Damit hatte er mich. Es ist für mich der beste Buchanfang überhaupt und ich frage mich, wie Brooks so etwas noch toppen kann (und etwas neidisch frage ich mich, wie der auf solche Ideen kommt!).

    Nebst dem Buchanfang fesselt mich auch die Kombination von Songtext und Buch. Brooks macht in seinem Buch etwas, das ich ebenfalls gerne tun würde: Er verschmilzt Musik und Literatur zu einer Einheit (auch hier kommt bei mir etwas Neid auf: Wie hat er es geschafft, die Rechte von The Jesus and Mary Chain zu bekommen?).

    Kommt dazu: Form und Inhalt verschmelzen zu einer Einheit. Da ist nichts, das nicht passt, nichts, das nicht stimmig ist. Und wieder ist es ein Brooks-Buch, das die Haut aufritzt, ins Herz schneidet und gottvergessen weh tut.

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  2. Carola

    Ich bin ein „Brooks-Neuling“ und war deshalb sehr überrascht ob seiner sprachlichen Intensität und Dichte. Eigentlich bin ich nur „notgedrungen“ zum Lesen seines neuesten Werks „Killing God“ gekommen, da ich mit meiner Klasse gestern die Chance hatte, eine Lesung in Englisch mit ihm zu erleben.
    Für mich ist dieses erste Leseerlebnis der Ausgangspunkt für weitere Lektüre, und ich bin gespannt, was mich da erwartet. Ich finde, dass Kevin Brooks es ungemein glaubhaft schafft, die Sprache seines Zielpublikums zu sprechen. Wie macht er das nur??? Die Ruhelosigkeit, das Vorwärtsdrängende, Suchende spiegelt sich im Rhythmus seiner Sätze, und die Musikalität dahinter ist wirklich spürbar.
    Besonders deutlich wurde mir diese Authentizität bei der erlebten Lesung. Hier sprach jemand, der nicht vergessen hat, was es heißt, heranzuwachsen. Hut ab vor jemandem, der es liebt, Hüte zu tragen!

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  3. Barbara Beiner-Meßing

    Ich habe Kevin Brooks in Kombination mit Oliver Rohrbeck in Leipzig erlebt. Großartig!
    Zum Buch: Ja, Ulf, auch für mich bleibt „Killing God“ hinter den anderen Büchern (ich mag besonders „Being“) zurück. Der Titel „Killing God“ impliziert für mich eine eigene (Dawns) Auseinandersetzung mit Gott, mit der Frage nach Gottes Gerechtigkeit, vielleicht mit Religiosität an sich. Es geht aber um den Vater. Stellvertreterdiskussion? Jedenfalls fehlt mir eine Dimension, die der Titel (meines Erachtens) suggeriert.
    Naja, man kann nicht alles haben, oder?!
    Kevin Brooks ist trotzdem eine Klasse für sich. Ich freu mich schon auf sein neues Buch!

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  5. Ami

    Ich finde auch, dass Kevin Brooks schon bessere Bücher als „Killing God“ geschrieben hat. An „Lucas“, „Martyn Pig“ und „Kissing the Rain“ kommt es nicht heran. Vor allem führen der Titel und die Inhaltsangabe auf der Buchrückseite in die Irre: Man glaubt, das Buch handle von einem Mädchen, das einen Feldzug gegen Gott startet, aber als dann die zwei Mädels auftauchen, nimmt das Ganze eine ganz andere Richtung.

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