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Buchbesprechung: Lucy Christopher „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“

Cover Lucy ChristopherLesealter 14+(Chicken House-Verlag 2011, 365 Seiten)

Kamele in Australien? Am Anfang dachte ich, dass Lucy Christopher für ihr Buch nicht ordentlich recherchiert hat. Aber ich war im Unrecht. Es gibt in Australien wirklich Kamele (genauer gesagt: Dromedare, also einhöckrige Kamele), die allerdings erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Lastentiere eingeführt wurden und inzwischen wild auf dem Kontinent leben. Keine ganz unproblematische Sache ist das, denn die Kamele (ca. 1 Million Tiere!) verursachen erhebliche Umweltschäden. Wer mehr darüber wissen will, dem sei der Wikipedia-Artikel über Kamele in Australien empfohlen …

Noch wenigstens zwei kurze Sätze zu Lucy Christopher: Die Autorin ist in Australien aufgewachsen und lebt inzwischen in England. „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ist ihr erster Roman.

Inhalt:

Gemma befindet sich mit ihren Eltern auf dem Weg nach Vietnam und treibt sich während einer Zwischenlandung in Bangkok auf dem Flughafen dort herum, als ein junger Mann sie anspricht. Irgendwie kommt er ihr vertraut vor, sie kann sich jedoch nicht an ihn erinnern. Die beiden kommen miteinander ins Gespräch und er zahlt schließlich ihren Kaffee, weil sie keine einheimischen Münzen hat. Doch nachdem sie den Kaffee getrunken hat, wird Gemma schwummrig, sie bekommt kaum noch etwas mit, bevor sie schließlich ganz das Bewusstsein verliert.

Als sie wieder wach wird, weiß sie nicht, wo sie ist. Erst Schritt für Schritt orientiert sich Gemma wieder und ist dann entsetzt. Der junge Mann, der sich später als Ty vorstellt, scheint sie entführt zu haben. Gemma befindet sich auf einer verlassenen Farm mitten in der australischen Wüste und weiß nicht warum. Der einzige Mensch in ihrer Nähe ist Ty.

Das Mädchen hat große Angst und befürchtet, dass Ty ihr etwas antun oder sie töten will. Doch er versichert ihr, dass dem nicht so sei. Dennoch ist Gemma auf der Hut und versucht vor allem herauszufinden, wie sie fliehen kann. Doch das Haus scheint sich fernab von jeglicher Zivilisation zu befinden, und Ty macht ihr mehrmals deutlich, dass sie es nie schaffen würde, zu fliehen.

Nach und nach erfährt Gemma von Ty auch das ein oder andere über die Gründe für ihre Entführung – das alles ist ziemlich bizarr. Ty sagt, dass er Gemma zu ihrem eigenen Schutz entführt habe und weil er sie liebe. Doch das macht überhaupt keinen Sinn. Hat sie es mit einem Verrückten zu tun? Und was will Ty wirklich von ihr?

Bewertung:

Eine ziemlich abgefahrene Geschichte ist „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ (Übersetzung: Beate Schäfer) schon. Da entführt ein junger Mann ein Mädchen, schleppt es in die australische Wüste fernab von jeder Zivilisation und verhindert damit, dass das Mädchen abhauen kann. Doch das Seltsamste an der Story ist eigentlich der Grund, den Ty später im Buch nach und nach preisgibt, warum er Gemma entführt hat. Ich will nicht zu viel verraten: Es geht nicht um Erpressung, sondern eher darum, dass er das Mädchen so zu retten meint …

Aufmerksam bin ich auf Lucy Christophers Buch geworden, weil es in der März-Ausgabe des Bulletin Jugend & Literatur die Eule des Monats als bestes Buch verliehen bekommen hat – von daher hatte ich große Erwartungen an den Jugendroman, war allerdings nach den ersten 50 Seiten ziemlich enttäuscht. „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ hat einen ganz seltsamen Ton, weil die Erzählerin Gemma darin ihren Entführer anspricht:

Du hast mich gesehen, bevor ich dich gesehen habe. An diesem Tag damals im August, auf dem Flughafen, hat dieser Blick in deinen Augen gelegen – als wolltest du etwas von mir, als würdest du dich schon lange danach sehnen.

So beginnt das Buch – das klingt fast wie eine Liebesgeschichte. Diese Du-Anrede fand ich nach einigen Seiten ziemlich nervig. Später im Buch lässt sie etwas nach und die erzählerischen Anteile nehmen zu – und gegen Ende bekommt man mit, dass die Anrede durchaus ihre Funktion hat.

Überhaupt hat das Buch mit zunehmender Lesedauer für mich an Reiz gewonnen, und zwar vor allem aus zwei Gründen: Zum einen wird die Beschreibung der Wüste Australiens mit ihrer Tier- und Pflanzenwelt zunehmend interessanter, zum anderen wird das Buch psychologisch dichter. Was sich zwischen Gemma und Ty abspielt – immer aus der Sicht des Mädchens geschildert – wirkt nicht nur plausibel, sondern ist auch spannend.

Das Beste an dem Buch ist jedoch eindeutig dessen Schluss. Er zeigt, dass „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ein schlau konstruiertes Buch ist, und macht einem im Nachhinein einige Dinge deutlich, über die man sich anfangs gewundert hat. Leerstellen bleiben dennoch genug. So ganz kann man z. B. Tys Verhalten auch nach 300 Seiten nicht richtig fassen – aber das ist letztendlich eher etwas, was dem Buch einen besonderen Reiz mitgibt, als dass es stört.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Lucy Christophers Debütroman hat mich nicht vollends begeistert – das Buch hat seine Schwächen vor allem am Anfang, wo es mich nicht richtig gepackt hat. Insbesondere die Du-Ansprache fand ich nach einigen Seiten ziemlich nervig. Fast wollte ich das Buch schon aus der Hand legen, doch nach mehr als 100 Seiten hat „Ich wollte, ich könnte dich hassen“ dann doch an Faszination gewonnen. Das Buch wird psychologisch dichter, entfaltet Spannung und steuert auf ein unerwartetes und gut konstruiertes Ende zu. Wegen der letzten zwei Drittel des Jugendromans war ich dann auch mit dem eher drögen Anfangsdrittel wieder versöhnt.

Natürlich könnte man dem Buch noch einiges mehr ankreiden – vor allem, dass eine solche Entführung doch gar nicht möglich ist und vieles überkonstruiert wirkt. Doch durch die Beschränkung auf zwei Personen (wenn man von ein paar Seiten absieht) ist Lucy Christophers Roman fast so etwas wie ein psychologisches Kammerspiel, in dem vieles zugespitzt und eine Idee auf das Wesentliche reduziert wird.

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(Ulf Cronenberg, 13.02.2011)

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Kommentare (0)

  1. Sophie

    Ich habe dieses Buch gelesen und dachte mir, wow, das hat eine sehr interessante Erzählform, die das Buch meiner Meinung nach besser gestaltet! Daumen hoch …

    Antworten

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