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Buchbesprechung: Wolfgang Herrndorf „Tschick“

Cover Wolfgang HerrndorfLesealter 15+(Rowohlt-Verlag 2010, 254 Seiten)

Ist es Zufall, dass es in diesem Jahr so viele Jugendbücher gibt, in denen sich Jugendliche auf eine abenteuerliche Reise machen, um aus ihrem Alltag auszubrechen? Bei mir heißen diese Bücher in Anlehnung an Filme wie „Thelma & Louise“ „Roadmovie-Romane“, und vom Grundmotiv her finde ich solche Romane immer sehr spannend. Wer träumt nicht davon, aus seinem Alltag auszubrechen und alles hinter sich zu lassen, was einem täglich auf den Wecker geht? Genau diesen Nerv treffen Bücher wie Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ – ein Roman, der bei Rowohlt übrigens im Erwachsenenprogramm erschienen ist, aber dennoch auch für Jugendliche lesenswert ist.

Inhalt:

Maik Klingenberg ist ein extrem unauffälliger Schüler, der in seiner 8. Klasse keine Freunde hat. Zu Hause ist bei ihm auch nicht gerade alles einfach: Seine Mutter ist Alkoholikerin und fährt regelmäßig ein paar Wochen auf eine Beauty-Farm (wie Maiks Vater die Erziehungsklinik im Scherz nennt), während der Vater mit seiner Assistentin fremdgeht.

Als ein neuer Schüler mit einer bewegten Schulvergangenheit in Maiks Klasse kommt, ändert sich einiges für Maik. „Tschick“, wie der Aussiedlerjunge wegen seines komplizierten Namens meist nur genannt wird, ist erst seit vier Jahren in Deutschland, hat sich jedoch seitdem von der Förderschule bis zum Gymnasium hochgearbeitet. Allerdings macht Tschick den Eindruck, als wäre er ziemlich verwahrlost, es scheint so, als käme er öfter alkoholisiert in die Schule.

Zu Beginn der Sommerferien freunden sich Maik und Tschick an – just in dem Moment, als Maiks Mutter wieder auf eine Entziehungskur geht und der Vater mit seiner Assistentin angeblich geschäftlich für zwei Wochen unterwegs ist. Der Anweisung des Vaters, keinen Unsinn zu machen, kommt Maik nicht nach, als er mit Tschick beschließt, mit einem „geborgten“ klapprigen Lada in die Walachei zu fahren. Für zwei Vierzehnjährige ohne Fahrerlaubnis ein ziemlich gewagtes Unterfangen, das sie in viele Grenzsituationen bringt …

Bewertung:

Die Geschichte klingt genau so, wie man sich das von einem Roadmovie-Roman erwartet: Zwei Jungen, ein Langeweiler und ein ziemlich durchtriebener Typ, klauen ein Auto und wollen durch Europa fahren. Klar, dass da einiges passieren wird – und so ist es auch.

„Tschick“ ist nicht linear erzählt, sondern beginnt damit, dass Maik von dem Ende der Reise berichtet. Erst nach vier oder fünf kurzen Kapiteln wird dann die Geschichte von hinten aufgerollt. Ein klein wenig lange dauert es dann, bis Tschick und Maik sich schließlich auf der Straße befinden, und es ist der einzige kleine Kritikpunkt an Wolfgang Herrndorfs Buch, den ich habe: dass dieser Teil etwas zu lange geraten ist. Doch dann bietet „Tschick“ alles, was man sich von einer rastlosen Reise ins Unbekannte erwartet.

Ziemlich abgedrehte und skurrile Dinge sind es, die passieren. Da kommt natürlich die Polizei ins Spiel, oder ein Problem ist, dass Vierzehnjährige nicht einfach an einer Tankstelle vorfahren können, um Benzin nachzufüllen. Wie die beiden doch an ihr Benzin kommen, ist eine längere Geschichte, bei der einiges Unerwartete geschieht. Dabei lernen sie auf einem Schrottplatz z. B. Isa, ein herumstreunendes und schrecklich stinkendes Mädchen, kennen. Isa heftet sich den beiden Jungen an die Fersen, obwohl diese das gar nicht wollen. Also sind sie eine Zeit lang zu dritt unterwegs.

Immer wieder musste ich beim Lesen von „Tschick“ lachen – das Buch ist bevölkert von kauzigen Figuren, und eine seltsame Situation reiht sich an die andere. Ja, man wird einfach im besten Sinne durch dieses Buch unterhalten, sobald Maik und Tschick auf der Piste sind. Wolfgang Herrndorfs Roman ist ein Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft, die immer wieder auf die Probe gestellt wird, sie jedoch jedes Mal besteht. Am Ende des Romans wird man als Leser noch mit einer filmreifen und bedeutungsschwangeren Szene belohnt und kann das Buch dann glücklich aus der Hand legen.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Wolfgang Herrndorfs Buch ist bis auf den behäbigeren ersten Teil ein Roadmovie-Roman, wie man ihn sich wünscht. Das Buch ist luftig, es ist witzig, es bietet verrückte und originelle Szenarios – und hinter allem steht auch noch ein bisschen Nachdenklichkeit. Dem Autor gelingt es außerdem, den Ton eines 14-Jährigen gut zu treffen, wenn Maik als Ich-Erzähler manchmal etwas schnoddrig, insgesamt frei von der Leber und nie um einen Kraftausdruck verlegen erzählt.

„Tschick“ mag hauptsächlich in den Buchladen-Regalen für Erwachsene stehen, aber es ist genauso gut auch ein Geheimtipp für Jugendliche ab 15 Jahren. Beide Lesergruppen, Erwachsene wie Jugendliche, werden an dem Roman ihre Freude haben. Ich hoffe, diese Buchbesprechung verhilft dem lesenswerten Buch dazu, dass nicht nur erwachsene Literaturinteressierte zu dem Roman greifen …

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(Ulf Cronenberg, 06.11.2010)

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Kommentare (17)

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  3. Barbara Beiner-Meßing

    „Tschick“ war auf der Leipziger Buchmesse ziemlich präsent. Neugierig habe ich es mir quasi als Souvenier mitgenommen und bin wirklich begeistert: Witzig, kurzweilig, verrückt. Ich schließe mich Ulfs Urteil an: Auch ich will mehr solcher Bücher für Jugendliche UND Erwachsene!

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  5. Christoph Enzinger

    Dieses Buch erschien zu Recht im Erwachsenenprogramm. Denn Erwachsene können sich köstlich amüsieren über diese skurrilen und naiven Vierzehnjährigen und über diese abgedrehte und zum Teil unwahrscheinliche Handlung.
    Tja, aber ich glaube nicht, dass Jugendliche dieses Buch witzig finden. Letztlich lacht man ja ÜBER diese Jugendliche, obwohl sie ja eigentlich nur so sind, wie 14-Jährige eben sind: in vielem unerfahren.

    Dass dieses Buch den Deutschen Jugendliteraturpreis gewonnen hat, zeugt für die Qualität des Buchs. Aber dass der Preis in der Sparte „Kritikerjury“ erging, sagt viel aus. Das Buch gefällt erwachsenen Kritikern. Mir gefiel es auch sehr gut. Aber ich bin eben auch schon lange erwachsen.

    P.S.: Das Buch ist sehr filmisch angelegt und könnte ohne große Adaptionen verfilmt werden.

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    1. Ulf Cronenberg

      Hallo Christoph,
      ich wäre mir da nicht so sicher, ob ältere Jugendliche mit Sinn für Humor (so ab 15 Jahren) das Buch nicht auch toll finden werden. Mein noch 14-jähriger Sohn muss / darf es demnächst als Lektüre im Deutschunterricht lesen – da bin ich schon gespannt, ob und wie es ihm gefällt. Allerdings gibt es Schullektüren gegenüber ja schon mal aus Prinzip meist Vorbehalte.
      Dass man über die 14-Jährigen im Buch lacht, finde ich nicht. Sondern sie sind einfach nur sympathisch. Müde lächeln tut man dagegen eher über die Erwachsenen in dem Buch.
      Ja, auf die Verfilmung kann man wohl warten … Hoffentlich kümmert sich ein guter Regisseur darum.
      Viele Grüße, Ulf

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  6. Birgit V.

    Ich fand dieses Buch super witzig und lustig! Ein echtes Jugendbuch … 🙂

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  7. Linda Ziegler

    Hallo Christoph (Kommentar ein bisschen weiter unten),
    ich bin vierzehn und habe das Buch bereits mit dreizehn Jahren gelesen. Und ich muss sagen, dass es mir extrem gut gefallen hat. Ich habe es auch einigen Kolleginnen und Kollegen weiterempfohlen, denen hat es auch viel Freude bereitet. Noch heute ist es eines meiner drei Lieblingsbücher … 🙂 Es ist einfach ein Buch, das einen mit einem Lächeln durchs Leben gehen lässt, meiner Meinung also auch für viele Jugendliche gut geeignet.

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  8. Uwe Hehn

    Meine beiden Kinder (12 und 13) fanden es jedenfalls sehr gut und lustig. Und das obwohl der Jüngere so gar keine Leseratte ist …

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  9. Jan

    Mein Pingback hat wohl nicht funktioniert. Jedenfalls ein großartiges Buch und eine schöne Rezension, die du da geschrieben hast.

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  11. Carla

    Das Buch ist einfach nur großartig. Gerade für jugendliche Leser mittlerweile ein Klassiker. Nicht zuletzt wegen der wundervollen Freundschaft zwischen Maik und Tschick

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  15. Esther Denk

    zum lesealter möchte ich hier anmerken, dass ich 13jährige schüler (ich verzichte bewusst auf die weibliche form,weil ich bisher noch keine schülerinnen hatte, die das werk vorab schon kannten) habe, die dieses werk als absolute lieblingslektüre anführen – einige male sogar als einzige lektüre, die sie privat gelesen habe. bis heute auf alle fälle ein gern gelesenes werk für den d-unterricht. mit dem film mittlerweile auch hervorragend für den film-literatur-vergleich geeignet.

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