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Buchbesprechung: Dianne Touchell „Foster vergessen“

Cover: Dianne Touchell „Foster vergessen“Lesealter 14+(Königskinder-Verlag 2018, 253 Seiten)

Auf dem Cover die Vokale im zweiten Wort des Titels wegzulassen, ist schon ein cooler Kniff: „Foster v rg ss n“ steht dort, sehr passend für ein Buch, in dem es um Alzheimer geht. Ich mag solche typografischen Spielereien, und das Buch ist überhaupt ein bibliophiles Schmuckstück – dazu später noch einige Sätze. Dianne Touchell hatte vor gut zwei Jahren mit „Kleiner Wahn“, ihrem zweiten Jugendroman, einige Aufmerksamkeit erregt – ein gelungenes, aber durchaus schweres Buch über eine ungewollte Schwangerschaft. Bei „Foster vergessen“ hat die australische Autorin wieder kein leichtes Thema gewählt.

Inhalt:

Foster ist 7 Jahre alt und hat eine innige Beziehung zu seinem Vater. Stundenlang können die beiden zusammensitzen und sich Geschichten erzählen. Der Vater kann das besonders gut, und bringt seinem Sohn bei, selbst kreative Geschichten zu erdenken. Fosters Mutter hatte vor langer Zeit einen schweren Autounfall – ihr eines Auge ist seitdem entstellt, das Gesicht halbseitig gelähmt, aber ansonsten ist sie wieder im Großen und Ganzen fit.

Schleichend beginnt etwas, das Foster zunächst gar nicht versteht: Sein Vater vergisst zunehmend Dinge. Da lässt er aus Versehen den Herd an oder weiß mitten in einer Erzählung nicht mehr, wie es weitergeht. Foster bemerkt auch, dass sein Vater anders als früher geht: Er schlurft mit seinen Schuhen über den Boden, anstatt sie richtig anzuheben. Irgendwann kann sein Vater nicht mehr seine geschäftlichen Telefonate führen, und ist anfangs noch die Hoffnung da, dass all das wieder weggehen könnte, so bringen ärztliche Untersuchungen irgendwann zutage, dass Fosters Dad an Alzheimer leidet. Doch das wird Foster nie so richtig erklärt.

In der Familie ändert sich durch die Erkrankung des Vaters einiges. Tante Linda, die Schwester von Fosters Dad, kommt öfters vorbei – doch so ganz reibungslos läuft es zwischen Fosters Mutter und der Tante nicht. Gerade wenn Fosters Vater bestimmte Dinge gar nicht mehr versteht und dann oft auch ausfallend und aggressiv wird, geraten die beiden Frauen aneinander. Nicht nur weil seine Mutter mehr als früher arbeitet, sondern auch weil seine Mutter zunehmend mürrisch und zurückgezogen ist, hat Foster das Gefühl, dass sich niemand mehr um ihn kümmert …

Bewertung:

Über Alzheimer gibt es nicht allzu viele Jugendbücher – zumindest kenne ich eher wenige (Sarah N. Harveys „Arthur oder Wie ich lernte, den T-Bird zu fahren“ wäre eines, wo es zumindest um Demenz geht). Woran das liegt, darüber mag man spekulieren. Aber für eine Erkrankung, an der geschätzt in Deutschland ca. 700.000 Menschen leiden (Quelle; Wikipedia; 10.06.2018) – und der Prozentsatz dürfte in anderen Industrieländern ähnlich hoch sein –, ist das doch verwunderlich. Dass jemand wie Fosters Vater in eher jungen Jahren an Alzheimer erkrankt, ist eher selten, kommt aber vor.

Wenn ich an Dianne Touchells „Kleiner Wahn“ denke, das ich als erstes Buch von der australischen Autorin gelesen habe, überkommt mich noch jetzt ein kleines Schaudern. Der Roman hatte einen unterschwellig bedrohlichen Ton, der das Buch zu einer nicht ganz harmlosen Lektüre gemacht hat. Eine solche Bedrohlichkeit steckt – in leicht abgemilderter Form – auch in „Foster vergessen“ (Übersetzung: Birgit Schmitz; englischer Originaltitel: „Forgetting Foster“).

Erzählt wird der Roman aus der Sicht des 7-jährigen Jungen. Der personale Erzählstil hält den Leser auf Distanz – zur gesamten Geschichte, aber auch zur Hauptfigur Foster. Interessanterweise gibt diese Distanz Fosters Erleben eher eine bedrängende Note. Foster selbst versteht vieles von dem, was um ihn passiert gar nicht, spürt aber sehr wohl das Beunruhigende, das für alle von der Erkrankung seines Vaters ausgeht. Und das überträgt sich auf den Leser. Dianne Touchell nähert sich da auch gewissen Schmerzgrenzen. Sie schildert, wie überfordert sich Fosters Mutter fühlt, dass sie das sich und anderen aber nicht eingesteht. Eine Folge davon ist, dass Foster nicht nur seinen Vater nach und nach verliert, sondern auch seine Mutter. Am ehesten ist es noch Tante Linda, die sich um Foster kümmert.

Dass auch Foster überfordert ist, zeigt sich ebenfalls mehrmals. Besonders erschreckend: Schon bald macht in der Schule die Runde, dass sein Vater „der Verrückte“ sei. Versucht Foster, die Lästereien der Kumpels anfangs zu ignorieren, so stimmt er irgendwann in der Not, Anerkennung zu finden, mit ein und macht selbst Witze über seinen Vater. Eigentlich weiß er, dass das nicht in Ordnung ist, aber er kommt eben auch nicht mit der Situation klar. Logisch, dass das irgendwann als Bumerang zurückkommt.

Diese Dinge liest man nicht gerade mit Wohlbehagen – nein, es tut richtig weh, mitzuerleben, wie Foster sich verrennt, wie seine Mutter sich – woran auch immer – festkrallt, um die veränderte Situation zu überstehen. Im Raum steht zum Beispiel, dass sie einen anderen Mann kennengelernt hat. Das zeigt, wie sublim Dianne Touchell bis in kleinere Details ihre Geschichte aufzieht. Es steht nirgends etwas explizit von einem anderen Mann, aber es wird aus der Sicht von Foster erzählt, dass sie sich hübsch macht und schminkt, wenn sie aus dem Haus geht – einmal in einem Nebensatz steht etwas von „neuem Freund“, aber auch das bleibt zweideutig interpretierbar.

Überhaupt: Hinter dem ganzen Roman steckt viel Arbeit und Können. Was für eine Idee, dass Fosters Vater so gerne Geschichten erzählt – gut und erschreckend zugleich, denn Fosters Vater verliert das, was ihn für Foster zu etwas ganz Besonderem machte. Der Vater taucht in seine ganz eigenen Geschichten ab, losgekoppelt von der Realität. Dicht ist auch die Sprache im Buch: Die Metaphorik unterstreicht das Beunruhigende im Buch ebenso wie der bereits erwähnte personale Erzählstil.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Dianne Touchell hat sich ein schwieriges Thema gesucht, und sie hat es auf eine Art und Weise in ein Buch gepackt, dass man nicht umhin kommen kann, die Autorin zu bewundern. Wie Foster die Erkrankung seines Vaters an Alzheimer Stück für Stück mitbekommt, dadurch beunruhigt und darüber vergessen wird, das ist sehr eindrücklich festgehalten. Ob „Foster vergessen“ allerdings ein typisches Jugendbuch ist, darüber kann man geteilter Meinung sein … Zugänglich dürfte es aus verschiedenen Gründen für Jugendliche nur begrenzt sein: Die Hauptfigur ist keine Identifikationsfigur – allein schon des Alters wegen; die Bedrohlichkeit im Buch muss man aushalten können; und der Spannungsbogen ist subtil. Von daher würde ich fast sagen, dass Dianne Touchells Roman eher bei erwachsenen Leserinnen und Lesern auf Begeisterung stoßen wird als bei Jugendlichen.

Aber: Dieses Buch können eben auch Jugendliche lesen, ja, sie sollten es lesen, denn gekonnter wird man bisher in keinem mir bekannten Jugendroman an das Thema Alzheimer herangeführt. Man bekommt mit, in welchen Phasen die Krankheit verläuft, was es überhaupt heißt, wenn man sein Gedächtnis verliert; und man bekommt mit, wie sehr eine Familie dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird. Von Hoffnung liest man in dem Buch nicht viel – immerhin bekommt man in den letzten beiden Kaptiteln zaghaft eine Ahnung davon, dass Foster, seine Mutter und Tante Linda sich mit der neuen Lebensituation nach einer schweren Zeit arrangiert haben und dass Fosters Mutter ihren Sohn wieder wahrnimmt.

Einen eigenen lobenden Absatz hat abschließend die Buchgestaltung verdient. Neben dem besonders gestalteten Titel und dem dezent-geschmackvollen Buchcover mit der zerlaufenden Tinte ganz unten, ist noch mehr hervorzuheben. Unter dem Schutzumschlag sind – um ein Beispiel zu nennen – rote Wörter, die mit Vorsilbe „Ver-“ beginnen, auf den weißen Buchdeckel gedruckt: „Vertraut“, „Versuch“, „Versprechen“ oder „Verstand“. Und auf der Rückseite? Da findet man unter anderem folgende Wörter: „V rg sslich“, „Ve irrt“, V rlauf n“ und „Versc wund n“. Wenn eine Buchgestaltung so virtuos das Thema eines Buches aufgreift, kann man nur applaudieren. Ich hoffe, Königskinder macht so weiter!

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(Ulf Cronenberg, 11.06.2018)


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Kommentare (2)

  1. Sabrina Miseriaud

    Leider war’s das wohl mit den Königskindern… 🙁
    https://www.carlsen.de/blog/abschliessendes-koenigskinder-programm-im-fruehjahr

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Das wusste ich noch nicht und ist extrem schade. Das waren einfach alles ganz besondere Bücher, die bei Königskinder erschienen sind. Aber das war wohl zu wenig Mainstream.
      Danke für den Hinweis,
      viele Grüße, Ulf

      Antworten

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