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Buchbesprechung: David Levithan „Letztendlich sind wir dem Universum egal"

levithan_universumLesealter 14+(Fischer-Verlag 2014, 394 Seiten)

Ein ganz unbekannter Autor ist David Levithan in Jugendbuchkreisen auch hier in Deutschland nicht: Er hat mit John Green den Roman „Will & Will” (auf Deutsch 2012 erschienen) geschrieben, immer wieder auch mit Rachel Cohn zusammen Jugendromane (darunter „Naomi & Ely“) veröffentlicht. Dass er außerdem in den USA eine Reihe herausgibt (einen Imprint von Scholastic Press namens PUSH), in der besondere Werke junger Autoren abgedruckt werden, wusste ich allerdings noch nicht. David Levithan sagt selbst, dass er in seinen Büchern immer das Thema Liebe aufgreifen muss – für „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ hat er dabei auf eine ganz besonders ausgefallene Idee zurückgegriffen.

Inhalt:

A ist kein normaler Jugendlicher, sondern eine Art Seele ohne festen Körper. Jeden Morgen wacht A in einem anderen Körper auf, ohne dass er vorher weiß, wo das sein wird. Auch das Geschlecht wechselt dabei. Doch es gibt ein paar Regeln: Noch nie ist er im gleichen Körper gewesen, es sind außerdem immer Jugendliche, die in etwa seinem Alter entsprechen. Schon seit A ein Kleinkind gewesen ist, geht das so, und anfangs dachte er, dass das ganz normal sei, bis er irgendwann als Kind gemerkt hat, dass alle anderen Menschen ihren Körper behalten.

Eines Morgen wacht A im Körper von Justin auf, nicht in allem ein sympathischer Junge. In der Schule trifft er als Justin auf dessen Freundin Rhiannon. Die beiden beschließen, die Schule zu schwänzen und ans Meer zu fahren. A weiß, dass Justin seine Freundin oft schlecht behandelt und vernachlässigt, doch an diesem Tag ist Justin Rhiannon gegenüber ganz anders: zugewandt, schlagfertig, witzig und heiter.

Rhiannon mag sich über den veränderten Justin wundern, ihr tut es jedoch mehr als gut, dass er nicht so zugeknöpft wie sonst ist. Auch bei A kommt durch den gemeinsamen Nachmittag am Meer etwas ins Schwingen: Er fühlt sich zu Rhiannon hingezogen, und dieses Gefühl verlässt ihn auch nicht, als er am nächsten Morgen wieder in einem anderen Körper aufwacht.

Bisher hat es zu A’s Prinzipien gehört, dass er sich nie an andere Menschen gebunden hat. Doch bei Rhiannon bricht er diese Regel und nimmt die nächsten Tage in anderen Körpern immer wieder Kontakt zu ihr auf. Doch das geht nicht, ohne dass A sein Geheimnis preisgibt – etwas, was er noch nie gemacht hat. Und als Rhiannon davon erfährt, wird alles nicht gerade einfacher …

Bewertung:

„Letztendlich sind wir dem Universum egal“ (Übersetzung: Martina Tichy) ist eine Liebesgeschichte, ganz klar, aber darüber hinaus auch ein überaus interessantes philosophisches Gedanken-Experiment in Buchform. Was sich David Levithan da hat einfallen lassen, hat mich nicht nur als Idee fasziniert, sondern letztendlich auch in seiner Umsetzung begeistert.

Was wir als Leser miterleben, sind die Tage 5594 bis 6034 im Leben von A. In 40 Körper schlüpft A in dieser Zeit, und gleich die erste Figur ist Justin, mit der das Verhängnis seinen Lauf nimmt, weil A sich in Rhiannon verliebt. 40 Körper, das heißt unzählige Mädchen und Jungen, die ganz unterschiedlich sind: von der selbstbewussten farbigen Schönheit über den schüchternen und gehemmten Nerd, vom Mädchen, das sich eigentlich wie ein Junge fühlt, bis zum homosexuellen Jungen, der sich mit seinem Freund trifft. Ja, man bekommt ein ganzes Kaleidoskop an Jugendlichen geboten, und nicht immer fühlt sich A in den Körpern heimisch. Am spannendsten ist „Letztendlich sind wir dem Universum egal“, abgesehen von der weiteren Entwicklung der Liebesgeschichte, eigentlich immer dann, wenn A sich im Körper von Jugendlichen befindet, die aus der Reihe tanzen.

Rhiannon und A treffen sich, nachdem A quasi sein Coming-Out als „Körperwanderer“ hatte, immer wieder – für Rhiannon ist das alles andere als einfach. Das Mädchen fühlt sich zu A’s Persönlichkeit hingezogen, aber irgendwie steht der Mensch, in dem A steckt, dann doch auch immer wieder im Weg. Am deutlichsten wird das, als A ein fettleibiger Junge ist, der 140 kg auf die Waage bringt. Rhiannon wäre eine Heilige, würde sie sich davon gar nicht beeindrucken lassen …

Das Problem zwischen A und Rhiannon ist aber auch praktischer Natur: Da A nie weiß, in wessen Körper und an welchem Ort er am nächsten Tag aufwachen wird, ist nichts planbar. So muss A Rhiannon mehrmals versetzen, weil er einfach nicht weg kann aus dem Leben des aktuellen Tages – nicht gerade eine beziehungsförderliche Sache.

A ist einem als Leser sympathisch, man hat jedoch zunehmend auch Mitleid mit ihm, denn je länger man sein Leben verfolgt, desto besser lernt man auch die Schattenseiten der Körperwanderungen kennen: A muss damit leben, dass er nie feste Bindungen haben kann, dass sich niemand um ihn kümmert … Das ist die melancholische Seite von David Levithans Roman, der Fragen aufwirft, die man nicht so einfach vergisst und zur Seite legen kann.

Ich habe mich gegen Ende des Romans immer wieder gefragt, wie man eine solche Geschichte wohl zu Ende bringen mag und habe für mich keine Antwort gefunden. David Levithan ist das jedoch hervorragend geglückt – und das zeigt, dass in dem Buch einiges an Arbeit steckt. Man hätte als Leser gerne ein Happy End, ahnt aber, dass es dazu nicht kommen kann. Und irgendwie hat man am Ende beides: ein versöhnliches, aber dennoch melancholisches Ende. Vergessen ist da längst der kleine Hänger, den ich so um Seite 150 mal hatte, wo mir der ständige Körperwechsel, ohne dass wirklich was passiert, für kurze Zeit ein wenig den Lesegenuss geraubt hat.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ ist ein intelligentes Buch, ein grandioses Buch. Die Idee und Anlage der Geschichte ragen unter den Jugendbüchern heraus, denn das Buch stellt viele Fragen, persönliche wie grundsätzliche, die einem unter die Haut gehen. Das Thema Liebe steht dabei im Zentrum, und es geht dabei vor allem auch darum, ob man jemanden, egal in welchem Körper er/sie steckt, lieben kann. Doch David Levithans Roman ist deutlich mehr als eine Romanze.

A ist eine tragische Figur, mit der man das ganze Buch über mitfühlt und der man sich nicht entziehen kann. Entsprechend steigt die Spannung im Buch von Seite zu Seite (wenn man vom bereits erwähnten Hänger nach knapp Seite 150 absieht). Bravourös ist auch, wie David Levithan das Buch zu Ende bringt – ohne Kitsch. Eher traurig. Und einen als Leser nachdenklich zurücklassend. „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ ist ein ganz besonderes Buch, ein Buch, bei dem es sich lohnt, es mehrmals zu lesen.

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(Ulf Cronenberg, 06.04.2014)

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Kommentare (5)

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  4. T

    Tolle Rezension und tolles Buch. Dankeschön!

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