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Buchbesprechung: Kevin Brooks „Bunker Diary“

brooks_bunkerLesealter 15+(dtv 2014, 298 Seiten)

Was hat Kevin Brooks über sein neuestes Werk „Bunker Diary“ verlauten lassen? „Auf keinen anderen meiner Romane bin ich – zumindest im Augenblick – so stolz wie auf diesen, das ist sicher.” Nun, man könnte meinen, dass Autoren das immer über ihr letztes Werk sagen oder denken – aber zumindest, das sei vorab schon mal verraten, hat Kevin Brooks mal etwas Neues gewagt. Das sieht man bereits am Buchcover, das sich von dem seiner bisherigen Jugendromane absetzt. Ein stilisierter fensterloser Raum ganz in Grau ist hier zu sehen, dazu Schrift in Weiß und Orange. Sehr puristisch, aber durchaus ein Blickfang …

Inhalt:

Linus ist vor mehreren Monaten von zu Hause abgehauen und lebt seitdem auf der Straße. Seine Mutter ist schon vor einigen Jahren gestorben, sein Vater vergräbt sich seitdem in seine Arbeit als erfolgreicher und bekannter Comic-Zeichner. Seit Jahren hat er Linus darauf vertröstet, dass er bald kürzer treten könne, um mehr Zeit für Linus zu haben – passiert ist das jedoch nicht, und so hatte Linus irgendwann von seinem Vater die Schnauze voll.

An einem Morgen wird er vor dem Bahnhof von einem Blinden um Hilfe gebeten, dessen Rollstuhl in ein Auto zu verfrachten. Doch dabei wird Linus von dem Mann mit einem Betäubungsmittel außer Gefecht gesetzt. Er wacht einige Stunden später auf und befindet sich in einem unterirdischen Bunker, der außer einem Flur, einer Küche und einem Bad aus sechs Zimmern besteht.

Linus weiß gar nicht, wie ihm geschehen ist, untersucht die Räumlichkeiten, zu denen nur ein verschlossener Aufzug führt, er findet aber keinen Ausgang. Einige Tage später stößt eine andere Person zu ihm: Jenny ist ein 9-jähriges Mädchen, das ebenfalls betäubt und dann über den Aufzug in den Bunker gefahren wurde. Und so kommen in den nächsten Tagen noch vier weitere, ganz unterschiedliche Personen hinzu: Anja, eine Geschäftsfrau, Russell, ein farbiger Philosoph um die 70, Fred, ein Heroinsüchtiger, der erst mal auf Entzug ist, sowie Bird, ein Geschäftsmann.

Keine der sechs Personen weiß, warum sie in dem Bunker gelandet ist. Gemeinsam versuchen sie, ihre Fluchtmöglichkeiten auszuloten. Doch die ersten Versuche misslingen nicht nur, sondern sie werden auch dafür bestraft, indem ihnen das Essen gestrichen oder die Heizung ausgeschaltet wird. Je länger die gemeinsame Gefangenschaft dauert, desto mehr spitzen sich auch die Konflikte zwischen den Gefangenen zu …

Bewertung:

Die Story in „Bunker Diary“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) klingt schon bis dahin recht heftig – aber letztendlich spitzt sie sich im Laufe des Buches immer mehr zu. Wer auf Entspannung oder eine Erlösung hofft, der wartet vergebens … Was ich damit ausdrücken will, ist, dass Kevin Brooks’ neuer Roman nichts für Zartbesaitete ist, dass es sich bei dem Roman um ein ziemlich gnadenloses Buch handelt. Um das zu illustrieren: Ich habe die letzte Hälfte des Romans an zwei Abenden vor dem Schlafen im Bett gelesen, und in der ersten Nacht hatte ich einen Albtraum, in dem es um einen Bunker ging. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir so etwas schon mal passiert ist: dass ich wegen eines Buches schlecht geträumt habe …

„Bunker Diary“ kommt jedenfalls recht nihilistisch daher – das ist wohl die passende Beschreibung für das Buch. Eine Erklärung, warum die sechs Personen gefangen gehalten werden, bekommt man in dem Buch nämlich nicht präsentiert. Kevin Brooks hat in einem Text, der in meinem Leseexemplar abgedruckt war, auch kurz beschrieben, dass er vom Verlag gebeten wurde, den Entführer auftreten zu lassen oder dem Buch einen positiveren Schluss zu geben. Dass er dem widerstanden hat, ist ihm letztendlich anzurechnen, denn so ist aus „Bunker Diary“ ein gewagtes, ein gnaden- und kompromissloses Buch geworden.

Wer nun meint, dass „Bunker Diary“ eine schlimme Botschaft hat, liegt allerdings falsch. Die Story mag negativ oder nihilistisch sein, die Botschaft jedoch ist eine andere: Man sollte sein Leben schätzen, denn man weiß nie, was von einem Moment auf den anderen passieren kann. Klar, „Bunker Diary“ zeigt auch, dass Menschen selbst unter schlimmsten Bedingungen Fehden austragen, nicht zusammenhalten, sich bekämpfen und bekriegen. Aber gleichzeitig gibt es auch Hoffnungsvolles: Linus kümmert sich rührend um Jenny – und er, Russell und Fred halten im Wesentlichen zusammen.

Auch wenn Kevin Brooks für sich proklamiert, etwas ganz Neues geschrieben zu haben: Ich musste beim Lesen von „Bunker Diary“ immer wieder an andere Bücher denken. Was die Kompromisslosigkeit angeht, fühlte ich mich an „Nichts“ von Janne Teller erinnert, was die Bunker-Situation angeht, an „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Satre, in dem der berühmte Satz „Die Hölle, das sind die anderen.“ fällt. Das beschreibt auch ganz gut, was die Gruppendynamik im Bunker angeht: Es gibt mehrere Situationen im Buch, wo die sechs Personen übereinander herfallen.

Das ist übrigens gut gemacht: Die sechs Figuren des Buchs sind mit Bedacht gewählt, weil sie in ihrer Unterschiedlichkeit für verschiedene Lebensentwürfe stehen, die in einer Krisensituation aufeinandertreffen. Die Konflikte entstehen dabei immer wieder aus der Gruppenkonstellation heraus, weil sich Einzelne der Gefangenen nicht grün sind, werden aber zusätzlich durch den Entführer geschürt, z. B. indem eines Tages Zigaretten und Drogen im Aufzug in den Bunker befördert werden. Und das ist noch einer der harmloseren Momente in dem Buch …

Dreh- und Angelpunkt des Romans ist Linus, der über die Tage im Bunker Tagebuch führt. Immer wieder schweift er ab und berichtet von seinem früheren Leben, im Zentrum stehen aber immer die Erlebnisse im Bunker. Linus’ Verstörung, aber auch der Wille, durchzuhalten, sich zu wehren (wenn auch ohne Erfolg), lassen einen als Leser nicht los, sie werden ziemlich eindrücklich vermittelt. Harter Stoff!

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Ein Buch zum Mögen ist „Bunker Diary“ nicht, sondern eher ein Buch, das man vor Entsetzen nicht aus der Hand legen kann, bei dem man auf eine (Er-)Lösung wartet, allerdings – wie gesagt – vergebens. Die Bücher von Kevin Brooks erzählten noch nie harmlose Geschichten – es geht darin um Gewalt, um Grenzsituationen … Aber nach dem Lesen von „Bunker Diary“ kommt man nicht umhin zu bemerken, dass Kevin Brooks’ frühere Bücher weniger dunkel sind, weil sie zumindest in Ansätzen Erklärungen für die Gewalt bieten, außerdem in Teilen ein vergleichsweise versöhnliches Ende haben. „Bunker Diary“ ist frei hiervon: Die Gewalt ist willkürlich, die Menschen sind auf sich selbst gestellt, jeder Fünkchen Hoffnung wird demontiert und es gibt nicht ansatzweise ein Happy End.

Die bisherigen Stimmen über das Buch klingen begeistert … Aber so ganz vorbehaltlos kann ich dem nicht zustimmen, denn „Bunker Diary“ ist ein dunkles, ein klaustrophobisches Buch, dessen Inhalt einem zusetzt. Ja, Kevin Brooks ist diesmal so richtig gnadenlos, und das ist etwas, was ich einerseits zu schätzen weiß, was mich andererseits aber auch etwas ratlos und verstört zurücklässt – Gefühle, die ich von Janne Tellers „Nichts“ kenne. Um sich auf „Bunker Diary“ einlassen zu können, muss man sich schon einiges zumuten.

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(Ulf Cronenberg, 28.03.2014)

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Kommentare (7)

  1. Barbara Beiner-Meßing

    Lieber Ulf,
    wie du verfolge ich nun schon seit einigen Jahren Kevin Brooks` Werk. „Bunker Diaries“ ist wirklich gnadenlos. Völlig ernüchtert legt man es aus der Hand. Trotzdem großartig!

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  2. Pingback: Buchkritik: The bunker diary | Tidnings

  3. Daniel

    Man muss sagen, dass das Buch sehr fesselnd ist. Am Ende steht man mit sehr vielen Fragen da, deshalb würde ich das Buch für Menschen empfehlen, die nicht besonders über so etwas nachdenken.

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  4. Pingback: Buchbesprechung: Friedrich Ani „Die unterirdische Sonne“ | Jugendbuchtipps.de

  5. Vanessa

    Ich finde, dass das Buch sehr spannend ist. Ich war innerhalb weniger Tage damit durch, und es hat mir supergut gefallen. Kann es sein, dass die anderen Personen nicht Eva und Frank, sondern Anja und Fred heißen? Zumindest steht das so in meinem Buch … 🙂

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    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Oh ja, du hast recht, sie heißen auch in meinem Buch Anja und Fred … Blieb aber lange unbemerkt. Ich habe es jedenfalls ausgebessert. Danke für den Tipp.

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