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Buchbesprechung: Kevin Brooks „iBoy“

Cover Kevin BrooksLesealter 14+(dtv 2011, 300 Seiten)

Auf Kevin Brooks‘ Bücher freue ich mich immer ganz besonders, denn für mich ist der Engländer einer der begnadetsten Jugendbuchschriftsteller überhaupt – auch wenn es von ihm neben einigen herausragenden auch nicht ganz so gute Bücher gibt. „Killing God“, sein letzer Jugendroman, gehörte jedenfalls in die letzte der beiden Kategorien, und der Titel des neuen Buchs, „iBoy“, klingt irgendwie auch etwas seltsam … Trotzdem: Kevin-Brooks-Bücher sind Pflicht, die lasse ich auch nicht erst mal ein paar Wochen nach Erscheinen auf dem Lesestapel liegen.

Inhalt:

Für Tom ist der Nachmittag des 5. März der Moment, der sein Leben auf den Kopf stellt. Um 4 Uhr hat er sich mit seiner Sandkastenfreundin Lucy, in die er inzwischen verliebt ist, verabredet, und als er kurz vorher vor dem Wohnblock steht, in dem sie lebt, trifft ihn mit voller Wucht ein iPhone 3 GS, das aus dem 30. Stock herabfällt, auf dem Kopf.

Mehrere Tage lang ist Tom bewusstlos, und als er schließlich im Krankenhaus wieder aufwacht, wollen die Ärzte ihn zur Beobachtung noch einige Tage in der Klinik lassen, denn nicht alle Teile des iPhones konnten aus seinem Gehirn entfernt werden. Als er mit seiner Großmutter, bei der er lebt, wieder zu Hause ist, bemerkt er, dass irgendetwas anders ist. In seinem Kopf spielen sich seltsame Dinge ab, und schon bald stellt er fest, dass er unbeschränkten Zugriff auf das gesamte Internet sowie das Handynetz hat. Auch andere neue Fähigkeiten entdeckt er an sich: So kann er seine Haut mit Strom aufladen und anderen einen Stromschlag verabreichen …

Das Stadtviertel, in dem Tom lebt, ist berüchtigt. In der Hochhaussiedlung ist Gewalt an der Tagesordnung. Es wird gedealt, zwei Gangs streiten mit Brutalität um die Vorherrschaft und schikanieren die Menschen. Das Schlimmste ist, dass Lucy an dem Nachmittag, an dem Tom von dem iPhone getroffen wurde, von mehreren Jungen einer Gang in ihrer Wohnung vergewaltigt worden war.

Durch seine neue Fähigkeiten bekommt Tom bald heraus, wer an Lucys Vergewaltigung beteiligt war, und er beschließt, sich zu rächen. Tom verwandelt sich immer wieder in iBoy, einen Superhelden, der den Tätern übel mitzuspielen und sie zu jagen versucht …

Bewertung:

Ist das nicht eine etwas seltsam anmutende Geschichte? Wie soll sich ein iPhone mit dem Gehirn eines Jungen verbinden? Das mag man sich fragen, und dennoch, auch wenn es anfangs vielleicht gar nicht so scheint: „iBoy“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) ist ein typischer Kevin-Brooks-Roman, und ich war froh, dass Brooks sich nach „Killing God“, das einige Schwächen hatte, wieder seinen alten Stärken zugewandt hat. Tom ist eine Hauptfigur, wie man sie aus anderen Romanen von Kevin Brooks kennt: ein sensibler Junge, der in eine Grenzsituation gebracht wird, die sein Leben auf den Kopf stellt.

Die Grundidee mit dem iPhone, durch das Tom neue Fähigkeiten bekommt, ist natürlich etwas abstrus. Aber man muss sie als Gedankenspiel ansehen, als Versuch, etwas auf die Spitze zu treiben – und eigentlich stört die Idee auch überhaupt nicht. Man akzeptiert sie schnell als literarisches Experiment, bei dem sich Mensch und Maschine miteinander verbinden und ein Mensch mit zusätzlichen Fähigkeiten und mit einer nie gekannten Macht ausgestattet wird. Bis auf dieses eine etwas futuristisch erscheinende Element ist „iBoy“ auch kein Science-Fiction-Roman, sondern spielt in der Gegenwart.

Der Schlüssel zur Geschichte ist Tom, der die Möglichkeit bekommt, durch seine iBoy-Fähigkeiten ein wenig Gott zu spielen. Tom fühlt sich manchmal zu Handlungen gezwungen, um für Gerechtigkeit zu sorgen, gleichzeitig erschrickt er darüber immer wieder selbst; in ruhigen Momenten fragt er sich, ob er richtig handelt oder nicht alles nur noch schlimmer macht. „iBoy“ ist zugleich auf einer zweiten Ebene auch ein philosophisch angehauchtes Buch über Macht und Rache, und darüber, wie beide einen Menschen verändern. Gut und Böse, Richtig und Falsch verschwimmen zunehmend, sie lösen sich auf, und es wird immer schwerer, den richtigen Weg zu wählen.

Man kann an „iBoy“ kritisieren, dass Kevin Brooks ein wenig in eigenen Gefilden wildert. Versatzstücke kennt man so ähnlich aus anderen Büchern: die Verbindung von Mensch und Maschine aus „Being“, die schonungslose Gewalt im Showdown sowie als Hauptfigur einen Jungen, der in eine aussichtslose Gewaltspirale hineingezogen wird, aus „The Road of the Dead“ … Das ändert jedoch nichts daran, dass man sich Kevin Brooks‘ neuestem Buch nicht entziehen kann. Es ist dieses fast schon unheimliche Gespür dafür, wie Menschen ticken, wie sie sich in hoffnungslosen Momenten verhalten, wie sie Gewalt zu verarbeiten versuchen, das Kevin Brooks‘ Bücher so einzigartig macht. In diesem Bereich gibt es einfach niemanden, der Kevin Brooks das Wasser reichen kann – und das zeigt sich auch in „iBoy“.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Kevin Brooks macht wieder einmal vor, was einen guten Thriller ausmacht: Es knistert vor Spannung, sie ist jedoch nicht Selbstzweck; man will nicht aufhören zu lesen, doch das liegt nicht nur an dem Drive der Geschichte, sondern auch daran, dass hinter allem einiges mehr steht. „iBoy“ ist ein intelligentes literarisches Gedankenexperiment, in dem durch die Grenzsituation, in die Tom katapultiert wird, philosophische Fragen nach dem Menschsein aufgeworfen werden.

Dass „iBoy“ funktioniert, obwohl man manches schon aus anderen Büchern des Autors kennt, zeigt, wie virtuos Kevin Brooks schreibt. Der Spannungsbogen ist einmal mehr gekonnt gespannt, der Geschichte kann man sich nicht entziehen und die Figuren sind dicht gezeichnet. „iBoy“ ist nicht unbedingt Kevin Brooks‘ bestes Buch (das ist für mich noch immer „The Road of the Dead“), aber eines, das es locker mit anderen Thrillern auf dem Jugendbuchmarkt aufnehmen kann. Von daher könnte man dem Buch auch fünf Punkte geben – aber auf der Kevin-Brooks-Skala sind es eben nur 4-einhalb …

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(Ulf Cronenberg, 21.08.2011)

Kommentare (0)

  1. Ich

    Dieses Buch hat mir eine Freundin empfohlen. Als ich das Buch zum ersten Mal gesehen habe, war ich anfangs skeptisch, aber nach dieser Kritik bin ich mir sicher, dass ich es lesen werde.

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  2. Nico

    Ich würde noch weitere Bücher dieser Art suchen, kann bisher aber keine vergleichbaren Bücher finden.

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    1. Ulf Cronenberg

      Schau dir einfach mal die anderen Bücher von Kevin Brooks an. Ansonsten kann ich noch Anthony McGowans “Der Tag, an dem ich starb” oder Blake Nelsons “Paranoid Park” empfehlen, wenn es dir um die Thrillerelemente in Büchern geht.

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  4. Leseratte

    Ich musste das Buch lesen und fand es eigentlich auch ganz gut. Aber das mit dem iPhone ist schon ein wenig unrealistisch.

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  5. readeralex

    Auch wenn die Geschichte mit dem iPhone etwas schräg ist, hat mir das Buch sehr gut gefallen. Von mir gibt es die volle Punktzahl.

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  6. Christoph Enzinger

    „Faszinierend.“ (Commander Spock)
    So, jetzt habe ich auch ein vielsagendes Zitat vorangestellt, wie Kevin Brooks jedem Kapitel in diesem Buch.
    Das Thema „Cyborg“ taucht immer wieder in der Jugendliteratur auf. Erst neulich las ich „Black out“ von Andreas Eschbach, wo der Protagonist ähnliche Fähigkeiten hat. Der Unterschied: Eschbach ist in technischer Hinsicht glaubwürdiger. Bei Brooks ist von Anfang an klar, dass es sich um Science-Fiction handelt, aber man akzeptiert die Unwahrscheinlichkeiten trotzdem bis zum Schluss. Dies liegt wahrscheinlich an dem „gelungenen literarischen Experiment“ wie Ulf schreibt. Voller brutaler Gewalt, wie immer bei Brooks, aber diesmal ist das irgendwie anders. Neu finde ich, dass der Protagonist eigentlich ein „Feigling“ ist, wie er sich selbst bezeichnet, und über seine ausgeübte Gewalt reflektiert. Dadurch diskutiert Brooks auch den Sinn von „Rache“. Was ich bei Brooks auch bisher sehr abstoßend fand: Man kann sich mit keiner Figur so richtig anfreunden. In diesem Buch werden gleich mehrere Identifikationsflächen geboten: Man empfindet Mitleid, Sympathie, Wut mit den Figuren.
    Schwach fand ich die sehr geradlinige und eigentlich etwas vorhersehbare Geschichte. Wie immer kann ich mich Ulf nur anschließen: 4.5 Punkte.

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    1. Ulf Cronenberg

      Das mit dem „Feigling“ des Protagonisten kennt man von Kevin Brooks aber schon: Bei „Black Rabbit Summer“ und „The Road of the Dead“ war das nicht anders.

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  7. Yannick

    Ich habe über dieses Buch eine Lesemappe und eine Buchvorstellung in der Schule gemacht. Ich finde es sehr spannend, aber es war schwierig, 12 Seiten in die Lesemappe zu bekommen, denn mit Steckbriefen geht es nicht so gut, weil eigentlich nur Tom sehr gut beschrieben wird.
    Das Buch war trotzdem sehr gut, von mir volle Punktzahl.

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  8. EZ

    Ich hatte das Buch in kurzer Zeit gelesen (ca. 6 Stunden nonstopp). Ob dies an der Kürze des Buches oder meinem Interesse liegt, kann ich nicht genau sagen. Auf jeden Gall ist es unterhaltsam, nicht zuletzt wegen den inneren Zweifeln der Hauptperson mit seinem Handeln und der unvorstellbaren Herkunft seiner Superkräfte. Was mich am meisten an diesem Buch interessierte, waren die in mir aufwallenden Fragen:
    – Wie wird es in Zukunft sein, wenn die Interaktion mit dem Web immer „intuitiver“ wird?
    – Worauf wird die Forschung an Hirnimplantaten hinauslaufen?
    Sehr interessante Fragen, wenn man computerinteressiert ist.

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  9. Taylan

    Kommt von „iBoy“ auch noch ein Film raus? Würde bestimmt bocken … =)

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    1. Ulf Cronenberg

      Mir ist da zumindest nichts bekannt.

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  10. Kevin

    Das beste Buch!!

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  11. Blauwal

    Richtig geiles Buch, nur zu empfehlen!!!

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  12. Beatrix Petrikowski

    Andere Bücher kenne ich von diesem Autor nicht, deshalb kann ich keine Vergleiche anstellen. Aber dieses Buch ist sowohl spannend und man kann einige interessante Dinge daraus lernen. Deshalb ist es nicht nur für Jugendliche gemacht.

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