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Buchbesprechung: Gina Mayer „Die Wildnis in mir“

Cover Gina MayerLesealter 13+(Thienemann-Verlag 2011, 327 Seiten)

Immer, wenn ich in den letzten Jahren Bilder von Namibia gesehen habe, kam bei mir der Wunsch auf, das Land einmal zu sehen. Bisher ist es dazu aber nicht gekommen (und ich schätze, das wird auch noch ein Weilchen so bleiben). Wer einmal bei Google nach Fotos von dem Land stöbert, kann das vielleicht nachvollziehen – zumindest sofern man auch karge Wüstenlandschaften mag.

Namibia hieß früher Südwestafrika und war eine deutsche Kolonie. Und genau dort spielt während der Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert Gina Mayers neuer Jugendroman.

Inhalt:

Seit dem Tod ihres Vaters vor einigen Jahren führen Henrietta (die meist Jette genannt wird) und ihre Mutter ein ärmliches Leben und kommen gerade so über die Runden. Doch der Traum Jettes, wie ihr Vater Lehrer zu werden, platzt, denn das für die Ausbildung notwendige Geld haben Jette und ihre Mutter nicht.

So soll Jette schließlich als Dienstmagd auf einem Hof beginnen – doch das will das Mädchen verhindern. Ihrer Mutter gegenüber gibt sie vor, dass ein älterer Angestellter des Hofs ihr unsittlich nachgestellt habe. In ihrer Not vertraut sich Jettes Mutter dem Pastor der Gemeinde an, und er kommt auf die Idee, dass Jette und ihre Mutter nach Südwestafrika zu einem Missionar, dessen Frau gestorben ist, ziehen könnten. Schließlich verlassen die beiden Ende Januar 1900 wirklich Wuppertal, um mit dem Schiff nach Südwestafrika überzusiedeln und ein neues Leben zu beginnen.

Die hohen Erwartungen von Henrietta werden jedoch bitter enttäuscht. Die Mission in Bethanien, einem Ort in Südwestafrika, ist ziemlich heruntergekommen, Freudenreich, der Missionar ist alles andere als nett zu Jette, und ihrer Mutter geht es schon kurz nach der Ankunft schlecht: Sie hustet Blut. Doch Henrietta ist zu sehr mit ihrem eigenen Leid beschäftigt, um zu bemerken, dass ihre Mutter nicht mehr lange leben wird.

Als Henriettas Mutter schließlich stirbt, ist das Mädchen völlig ratlos. Mit ihrem neuen Stiefvater hält sie es nicht aus, und die einzige Möglichkeit, etwas zu ändern, scheint zu sein, dass sie flieht. Sie will zu einer anderen Missionarsfamilie nach Südafrika, die sie auf dem Schiff nach Südwestafrika kennen gelernt hat. Doch der erste Fluchtversuch misslingt, beim zweiten bekommt sie Unterstützung von einem Schwarzen, der in der Missionsstation arbeitet: Petrus bringt sie zunächst zu seinem Stamm …

Bewertung:

„Die Wildnis in mir“ ist das erste Jugendbuch über die deutsche Kolonialzeit im heutigen Namibia, das ich gelesen habe – ein nicht unbedingt ruhmreiches Kapitel der deutschen Geschichte, das im Geschichtsunterricht zumindest zu meiner Zeit – wenn überhaupt – nur gestreift wurde. Dass man durch Gina Mayers Buch darüber einiges erfährt, ist schon einmal positiv hervorzuheben.

Ansonsten war ich beim Lesen des Jugendromans insgesamt etwas zwiespältig. Das Buch ist sprachlich rund und liest sich angenehm. So einige Kitschfallen, bei denen ich mir dachte: „Hoffentlich passiert jetzt nicht dies und das …“, hat Gina Mayer erfolgreich umschifft. Das gilt z. B. für die Zeit Henriettas beim Nama-Volk. Dass die Nama und Henrietta sich letztendlich immer fremd bleiben und sich nicht verstehen, zählt zu den Stärken des Romans. Außerdem taucht man schnell in die Geschichte ab und fiebert schon bald mit Henrietta mit.

Doch es gibt zugleich auch einiges, das mich gestört hat. Allem voran ist hier die Figur von Petrus zu nennen, einem Farbigen des Nama-Stammes, der als Viehtreiber auf der Missionsstation Bethanien arbeitet. Die Figur ist mir deutlich zu klischeehaft angelegt. Um das kurz (und nicht in allen Details) zu begründen: Da spielt ein Farbiger absichtlich den Dummen, tut so, als könne er nur rudimentär à la „Nix verstehen“ Deutsch und entpuppt sich schließlich als wissbegieriger und höchst sensibler Mensch, der Henrietta aus ihrer Notlage zu retten bereit ist. Petrus ist eine Figur, die dann doch nicht so recht zu einem sauber recherchierten Buch mit einem gewissen historischen Anspruch passt, und irgendwie wirkt sie auch wie ein Zugeständnis an den Publikumsgeschmack: der exotische Farbige, in den sich Henrietta schließlich verlieben muss (immerhin verliert sich die Geschichte hier nicht). Weitere Beispiele für fragwürdige Klischees ließen sich einige nennen, aber dann wäre auch zu viel über den Inhalt des Buches verraten …

Dass Henrietta manchmal in ihren Gedanken zu sehr ein Mädchen von heute zu sein scheint, stört mich dagegen weniger, auch wenn es den historischen Anstrich fragwürdig erscheinen lässt. Henrietta reflektiert, was mit ihr passiert, sie will sich aufrappeln und aus der Enge ihres Lebens fliehen, was ihr trotz vieler Rückschläge auch gelingt. Allerdings bekräftigt dies wieder einmal meine grundsätzlichen Vorbehalte historischen Romanen gegenüber: dass sie einem oft mehr über unsere heutige als über die beschriebene Zeit verraten.

Fazit:

3 von 5 Punkten. Sicher ist „Die Wildnis in mir“ eher ein Buch für Mädchen als für Jungen, und wohl genau deswegen ist mir Gina Mayers neuer Jugendroman alles in allem immer etwas fremd geblieben. Das Grundthema des Buchs an sich ist interessant und verdient es, thematisiert zu werden (auch wenn es über Deutsche in Afrika meiner Meinung nach bessere Jugendbücher gibt, z. B. Hermann Schulz‘ „Leg nieder dein Herz“); und sprachlich fand ich „Die Wildnis in mir“ durchaus überzeugend.

Doch was die Geschichte angeht, so ist sie mir an einigen Stellen zu stereotyp angelegt. Während in dem Buch manchmal Dinge erstaunlich differenziert betrachtet werden, wird an anderen Stellen einiges verschleiert und landet das Buch zu sehr im braven Mainstream, der bedacht, aber doch zu deutlich ab und an gewisse Klischees bedient. Buchcover und Titel (der meiner Meinung nach gar nichts mit dem Buchinhalt zu tun hat) verdeutlichen das beispielhaft, und der etwas rührselige, für meinen Geschmack zu hoffnungsvoll-naive Buchschluss unterstreicht dies noch einmal.

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(Ulf Cronenberg, 23.08.2011)

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