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Buchbesprechung: Gordon Korman „The Fort“

Cover: Gordon Korman „The Fort“Lesealter 12+(Beltz & Gelberg 2024, 249 Seiten)

Seltsam, dass der Titel der deutschen Übersetzung auch „The Fort“ heißt und nicht übersetzt wurde. Es wäre ja durchaus „Das Fort“ als Titel denkbar gewesen … Der Autor Gordon Korman ist Kanadier, lebt aber inzwischen auf Long Island (New York); und der Name sagt mir bisher absolut gar nichts, auch wenn (ich habe gerade nachgeschaut) vom Autor schon auf Deutsch Kinderbücher erschienen sind. „The Fort“ trägt den Untertitel „Das Geheimnis eines Sommers“, und was einen erwartet – das sei schon mal verraten – ist eine Abenteuergeschichte.

Inhalt:

Ricky ist noch relativ neu in der Stadt, Freunde hat er bisher nicht gewinnen können, was auch damit zusammenhängt, dass er seine Schlauheit oft zur Schau trägt. Das ist nicht mal Absicht, er kann nicht anders. Als sein Zimmer durch einen Sturm verwüstet wird, kommt er bei Evan unter. Der ist alles andere als begeistert davon, aber seine Großeltern, die Evan und seinen Bruder Luke großziehen, lassen nicht mit sich reden. Und so kommt es, dass Evan Ricky auch noch mit zu seinen Freunden nehmen muss. Widerwillig.

Evan und seine Kumpel haben die letzten Wochen im Wald versteckt ein Fort gebaut – Unterschlupf wäre wohl der bessere Begriff dafür. Aber der Sturm hat hier alles verwüstet, vom Fort ist nicht mehr viel übrig. Doch dann stößt Ricky, der sich nicht abschütteln ließ, als Evan und seine Freunde in den Wald gingen, nicht weit entfernt von ihrem Fort durch Zufall auf eine seltsame Eisentür im Boden, die der Sturm ebenfalls freigelegt hat. Die fünf Jungen staunen nicht schlecht, als sich darunter ein bestens eingerichteter, aber seit vielen Jahren verlassener Bunker befindet.

Niemand soll von ihrer Entdeckung erfahren. Das Fort, das seinen Namen nun wirklich verdient, entpuppt sich als Glücksfall für die Freunde. Hier können sie abhängen, auf einem alten Fernseher alte Filme auf Videokassetten gucken; ja, sogar die 40 Jahre alten Konservendosen sind noch essbar. Und für manche von den fünf ist das Fort außerdem ein Ort, wo sie ihre Ruhe vor der gar nicht angenehmen Welt draußen haben, wo sie unter anderem vor Luke, Evans größerem Bruder, und dessen gewaltbereitem Freund Jaeger auf der Hut sein müssen.

Bewertung:

„The Fort“ (Übersetzung: Kanut Kirches; identischer amerikanischer Originaltitel) ist eine typische Abenteuergeschichte mit einer ganz besonderen Idee. Dass die vier Freunde plus Ricky im Wald einen alten Atombunker entdecken, damit einen Rückzugsort finden, in dem sie nicht nur Zeit miteinander verbringen, sondern der ihnen zum Teil auch Zuflucht vor den schwierigen Dingen des Lebens gewährt, macht das Buch zu einem besonderen Erlebnis. Und bei den vier Freunden ist einiges los, vor dem man gerne flüchtet …

Gordon Korman hat sicher länger überlegt, welche Figurenkonstellation er für das Buch wählt, und ich kann mir vorstellen, dass da einiges an Hirnschmalz hineingeflossen ist. Jedenfalls ist da alles, finde ich, bestens austariert; der Kinderroman deckt viele Situationen ab, mit denen Jugendliche heute konfrontiert sind. Da ist Mitchell, dessen Zwänge ihm oft das Leben schwermachen und dessen alleinerziehende Mutter kaum über die Runden kommt; da gibt es C. J., von dem alle meinen, dass er einen tollen Stiefvater hat. Die Realität sieht aber leider ganz anderes aus. Sein Stiefvater ist cholerisch, jähzornig und wird C. J. und dessen Mutter gegenüber regelmäßig gewalttätig. Evan ist mit seinem größeren Bruder Luke bei den Großeltern aufgewachsen; ihre drogensüchtigen Eltern haben sich schon vor längerer Zeit aus dem Staub gemacht. Und Jason hat vielleicht die harmlosesten Probleme: Er ist der Einzige, der mit Janelle eine Freundin hat, und ihr darf er nichts vom Fort erzählen. Janelle hat außerdem so ihre Ansprüche an ihn; sie spielt im späteren Verlauf des Buches aber auch eine andere wichtige Rolle.

In diese Viererclique kommt Ricky, ein wissensdurstiger und hochbegabter Schüler, der von den anderen in der Clique als Fremdkörper angesehen wird – auch von Evan, der ihn vorübergehend gegen seinen Willen bei sich zu Hause aufnehmen muss. Allerdings ist es dann auch Ricky, der vieles von dem, was an Positivem angesichts der schwierigen Verhältnisse von Mitchell und C. J. irgendwann passiert, anstößt. Ricky ist ein wacher Geist, der zwar oft klugscheißerisch unterwegs ist, sich aber eben um andere kümmert und Dinge bemerkt, die anderen nicht auffallen.

Wenn man die fünf Hauptfiguren hier so beschreibt, könnte man meinen, Gordon Korman hat es bei den Figuren etwas mit den Problemgeschichten dahinter übertrieben. Aber mich hat das alles in dem Buch keine einzige Sekunde gestört, und das liegt daran, dass alle fünf eben grundsätzlich erst mal einfach typische Jungen sind und sich auch in vielem so verhalten. Sie sind begeistert von Videospielen, lieben es, verbotene Filme zu gucken, haben Geheimnisse. Gordon Korman erzählt die tragischen Momente im Buch außerdem sehr einfühlsam, er beschreibt, er bleibt bei der Sicht der Jungen und moralisiert nicht. Das gelingt dadurch, dass alle fünf Jungen sich als Erzähler abwechseln; die Perspektive wechselt jedes Kapitel.

Zwei weitere Figuren spielen im Roman außerdem eine wichtige Rolle: Evans Bruder Luke und Jaeger, der schon älter ist, ein laut röhrendes Auto besitzt und ein gehöriges kriminelles Potenzial mitbringt. Jaeger ahnt nicht nur, dass die fünf Jungen ein Geheimnis haben, er bemerkt auch, dass sie auf einmal mehr Geld als früher ausgeben (der Grund: sie verhökern etwas Wertvolles aus dem Bunker). Das kann Jaeger natürlich nicht so stehen lassen: Er will die Quelle des neuen Reichtums in Erfahrung bringen und das Geld selbst einheimsen. Auch von dieser Seite kommt einiges an Spannung in die Geschichte, und am Ende steht ein großer Showdown, wie es sich für ein gutes Abenteuerbuch gehört. Auch der Spannungsbogen im Buch passt.

Es sind so einige psychologische Dinge, die man am Rand als Leser/in mitbekommt und die das Buch wertvoll machen. C. J. will seinen Freunden zum Beispiel nichts von der Gewalttätigkeit seines Stiefvaters erzählen, weil er fürchtet, dass seine Mutter das ausbaden darf und dann noch mehr leiden muss. Mitchell mag auch nicht viel darüber berichten, dass er und seine Mutter große finanzielle Nöte haben. Das sind beides erklärbare Verhaltensweisen, die man aus der Wirklichkeit kennt. Gordon Korman hat hier gut recherchiert und gestaltet seine Figuren plausibel.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Ich bin absolut begeistert von „The Fort“. Was ist das für eine tolle Abenteuergeschichte, die nicht nur Spannung bietet, sondern die Leser/innen außerdem mit schwierigen Lebenssituation konfrontiert – und zwar ohne dass es krampfhaft wirkt. Diesen Spagat so meisterhaft hinzubekommen, ein ernsthaftes Abenteuerbuch zu schreiben – das muss man erst mal schaffen. Dass man nebenbei den Bunker durchaus auch als Metapher dafür ansehen kann, dass Kinder und Jugendliche einen Schutzraum brauchen, rundet den positiven Eindruck von dem Buch ab.

„The Fort“ ist damit ein Buch, das man gerade auch Jungen im Alter von 11 oder 12 Jahren – einem Alter, in dem viele Jungen wenig lesen – in die Hand legen kann, weil sie einiges zum Andocken finden. Aber auch Mädchen haben es in dem Buch nicht schwer: Sie bekommen mit Janelle, Jasons Freundin, auch wenn sie lange nicht so im Zentrum steht, durchaus auch eine Identifkationsfigur angeboten. An ihrer Figur gefällt mir, dass sie selbstbewusst, loyal und dennoch aufrichtig ist. Was ich an dem Buch zudem schätze, ist, dass darin wunderbar eine Freundschaft zwischen vier, später fünf Jungen beschrieben wird. Die fünf helfen sich in Krisensituationen, sie stehen sich bei, sie unterstützen sich auf eine tapfere und einfühlsame Art.

So bleibt, nur noch einmal zusammenfassend zu sagen, was für ein tolles Buch ich da gelesen habe, das vor allem auch (siehe unten) eine gute Schullektüre abgeben dürfte. Danke, Gordon Korman, für diesen wirklich ganz besonderen Abenteuerroman!

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(Ulf Cronenberg, 25.10.2024)

Lektüretipp für Lehrer!

Es soll ja auch reine Klassen für Jungen geben; oder Klassen, in denen die Jungen in der Überzahl sind. „The Fort“ wäre hier für die 6. Jahrgangsstufe eine richtig gute Deutschlektüre, die Leser (und Leserinnen) mit Spannung und einem ganz besonderen Abenteuer bei der Stange hält, die zugleich mit den fünf beschriebenen Familiensituationen den Raum für Diskussionen öffnet. Das macht das Buch durchaus auch für den Ethikunterricht interessant. Gerade das schwierige Thema Gewalt in der Familie wird hier gut verpackt an Kinder herangetragen und überfordert sie nicht. Und das gilt genauso für alle anderen ernsthaften Themen (wie Zwänge oder finanzielle Probleme), die in dem Buch angesprochen werden.
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