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Buchbesprechung: Steven Herrick „Wir beide wussten, es war was passiert“

Cover: Steven Herrick "Wir beide wussten, es war was passiert"Lesealter 14+(Thienemann-Verlag 2016, 205 Seiten)

Regentropfen, dazwischen ein Herz? Na, das Cover leitet einen mit dem Titel zusammen schon dahin, worum es geht: eine Liebesgeschichte. Wahrscheinlich hätte ich das Buch nicht gelesen, wenn ich beim Reinblättern nicht auf die freien Verse, in denen das Buch geschrieben ist, gestoßen wäre. Neu ist die Idee nicht – es gibt immer wieder Jugendbücher, die in Versen ihre Geschichte erzählen. Ich mag die reduzierte Sprache, die damit meist verbunden ist, und deswegen habe ich Steven Herricks Roman auch gelesen. Übrigens: Steven Herrick ist Australier, und dort spielt auch sein Versroman.

Inhalt:

Billy hält es zu Hause bei seinem Vater, der viel zu viel Alkohol trinkt, nicht mehr aus, und so haut er mit nicht gerade viel Geld ab. Doch es schüttet, und an der Straße, an der er steht, kommt kaum ein Auto vorbei, geschweige denn, dass ihn ein Autofahrer mitnimmt. Doch dann sieht Billy auf dem Waggon eines Güterzugs ein Speedboot, in dem er sich verkriechen könnte. Und so springt er auf den Zug auf und kommt doch noch weg …

Allerdings wird Billy schon bald vom Zugführer entdeckt. Dieser hat jedoch ein Herz und will Billy nicht nur bis Bendarat mitnehmen, sondern bietet ihm angesichts der Kälte auch noch einen Platz im Beiwagen an. Dort ist es einigermaßen warm und gemütlich, so dass Billy sich wieder etwas erholen kann.

In Bendarat kommt Billy schließlich in einem stillgelegten Waggon beim Bahnhof unter. Doch was soll er in der Stadt überhaupt tun? Als er sich abends mehrmals bei McDonald’s aufwärmt, lernt er Caitlin kennen, die anfangs etwas irritiert von ihm ist, dann aber doch mit ihm ins Gespräch kommt. Außerdem ist da noch der Säufer aus dem Waggon nebenan: Old Billy. Zunächst ist Billy von ihm abgestoßen, doch dann freunden sich die beiden an. Beide, Caitlin und Old Billy, verändern einiges in Billys Leben …

Bewertung:

„Wir beide wussten, es war was passiert“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn; Originaltitel: „The Simple Gift“) ist in mehrere große Abschnitte unterteilt, die jeweils aus meist ein- bis zweiseitigen Kurzkapiteln bestehen. Aus drei Perspektiven wird hier erzählt: Den überwiegenden Teil berichtet Billy, was aus seiner Sicht passiert, immer wieder einmal wechselt für mehrere Seiten jedoch die Erzählperspektive zu Old Billy oder Caitlin.

Recht karg wird thematisiert, warum Billy überhaupt von zu Hause abgehauen ist – das mag den ein oder anderen Leser stören. Ich fand es anfangs in Ordnung, dann allerdings zunehmend seltsam, dass Billy auf seiner Reise so wenig Gedanken an das nicht gerade glückliche Leben mit seinem Vater verschwendet – als wäre er durch die Flucht von seinem alten Leben völlig abgeschnitten. Doch das ist nicht das Einzige, was mich an diesem Buch etwas skeptisch zurücklässt.

Doch bevor ich diese Bedenken anspreche, sei erst mal aufs Positive geguckt. Wie gesagt, ich mag Versromane, und das gilt auch für Steven Herricks Buch. Der Schreibstil ist das, was mir an dem Buch am besten gefallen hat. Reduziert und sehr bewusst ist „Wir beide wussten, es war was passiert“ geschrieben. Auffällig ist, dass die Sätze kaum durch Wörter oder Nebensätze miteinander verbunden werden, sondern oft Hauptsätze aneinandergereiht sind, die noch dazu recht häufig mit „Ich“ beginnen. Das schafft eine ganz eigene Atmosphäre, weil sich der Text auf das Wesentliche konzentriert, und diese Atmosphäre ist das, was mich an dem Buch am meisten fasziniert hat.

Doch schaut man sich den Roman in Bezug auf die Story etwas genauer an, so tauchen einige Fragen auf – vor allem: Ist es nicht etwas zu viel des Guten, wie sich in dem Buch alles fügt? Wer das Buch selbst entdecken will, sollte an dieser Stelle vielleicht besser mit dem Lesen dieser „Bewertung“ aufhören und zum „Fazit“ springen, denn ich kann meine Bedenken nicht formulieren, ohne einiges von der Geschichte preiszugeben … Letztendlich betreffen meine Bedenken die Entwicklung der zwei Hauptfiguren.

Old Billy ist ein Säufer, und im Laufe der Geschichte erfahren wir, warum er von einem steten Leben mit Familie und Haus zum haltlosen Obdachlosen geworden ist. Was da passiert ist, ist etwas klischeehaft angelegt, aber dass Billy seinem älteren Namensvetter im Laufe des Buchs wieder auf den rechten Weg zurückführt, so dass Old Billy schließlich dem Alkohol entsagt – ich weiß nicht … Das liest sich in der Geschichte einigermaßen plausibel, aber im wirklichen Leben funktionieren Dinge wohl eher nicht so. Damit ist nicht alles genannt, was mich an der Konstruktion von Old Billys Figur stört – das ist noch mehr. Doch den Clue des Buchendes will ich dann doch nicht vorwegnehmen …

Auch bei Caitlin ist es nicht viel anders: Das Mädchen aus reichem Haus mit herzlosen Eltern ist das etwas zu klischeehaft nette Mädchen, das sich am Ende in den abgehauenen Jungen verliebt und dort das findet, was es gesucht hat. Weder Billy noch Caitlin scheinen irgendwelche schwierigen Seiten aus ihren problematischen Familienverhältnissen mitgenommen zu haben … – ja, so schön kann die Welt sein. Überzeugend finde ich das jedoch nicht. Natürlich muss ein Buch nicht die Wirklichkeit abbilden – es gibt genug Romane, die genau deswegen so gelungen sind, weil sie überzeichnen, weil sie bizarr und skurril sind; aber Rührseligkeit und Kitschanleihen sind für mich die schlechteste Grundlage dafür, jenseits der Lebenswirklichkeit zu schreiben.

Fazit:

3 von 5 Punkten. „Wir beide wussten, es war was passiert“ fand sich im August 2016 schon auf der Liste „Die 7 besten Bücher für junge Leser“ wieder, es wurde von Ute Wegmann und Roswitha Budeus-Budde, wie man bei Thienemann in den Pressestimmen zum Buch nachlesen kann, geadelt – aber so richtig nachvollziehen kann ich das nicht. Die knappe und bedachte Verssprache nimmt einen für das Buch ein – ja, das ist gut gemacht. Die Faszination, die die Sprache ausübt, verdeckt aber zugleich, dass hinter „Wir beide wussten, es war was passiert“ eine arg klischeehafte Gedichte steht, die eher zu Hollywood als zum wirklichen Leben passt.

Man kann die Geschichte natürlich einfach als rührende Liebesgeschichte lesen, und da weiß sie durchaus zu gefallen. Sie dürfte das Herz vieler Leserinnnen und Leser erwärmen. Aber darüber hinaus? Mir persönlich ist die Geschichte jedenfalls zu rührig, zu klischeehaft, um mich wirklich zu überzeugen.

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(Ulf Cronenberg, 01.10.2016)


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Kommentar (1)

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