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Buchbesprechung: Gideon Samson „Doppeltot“

samson_doppeltotLesealter 14+(Gerstenberg-Verlag 2015, 220 Seiten)

Gideon Samson ist ein noch recht junger niederländischer Autor – gerade mal 30 Jahre alt –, der für seine bisherigen Jugendromane schon viel Lob bekommen hat. Auch „Doppeltot“, vom Gerstenberg-Verlag unter anderem Titel als die niederländische Originalausgabe (die übersetzt „Schwarzer Schwan“ heißt) herausgegeben, war bereits auf der Liste „Die besten 7“ des Deutschlandfunks zu finden. Ein schaurig-eigenwilliges Cover hat man dem Buch gegeben, das stilisiert einen Schwan zeigt – für den deutschen Leser ist der Bezug eigentlich nicht verständlich … Erst dachte ich, das Cover sei vom niederländischen Buch übernommen worden, aber das ziert ein anderes Bild. Seltsam.

Inhalt:

Düveke und Rifka – beide 12 Jahre alt – sind beste Freundinnen und gehen in die gleiche Klasse. Von ihren Mitschülern halten sie nicht viel, sie bezeichnen sie nur als „Lödeldödel“ oder „Dummtussis“. Dennoch ist Rifka so etwas wie der Star der Klasse und bei allen angesagt, obwohl sie oft ein übles Spiel mit ihnen spielt. Rifka genießt und braucht große Aufmerksamkeit, und Düveke folgt ihr in allem.

Weil einer ihrer Mitschüler, der herzkrank war, gestorben ist, überlegt sich Rifka, dass sie auch gerne bei einer Beerdigung im Mittelpunkt stehen möchte, und entwirft einen tollkühnen Plan. Die Menschen sollen denken, sie sei tot, und sie selbst will bei ihrer Beerdigung dabei sein. Bald ist der Plan aufgesetzt: Mit Hilfe von Düveke soll Rifkas Familie vorgegaukelt werden, Rifka wäre entführt worden, und weil die Familie ein Lösegeld von einer Million Euro nicht zahlen kann, soll inszeniert werden, dass Rifka von den Entführern umgebracht wird.

Die beiden setzen zwei Briefe auf: einen Entführerbrief und einen Todesbrief, die Düveke in der nächstgelegenen Stadt aufgeben soll – einmal vor, einmal nach der Entleerung des Briefkastens, so dass sie an aufeinanderfolgenden Tagen bei den Eltern Rifkas ankommen. Rifka will sich in der Zeit an einem abgelegenen Ort in einem Zelt verstecken, und Düveke soll sie mit allem, was dazu benötigt wird, versorgen. Doch nicht alles läuft so, wie die beiden es geplant haben.

Bewertung:

„Doppeltot“ (Übersetzung: Rolf Erdorf) ist ein Buch, das erst langsam seine Dramatik entfaltet. Auf den ersten Seiten wird die Freundschaft von Düveke und Rifka beschrieben, und die beiden haben es ganz schön faustdick hinter den Ohren, wobei das hauptsächlich von Rifka ausgeht. Der ominöse Plan mit der fingierten Entführung und Beerdigung Rifkas klingt anfangs ein wenig wie ein Kinderstreich, aber es dauert nicht lange, bis man merkt, dass Rifka es ernst meint. Düveke hat Bedenken, will aber die Freundschaft zu Rifka nicht gefährden und macht deswegen bei allem mit.

Erst nach und nach bekommt man mit – und das ist gut gemacht –, dass Rifka eine hochproblematische Persönlichkeit hat. Das Mädchen will im Mittelpunkt stehen und bewerkstelligt das, indem es andere gnadenlos ausnutzt, über sie herzieht und intrigant auftritt. Rifka sind alle Mittel recht, um zu erreichen, dass sie im Fokus steht. Düveke ist letztendlich ihr Opfer und wird zunehmend als schwach und hörig Rifka gegenüber dargestellt.

Eingeteilt ist der Jugendroman in drei Teile: Im ersten Part – „Davor“ überschrieben – wird aus der Sicht von Düveke dargestellt, wie die Situation mit der fingierten Entführung entsteht und umgesetzt wird. Teil zwei ist „Danach“ übertitelt und wird personal aus der Sicht einer bisherigen Nebenfigur, die dadurch ins Zentrum rückt, beschrieben: Olivier ist Düvekes großer Bruder und will eine schützende Hand über seine kleine Schwester halten. Der Roman springt hier in die Zeit nach der „Entführung“; klar wird, dass hier etwas schief gegangen ist, ohne dass man weiß, was genau. Der dritte Teil („Währenddessen“) wird dann aus der Sicht Rifkas in einer eigenwilligen Du-Form erzählt. Hier schaut man halb von innen, halb von außen in die verquere Seele des Mädchens.

Diese Dreiteilung habe ich als ziemlich sperrig empfunden – man hat fast das Gefühl, nacheinander drei Buchfragmente zu lesen, weil sie stilistisch so unterschiedlich sind. Das ist einerseits anspruchsvoll und interessant zugleich gemacht, auch weil sich am Ende des Buchs alles zu einem Gesamtbild über das, was passiert ist, zusammenfügt. Mich haben die stilistischen Wechsel jedoch andererseits gestört, weil sie mir zu künstlich gesetzt vorkommen; und ich schätze, dass das jugendlichen Lesern noch mehr so gehen wird als mir …

Fazit:

3-einhalb von 5 Punkten. Für mich war Gideon Samsons „Doppeltot“ ein zwiespältiges Leseerlebnis – so richtig warm geworden bin ich mit diesem Buch nicht. Mir kommt es in vielem zu konstruiert, zu artifiziell daher. Mich haben die drei so unterschiedlichen Erzählabschnitte den Figuren und der Geschichte gegenüber auf Distanz gehalten – das ermöglicht einen nüchternen Blick auf das, was erzählt wird, aber mir ist das Buch dadurch zugleich immer fremd geblieben.

Spannend fand ich die Darstellung der Psychodynamik einer ungleichgewichtigen Freundschaft und das Psychogramm eines Mädchens am Rande von Borderline. Die Story an sich hat mich so, wie sie erzählt wird, jedoch nicht übermäßig gepackt. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob man jugendliche Leser mit einer so konstruiert erzählten Geschichte locken kann – des Eindrucks, dass das eher ein Jugendroman für Erwachsene ist, konnte ich mich insgesamt nicht verwehren. Was man dem Buch aber in jedem Fall zugutehalten muss, ist, dass es psychologisch ein dichter und raffinierter Roman ist. Das perfide Spiel Rifkas ihrer angeblichen Freundin Düveke gegenüber wird erst langsam aufgedeckt und entfaltet dadurch eine ganz besondere Wirkung.

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(Ulf Cronenberg, 20.05.2015)

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Kommentare (3)

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  2. Lina

    Anmerkung einer jugendlichen Leserin:
    Ausnahmsweise kann ich Ihre Einschätzung überhaupt nicht teilen.
    Ich habe dieses Buch an einem einzigen Nachmittag verschlungen. Die Perspektivwechsel haben mir außerordentlich gut gefallen, bei jeder einzelnen Erzählperson hatte ich das Gefühl, deren Stimme tatsächlich im Kopf zu haben. Und was für eine Idee, die Reihenfolge, so umzustellen, dass man erst am Schluss erfährt, was wirklich passiert ist! Konstruiert ist die Geschichte, na klar, aber mit welch einer Raffinesse!
    Gerade das Ende finde ich unglaublich stark, weil es den Begriff der Gerechtigkeit in Frage stellt. Wer ist hier tatsächlich schuld?
    Sehr spannend. Ich habe das Buch gleich meinen Freundinnen empfohlen – die das Buch ebenfalls innerhalb weniger Tage verschlungen hatten und begeistert waren. Selbst mein absolut lesemuffliger kleinen Bruder ließ sich durch dieses Buch fesseln!
    Vielleicht ist es eher ein Buch, das nur Jugendlichen gefällt und nicht Erwachsenen?
    Von mir eine klare Leseempfehlung für dieses außergewöhnliche, geniale Buch. Fünf Punkte!

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Lina, ist doch gut, wenn du mir widersprichst – ich finde es immer gut, wenn man über Bücher diskutiert. Danke für deinen Kommentar.

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