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Buchbesprechung: Oscar Hijuelos “Runaway”

Cover HijuelosLesealter 14+(Fischer-Verlag 2010, 350 Seiten)

Die Reihe „Die Bücher mit dem blauen Band“ des Fischer-Verlags ist ein großer Lichtblick auf dem Jugendbuchmarkt. Die Bücher sind ansprechend gestaltet, außerdem sind die Bände der Reihe meist ganz besondere Titel, die sich einer klaren Zuordnung entziehen. Das gilt auch für „Runaway“.

Oscar Hijuelos hat bisher nur Romane für Erwachsene geschrieben und war damit sehr erfolgreich: Als erster Latino-Schriftsteller (er ist wie die Hauptfigur kubanischer Herkunft) hat er den amerikanischen Pulitzer-Preis verliehen bekommen. Und mit „Runaway“ hat er sein erstes Jugendbuch vorgelegt.

Inhalt:

Rico lebt in den 60-er Jahren in Harlem, New York, und in seinem Viertel geht ziemlich die Post ab: Drogen und Gewalt sind an der Tagesordnung. Seine Eltern sind vor vielen Jahren aus Kuba geflohen und leben von mehreren Hilfsjobs. Doch auch unter seinen Landsleuten ist Rico eher ein Außenseiter: zum einen weil er für seine kubanische Herkunft eine ziemlich weiße Haut hat und eher wie ein Amerikaner aussieht, zum anderen weil er sich eher als sensiblen Außenseiter sieht. Lediglich Jimmy, einen Jungen aus der Nachbarschaft, sowie den 18-jährigen Gilberto kann er zu seinen Freunden zählen. Ansonsten ist er, vor allem in der Schule, eher Zielschreibe von zahllosen Schikanierereien.

Eines Tages tritt Gilberto Rico gut gelaunt gegenüber. Wie sich herausstellt, hat er mit einem Lotto-Los fast 100.000 Dollar gewonnen. Gilberto ist sehr freizügig mit dem Geld, beschließt dann jedoch mit dem Geld auf ein College in Wisconsin zu gehen. Rico ist, auch wenn er sich für Gilberto freut, von dem Weggang seines Freundes enttäuscht – zumal sich bei Jimmy die Situation zuspitzt. Jimmy verändert sein Wesen zunehmend, und wie Rico bald herausbekommt, ist sein Freund heroinsüchtig.

Auch zu Hause hält Rico es kaum noch aus, denn seine Mutter nörgelt ständig an ihm herum. Und als Rico sich nicht an die vorgegebenen engen Regeln seiner Mutter hält, beschließen sie und ihr Mann, dass sie Rico zu ihrem Onkel schicken wollen, der eine andere Gangart bei der Erziehung einschlägt. Für Rico ist das eine Zumutung, und so beschließt er, sich nach einem schlimmen Vorfall mit Jimmy gemeinsam auf den Weg nach Wisconsin zu Gilberto zu machen, der dort eine Farm gekauft hat. Hals über Kopf hauen die beiden aus New York ab.

Bewertung:

Es ist doch immer wieder spannend, wenn Autoren von Erwachsenenbüchern einen Jugendroman schreiben. Manchmal – das ist mein Eindruck – verarbeiten sie damit auch Erfahrungen aus der eigenen Kindheit und Jugend, und bei Oscar Hijuelos könnte das durchaus auch der Fall sein. Aber das ist nur eine Vermutung, Genaueres weiß ich nicht.

„Runaway“ (Übersetzung: Günter Ohnemus) hat jedenfalls einen ganz eigenen Ton und Stil. Auf den ersten 40 Seiten musste ich mich erst einmal daran gewöhnen. Doch irgendwann zieht einen die Geschichte so richtig in sich hinein – bei mir war es so, dass es die Stelle war, als Jimmy drogensüchtig geworden ist. Ziemlich beklemmend wird hier beschrieben, wie ein Junge durch Heroin sein Wesen verändert und wie hilflos sich Rico, der seinem Freund helfen will, fühlt.

Als Rico und Jimmy dann schließlich in Wisconsin bei Gilberto ankommen, wird das Buch wieder etwas ruhiger, bleibt jedoch nach wie vor eindrücklich und faszinierend. Letztendlich erzählt „Runaway“ dann die Geschichte eines Jungen, der zu sich selbst zu finden versucht. Der wohlwollende Gilberto und die Ruhe auf der Farm sind genau das Richtige für Rico: Erstmals scheint es so, als könne er dort auch positive Erfahrungen machen. Die Probleme seiner Kindheit und Jugend tauchen dort zwar immer wieder auf (z. B. die Gefühle der Einsamkeit und des Ausgestoßenseins), aber in der neuen Umgebung kann er sich anders damit auseinandersetzen.

Oscar Hijuelos trifft sehr gut den Ton seines jugendlichen „Helden“ (das Wort muss man hier in Anführungsstriche setzen), aus dessen Sicht „Runaway“ erzählt wird. Und letztendlich bekommt man mit dem Buch auch ein lesenswertes Panorama der USA in den 60-er Jahren in die Hand. Es wird eine Welt beschrieben, wie sie heute wohl nicht mehr so zu finden ist – denn moderne Medien und Handys haben vieles verändert.

Das relativ offene Ende mag vielleicht den ein oder anderen Leser stören, ist letztendlich aber stimmig … Allerdings würde man gerne wissen, wie es mit Rico weitergeht – doch das muss man sich in seinem eigenen Kopf zusammenbasteln, sollte Oscar Hijuelos das Buch nicht vielleicht doch noch in einem Folgeband weiterführen.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Man könnte „Runaway“ als modernen Huckleberry-Finn-Roman bezeichnen – und sicher tut man dem Buch damit nicht unrecht, zumal Rico von Mark Twains Büchern begeistert ist und sie ihm die Idee geben, wie sein Romanvorbild abzuhauen. Oscar Hijuelos ist es gelungen, einen feinfühligen und packenden Jugendroman zu schreiben, der etwas anderes als viele andere Jugendbücher ist – aber genau das macht das Buch auch aus. Man hat das Gefühl, mit dem Buch in eine andere, vergangene Welt zu schauen – und gleichzeitig ist „Runaway“ nicht altmodisch, sondern durchaus aktuell.

Von allen guten Geistern ist der Fischer-Verlag meiner Meinung nach verlassen, wenn das Buch dort ab 12 Jahren empfohlen wird. Nein, das ist kein Buch für 12-Jährige: Die Dinge, die in dem Buch passieren, sind zu heftig, außerdem ist der Ideengehalt, wenn sich Rico Gedanken über sein Leben macht, viel zu weit von Lesern dieses Alters entfernt. „Runaway“ kann man Lesern ab 14 oder 15 Jahren an die Hand geben, und ich bin mir sicher, auch Erwachsene finden daran Interesse.

„Runaway“ hat auf jeden Fall eine dicke Leseempfehlung verdient. Ein tolles Buch hat Oscar Hijuelos da für Jugendliche geschrieben!

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(Ulf Cronenberg, 20.03.2010)

P.S.: Inzwischen hat der Fischer-Verlag die Presseinformationen zu „Runaway“ übrigens (nach meinem Kommentar oben) geändert. Das Buch wird nun auch dort ab 14 Jahren empfohlen.


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Kommentare (0)

  1. Gina

    Das klingt sehr spannend! Das kommt auf jeden Fall oben auf meinen Lesestapel.

    Antworten
  2. Pingback: Jugendbuchtipps.de» Blogarchiv » Die Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011

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