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Buchbesprechung: Holly-Jane Rahlens “Mauerblümchen”

Cover RahlensLesealter 13+(Rowohlt-Verlag 2009, 157 Seiten)

Den Begriff „Ketwurst“ kennt wohl nur, wer in der DDR aufgewachsen ist – oder eben ein Leser von Holly-Jane Rahlens neuem Jugendbuch „Mauerblümchen“. Dass eine Amerikanerin, die freilich schon einige Jahrzehnte in Berlin lebt, ein Buch über den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung schreibt, ist schon etwas ungewöhnlich. Und wie Holly-Jane Rahlens im Nachwort meint, musste sie vom Verlag auch eine Zeitlang „geschoben“ werden, um sich auf das Vorhaben einzulassen. Aber vielleicht ist es ja auch gar nicht schlecht, wenn dieses Thema mit einer gewissen Distanz aufgegriffen wird …

Inhalt:

Molly Lenzfeld ist, so sieht sie das selbst, ein Mauerblümchen – soll heißen: ein schüchternes Mädchen, das sich schwer damit tut, aus sich herauszugehen. Und das kommt zwar auch, aber sicher nicht nur daher, dass Molly für ein Mädchen ungewöhnlich groß ist und entsprechend große Füße hat, die jedermann sofort auffallen.

Mit ihrem Vater, der Professor für theoretische Chemie ist und für einen Jahr an der Freien Universität forscht, lebt Molly in Berlin – doch in ein paar Tagen geht es wieder zurück nach New York. Da sie sich in Berlin nicht so richtig wohl fühlt, ist sie mehr als froh über die Rückkehr in die USA.

Vor ihrer Abreise möchte sie jedoch noch etwas für ihre tote Mutter erledigen, die vor ein paar Jahren an Krebs gestorben ist und 1938 als Jüdin aus Berlin flüchten musste. Sie will zu dem Haus, in dem ihre Mutter früher gelebt hat und das in Ost-Berlin liegt, gehen und dort aus einer Mauer zwischen zwei Grundstücken ein Stückchen herausschlagen, um es ihrer Mutter einer jüdischen Tradition gemäß dann in Amerika aufs Grab zu legen. Dass die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin vor ein paar Wochen – es ist November 1989 – geöffnet wurde, erleichtert das Vorhaben.

Auf dem Weg nach Ost-Berin lernt sie in der S-Bahn einen italienisch aussehenden Jungen kennen. Doch wie sich nach einiger Zeit herausstellt, ist Mick kein Italiener, sondern Ost-Berliner. Molly und Mick laufen sich nach der S-Bahn wieder über den Weg, und so kommen die beiden ins Gespräch. Zunächst will Molly den Jungen schnell wieder loswerden, doch nach und nach freut sie sich über seine Gesellschaft, denn Mick kann gut zuhören und erzählt ihr viel über das Leben in der DDR.

Bewertung:

Holly-Jane Rahlens neues Buch (Übersetzung: Sabine Ludwig) ist ein im positivem Sinn nettes Buch, das mit seinen 150 Seiten (aber nicht nur deswegen) schnell gelesen ist. Im Plauderton einer Jugendlichen, den man von Holly-Jane Rahlens schon aus früheren Büchern kennt, erzählt Molly von dem Tag, an dem sie für ihre tote Mutter nach Ost-Berlin fährt, um das Mauerstückchen abzuschlagen. Frei von der Leber berichtet das Mädchen davon, wie sie von Mitschülerinnen geärgert wird, dass sie mit ihrer (Schuh–)Größe hadert und wieder zurück nach Amerika möchte.

Die Geschichte über Molly ist dabei äußerst kurzweilig. Das liegt nicht nur an dem jugendlichen Tonfall, sondern vor allem auch an dem, was das Mädchen erlebt. Vor allem die Figur Micks, den Molly, weil er auch so groß ist, zunächst sympathisch, dann jedoch etwas aufdringlich findet, bringt viel Humor in die Erzählung. Und weil die beiden fast das ganze Buch über miteinander reden, erfährt man nebenbei auch so einiges über den Alltag eines Jugendlichen, der in Ost-Berlin aufgewachsen ist.

Doch nicht nur das: Auf ihrem von Komplikationen begleiteten gemeinsamen Weg durch den Ost-Teil der Stadt bekommt Molly noch einen Hauch DDR zu spüren: u. a. die Unfreundlichkeit von Bedienungen und Verkäuferinnen oder leere Schaufensterauslagen. Immer wieder gibt es außerdem für den Leser etwas zu lachen, z. B. wenn Mick erzählt, dass seine Mutter Besamungstechnikerin ist und damit einen verantwortlichen Beruf in der Landwirtschaft hat.

Das alles ist in eine beginnende Liebesgeschichte gepackt, die wegen Mollys Rückkehr in die USA von einer gewissen Melancholie zusammengehalten wird – und genau das rettet „Mauerblümchen“ auch davor, ein typisches Buch über die DDR zu sein. Die Zeitgeschichte kommt eher auf leisen Sohlen daher – und das ist auch gut so.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Von Holly-Jane Rahlens‘ letztem Buch „Mein kleines großes Leben“ war ich nicht in allen Dingen angetan. „Mauerblümchen“ hat mir im Vergleich dazu deutlich besser gefallen, denn Mollys Geschichte verbindet gekonnt zwei Handlungsstränge, die das Buch lesenswert machen: Liebes- und Zeitgeschichte – und das noch mit einer großen Prise Humor gewürzt.

Vielleicht hat das Buch diese erfrischende Mischung aus Unterhaltungswert und geschichtlichem Hintergrund sowie seine Leichtigkeit gerade daher, weil es nicht von einer deutschen Autorin geschrieben wurde? Dankbar kann man dem Rowohlt-Verlag jedenfalls sein, dass er nicht lockergelassen hat, bis Holly-Jane Rahlens das Thema Wiedervereinigung aufgegriffen hat.

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(Ulf Cronenberg, 09.09.2009)

Lektüretipp für Lehrer!

Ich kann mir gut vorstellen, dass man „Mauerblümchen“ auch im Schulunterricht verwenden kann – vielleicht nicht unbedingt nur im Deutschunterricht allein, sondern eher fächerübergreifend in Verbindung mit Ethik und/oder Geschichte. Holly-Jane Rahlens‘ Buch würde jedenfalls den Unterricht, wenn es um die Themen Wiedervereinigung und DDR geht, etwas auflockern und den Schülern den Alltag in der DDR etwas näher bringen. Geeignet scheint es mir von der 8. bis zur 9. Jahrgangsstufe.

Kommentare (0)

  1. Sarah

    Das Buch ist echt toll! Ich hab es mir gekauft und bin sehr zufrieden damit.

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  3. Julian Koelsch

    Wir besprechen das Buch gerade eben im Deutsch-Unterricht, und obwohl ich lesen nicht gerade mag, finde ich dieses Buch echt toll!!!

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  4. Enomiha

    Ich habe das Buch gerade gelesen und auf meinem Blog besprochen. Ich kann es eigentlich für alle Altersgruppen empfehlen.

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