Jugendbuchtipps.de

Buchbesprechung: Stan van Elderen “Warum Charlie Wallace?”

Cover van ElderenLesealter 14+(Hanser-Verlag 2009, 207 Seiten)

Ein Holländer schreibt ein Buch, das in New York spielt – das ist etwas nichts ganz Gewöhnliches. Und unter dem Titel „Warum Charlie Wallace?“ kann man sich nichts Genaues vorstellen … Stan van Elderens Jugendbuch, übrigens sein erstes, hat jedoch schon einige Preise bekommen: 2007 wurde es u. a. als bestes Buch von der flämischen Kinder- und Jugendbuchjury ausgezeichnet.

Inhalt:

Charlie ist mit seinen Eltern ganz neu in New York, und Jonathan wird das erste Mal auf den Jungen aufmerksam, als dieser einen Kaffee kauft und die Verkäuferin völlig ungeniert anspricht, sich vorstellt und ihr ein Lächeln abgewinnt. Als Charlie dann kurz darauf auch noch in seinem Literaturkurs an der Schule auftaucht, bekommt Jonathan ein weiteres Mal mit, dass Charlie ein ungewöhnlicher Junge ist. Denn er legt sich gleich beim ersten Mal mit dem verhassten Englisch-Lehrer Mr Wainwright an – eine nicht ganz ungefährliche Sache.

Noch am selben Tag schließen Jonathan und Charlie Freundschaft, denn Jonathan beschließt, die nächsten Stunden zu schwänzen, und Charlie fragt, ob er mitkommen könne. Gemeinsam streifen sie durch die Stadt, gehen in ein Modernes-Kunst-Museum, essen bei einem Italiener und bekommen natürlich wegen des Schwänzens Schwierigkeiten. Jonathan ist einerseits fasziniert von Charlie, der ständig etwas zu erzählen weiß, sich traut, fremde Leute anzusprechen, aber auch gut zuhören kann – andererseits ist ihm der neue Freund manchmal auch etwas fremd, weil er im Gegensatz zu Jonathan so extrovertiert ist.

Nach und nach erfahren die beiden immer mehr voneinander – Jonathan lernt auch Charlies interessante Familie kennen. Doch Jonathan tut sich nach wie vor schwer, sich Charlie anzuvertrauen. Es gibt ein großes Geheimnis in seinem Leben, wegen dem Jonathan auch regelmäßig zu einer Psychiaterin geht: In dem Internat, das Jonathan bis vor kurzem besucht hat, ist etwas vorgefallen – doch er schafft es nicht, das Charlie zu erzählen …

Bewertung:

Die letzten vier Seiten dieses Buches haben es in sich. Ja, und plötzlich ist auch klar, warum Stan van Elderens Jugendbuch (Übersetzung: Bettina Bach) diesen seltsamen Titel trägt. Ein starker Abgang, völlig unerwartet ist das – aber mehr kann ich hier natürlich nicht verraten, um nichts vorwegzunehmen.

Auf der Buchrückseite wird eine Rezension aus Kidsweek zitiert: „Es gibt wenig Bücher, die so stark beginnen wie ‘Charlie Wallace’. Und es gibt wenig Bücher, die so stark enden“ – genau das trifft es. Denn wie vom Schluss so war ich auch vom Beginn des Buches sofort begeistert.

Stan van Elderen beschreibt alles unheimlich dicht: Jonathans Gefühle, die Personen sowie die Stimmung der Umgebung. Auch die Dialoge haben eine ganz besonderen Reiz. Mich hat all das sehr an gute Kurzgeschichten, amerikanische short stories, erinnert. Nicht alles wird explizit gesagt, sondern die Atmosphäre des Buches entsteht auch durch das Nicht-Gesagte, durch Leerstellen im Text.

Dass sich dieser Schreibstil in der Mitte des Buches ein wenig verliert, finde ich schade und ist eigentlich das einzig kleine Minus an dem Buch. Ansonsten lernt man in „Warum Charlie Wallace?“ zwei interessante Jugendliche kennen: der eine ein introvertierter Buchleser, der nicht viel über sich reden kann, der andere ein offener und extrovertierter Junge, der seine Meinung auf nette Art und Weise zu sagen in der Lage ist.

„Warum Charlie Wallace?“ ist eher eine Stimmungsaufnahme der Jugendzeit, als dass so richtig was in dem Buch passiert. Dennoch gibt es zarte Elemente, die ein klein wenig Spannung erzeugen – denn erst so nach und nach erfährt man, was mit Jonathan in dem Reichen-Internat geschehen ist. Dass dennoch die Freundschaft zwischen Jonathan und Charlie im Vordergrund steht, ist gut so. Die Mobbinggeschichte aus dem Internat dient eher der Charakterisierung von Jonathan und bleibt im Hintergrund.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Stan van Elderens erstes Jugendbuch ist ein tolles Buch, das auf verschiedenen Ebenen zu überzeugen weiß. Es ist literarisch anspruchsvoll, hat zwei interessante Hauptfiguren und regt den Leser zum Nach- und Mitdenken an. Bis kurz vor Ende des Buches war ich zwischendrin ein klein wenig enttäuscht, weil die Mitte des Romans nicht so ganz mit dem Anfang mithalten kann – doch der Schluss des Buches macht das alles wieder wett.

Und so habe ich „Warum Charlie Wallace?“ recht begeistert aus der Hand gelegt, und kann nur sagen, dass das bisher eines der besten Jugendbücher diesen Jahres ist. Stan van Elderen ist ein überzeugendes Buch gelungen, das mich noch über die letzte Seite hinaus beschäftigt, bei dem sich sicherlich auch ein zweites Lesen lohnt.

blau.giflila.gifrot.gifgelb.gifgruen.gif

(Ulf Cronenberg, 01.05.2009)

Lektüretipp für Lehrer!

„Warum Charlie Wallace?“ ist kein reißerisches Buch, das aufgrund seiner spannenden Handlung bei Schülern Anklang finden wird – ganz bestimmt nicht … Und dennoch würde ich es durchaus als Schullektüre für eine 9. oder 10. Klasse empfehlen, zumindest wenn man eine Klasse hat, die für Diskussionen offen ist und Feinsinnigeres versteht. Zu diskutieren gibt es jedenfalls vieles: das Thema Mobbing (auch wenn es im Buch keine zentrale Rolle spielt), die Unterschiedlichkeit von Jugendlichen, die Frage, ob man trotz möglicher Sanktionen seine Meinung sagen sollte, etc. Und dass Stan van Elderens Roman darüber hinaus auch literarische Qualitäten hat, wurde ja oben schon gesagt.

Alles in allem ist „Warum Charlie Wallace?“ sicher ein Buch, zu dem Jugendliche nicht so ganz einfach Zugang finden – und es trotzdem mit Schülern zu lesen, ist eine pädagogische Herausforderung. Aber warum nicht? Es müssen ja nicht immer Dürrenmatt und andere Lektüreklassiker sein, die man Neunt- und Zehntklässlern am Gymnasium vorsetzt.


Entdecke mehr von Jugendbuchtipps.de

Subscribe to get the latest posts sent to your email.

Kommentare (0)

  1. Magda Searcher

    Ich möchte noch einiges hinzufügen:

    Das Buch bietet über alles bisher Geschriebene hinaus vielfältige Ansätze der Intertextualität – gerade mit interessierten Klassen kann es sehr spannend werden, dieser (zum Beispiel an Hand eines Projektes oder ähnlichem) nachzugehen und die erwähnten Werke zu besprechen.

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg

      Und an welche Texte denkst du da? „Der Fänger im Roggen“ wird ja, wenn ich mich recht erinnere, im Buch erwähnt … Und sonst?

      Antworten
  2. Tabea

    Dieses Buch ist eines der besten. Eines von den guten.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert