(Peter-Hammer-Verlag 2024, 221 Seiten)
Das letzte Buch aus dem Jahr 2024, das ich wahrscheinlich lese, ist ein Kinderbuch. Mich hat der Titel „Oma verbuddeln“ einfach neugierig gemacht. Das Cover mit dem unbedarft (oder wie will man das interpretieren?) guckenden Jungen, passt außerdem gut zum Titel. Der Name Schössow scheint einem ja bekannt, und in der Wikipedia steht dann auch, dass Birgit Schössow die Schwester des Illustrators Peter Schössow ist, den man z. B. von den Illustrationen der „Rico und Oskar“-Bücher kennt. Birgit Schössow ist ca. 10 Jahre jünger als ihr Bruder und ebenfalls gelernte Illustratorin.
Inhalt:
Die Älteste ist Annie, dann kommt Paul, die Kleinste heißt Mina. Mit ihren Eltern wohnen die drei Geschwister in Hamburg und führen ein recht normales, aber glückliches Familienleben. Zur Familie quasi dazu gehört außerdem noch die Nachbarin Frau Mattuschke. Und dann steht eines Abends die Polizei vor der Tür, was nichts Gutes verheißt: Die Eltern waren abends aus, wurden von einem Auto angefahren und sind auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Auf einmal sind die drei Kinder Waisen.
Erstmal hilft ihnen Frau Mattuschke über die Runden, doch das kann so nicht lange gehen. Neben den schon etwas dementen Großeltern väterlicherseits gibt es noch eine Oma mütterlicherseits: bekannte Krimiautorin, ständig in der Welt unterwegs; doch sie hat sich mit ihrer Tochter so verkracht, dass Annie, Paul und Mina sie so gut wie gar nicht kennen. Als die Oma vor der Tür steht, sind die drei überrascht, denn sie sieht aus wie eine ältere Version ihrer Mutter.
Oma Ruth nimmt die Kinder mit zu sich in ihr abgelegen in Ostseenähe liegendes Haus. Platz ist genug. Doch eigentlich wollen die Kinder gar nicht dort sein. Allerdings finden sie Oma Ruth, die sie in alle Entscheidungen einbezieht, eigentlich nett. Und es ist dann in der Pampa doch nicht so schlimm wie befürchtet. Annie und Paul gehen in die Schule, Mina darf vormittags bei Oma bleiben, solange sie diese nicht beim Schreiben stört. Doch als sich alles gerade gut eingespielt hat, wird die neue Lebenssituation durch ein tragisches Ereignis erneut gestört.
Bewertung:
Der Titel „Oma verbuddeln“ spielt natürlich bewusst ein bisschen damit, dass er etwas pietätlos daherkommt. Pietätlos ist das Buch jedoch ganz und gar nicht, Birgit Schössows Kinderbuch greift das Thema Tod vielmehr auf kindgerechte Art und und Weise auf, und das ist eine Besonderheit. Denn was gibt es Schlimmeres für Kinder, als dass die eigenen Eltern sterben?
Die Geschichte wird von Paul, dem mittleren der drei Geschwister, 11 Jahre alt, erzählt. Annie, seine ein Jahr ältere Schwester, hat schon pubertäre Anwandlungen. Und Mina müsste mit ihren 6 Jahren eigentlich, als die Geschwister bei Oma Ruth leben, eingeschult werden, wird aber zurückgestellt. Mit dem Tod der Eltern lässt sich das leicht der Schulbehörde gegenüber begründen; doch das ist eher vorgeschoben als unbedingt notwendig. Mina und Oma Ruth finden das Arrangement so jedenfalls passender.
Richtig gut gefällt mir an dem Buch, wie die Familie dargestellt wird – anfangs noch mit den Eltern, später dann mit Oma Ruth. Da gibt es so gut wie keine Klischees, und gerade Oma Ruth ist richtig erfrischend. Sehr schön wird dargestellt, wie die Oma, die mit der eigenen Tochter verkracht ist, die Herzen der Kinder zu gewinnen weiß. Und Oma Ruth ist alles andere als kontrollierend; sie lässt den Kindern, als sie dann bei ihr an der Ostsee leben, alle Freiheiten, stützt und unterstützt sie aber auch. Dass das Zusammenleben mit der Oma leider nicht ewig währt, darauf stößt einen irgendwie schon der Titel.
Paul, Mina und Annie sind – auch davon bin ich angetan – ein Gegenentwurf zu von Helikopter- oder Curling-Eltern aufgezogenen Kindern. Sie nehmen sehr viel in die eigene Hand, wollen selbstbestimmt entscheiden; ihre Oma lässt das auch zu. Später im Buch, als die drei Kinder wieder auf sich gestellt sind, führt das mitunter zu skurrilen Situationen. Das Buch enthält da einige Slapstick-Elemente, zum Beispiel wenn die Frau vom Jugendamt nicht mitbekommen darf, dass die Kinder alleine leben. Geschickt wird die Jugendamt-Mitarbeiterin jedenfalls von den Kindern über den Tisch gezogen.
Dass Paul sich schon vorher im neuen Zuhause an der Ostsee in ein Mädchen verguckt, ist auch eins der Themen, das im Buch aufgegriffen wird. Doch hier kommt alles anders als gedacht … Es zeichnet das Buch nicht nur an dieser Stelle aus, dass es immer wieder wenig vorhersehbar ist.
Das erwartbare gute Ende gibt es natürlich doch – da ist „Oma verbuddeln“ ganz zielgruppengerecht. Aber es ist kein billiges Happy End, das man hier präsentiert bekommt, sondern eines, das bestens zum Geist der Geschichte passt. Ja, Oma Ruth, die hat(te) es in sich … Mehr sei nicht verraten.
Fazit:
5 von 5 Punkten. „Oma verbuddeln“ ist ein herzerfrischender Kinderroman, der etwas schräg, aber mit Augenzwinkern und viel Humor erzählt wird, obwohl er ein ernstes Thema behandelt. Es kann und darf nicht anders sein: Es werden natürlich Tränen vergossen, weil die Eltern tot sind, die Kinder wissen erst mal nicht, wie es weitergehen soll; aber sie tun auch was dafür, um aus diesem Tal herauszukommen. Zugleich haben sie aber auch Glück, dass es zwei Personen gibt, die sie auffangen und sich um sie kümmern: Oma Ruth und Frau Mattuschke. Gute Seelen braucht es manchmal im Leben …
Ein Buch über den Tod, aber absolut kein Problembuch zu schreiben – das muss man erst mal schaffen. Birgit Schössow hat einen passenden Ton dafür gefunden, der nichts verschweigt, aber eben die Geschichten auch nicht in Trauer versinken lässt. Das finde ich bewundernswert, und es weht ein Hauch von Klassikern wie „Oskar und Rico“ durchs Buch. „Oma verbuddeln“ ist, das bleibt festzuhalten, ein absolut empfehlenswertes Kinderbuch – ob zum Vorlesen (dann vielleicht schon ab 9 Jahren) oder zum Selbstlesen ab 10 Jahren.
(Ulf Cronenberg, 02.02.2025)
P. S. (drei Tage später): Was ich ganz vergessen habe, ist, noch die Illustrationen von Birgit Schössow lobend hervorzuheben. Jedes Kapitel wird auf einer Seite mit einem wunderbar passenden Bild eingeleitet. Das wertet das Buch zusätzlich auf!
Lektüretipp für Lehrer!
Ein Buch wie geschaffen als Schullektüre am Ende der 4. Jahrgangsstufe oder zu Beginn der 5. Klasse. Ja, man braucht ein bisschen Mut als Lehrkraft, ein Buch mit diesem Titel zu lesen, ein Buch, in dem es um den Tod geht. Aber „Oma verbuddeln“ ist höchst unterhaltsam, es bietet Identifikationsfiguren für Mädchen wie Jungen und es zeigt, dass man schwere Themen durchaus in ein Buch für 10- und 11-Jährige packen kann.