(Verlag Freies Geistesleben 2024, 203 Seiten)
Judith Moors Jugendroman war 2023 eines der drei für den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis nominierten Bücher. Und damit ist klar, dass „Cole und die Sache mit Charlie“ ein Debütroman ist; denn nur Erstlingswerke (ob veröffentlicht oder als Manuskript) dürfen für den Preis eingereicht werden. Den Preis haben schon einige Autor/inn/en für ihr Debütwerk bekommen, von denen man später noch einiges gelesen hat: Nils Mohl, Lara Schützsack, Julya Rabinowich, Gabi Kreslehner oder ganz lange her (nämlich 1980) sogar Miriam Pressler. Judith Mohrs Buch hat den Preis zwar nicht gewonnen, aber ist nun doch veröffentlicht.
Inhalt:
Cole ist 14 Jahre alt und hat drei Geschwister: die ein Jahr jüngere Charlie sowie die sechs Jahre jüngeren Zwillingsbrüder Elli und Olli. Vor allem zu Charlie hat er eine innige Beziehung, während die oft aufgedrehten Zwillinge ihn häufig nerven. Fünf Jahre ist es her, dass ihr Vater die Familie verlassen hat, und inzwischen hat ihre Mutter wieder einen neuen Partner: Frederik. Doch als Coles Mutter schwanger ist, setzt das Cole erst mal zu. Er weiß nicht, was er davon halten soll, hat Angst vor der anstehenden Veränderung …
Auch Charlie weiß nicht so recht, wie sie damit umgehen soll; und Cole bemerkt, dass sie immer schweigsamer wird, sich zunehmend zurückzieht. Frederik bemüht sich sehr, für die vier Stiefkinder da zu sein; die Zwillinge lieben ihn inzwischen auch, Cole kommt gut mit ihm zurecht, bloß Charlie hält ihn auf Distanz – und das, obwohl ihr eigener Vater sie immer wieder sitzen lässt und kurzfristig Besuchswochenenden absagt.
Bei Cole ist auch sonst einiges los. Mareike aus seiner Klasse gefällt ihm gut, doch auf einer Klassenparty ist es Juli, die mit ihm flirtet und die ihn schließlich küsst. Die nächsten Tage ist jedoch irgendwie erst mal Funkstille zwischen den beiden, was Cole seltsam findet, wo er doch das erste Mal Verliebtheitsgefühle hat.
Bewertung:
„Cole und die Sache mit Charlie“ beginnt gleich mit einem kleinen Paukenschlag: Cole muss zum Direktor und erwartet eine große Strafpredigt, weil er auf Leon losgegangen ist – was sonst eigentlich gar nicht seine Art ist. Allerdings ist Leon jemand, der ständig provoziert, und bei Cole war es dessen Mutter, die Leon beleidigt hat. Als Cole auf das Gespräch wartet (das übrigens dann anders als erwartet läuft), schildert er als Erzähler selbst, dass sein Leben wegen der Schwangerschaft seiner Mutter und der Familiensituation gerade ziemlich in Unordnung ist.
Ein Einstieg, der etwas bietet, ist immer gut, um von Beginn an Lesemotivation für ein Buch aufzubauen; und das gelingt Judith Mohr, jedoch flacht das Buch danach fast ein bisschen ab. Das mag manche/n Leser/in enttäuschen; aber ich fand es, ehrlich gesagt, wohltuend, dass die Geschichte um Cole und seine Familie lebensnah und ohne große Effekte erzählt wird. Man hat das Gefühl, dass man etwas liest, das aus dem echten Leben stammen könnte. Und durch das Präsens als Erzählzeit fühlt man sich auch mitten in der Geschichte.
Dass das Leben mit getrennten Eltern, mit einem neuen Stiefvater nicht ganz einfach ist, ist eines der Hauptthemen im Buch. Es ist insbesondere Coles Vater, dem gegenüber vor allem die älteren Kinder – also Cole und Charlie – loyal gegenüber sein wollen; doch ihr Vater macht es ihnen mit seiner Unzuverlässigkeit schwer. Während Cole recht schnell erkennt, dass Frederik, der Stiefvater, ein ehrlicher, viel verlässlicherer und auch oft cooler Typ ist, wehrt Charlie das ab. Sie verkriecht sich zunehmend in ihr Schneckenhaus, lässt nicht mal Cole mehr an sich ran, und das obwohl die beiden sich früher so gut verstanden haben.
Der ersehnte Urlaub mit dem Vater in Kroatien läuft dann auch nicht wirklich gut, weil ihr Vater sich nicht richtig um seine vier Kinder kümmert. Für Charlie ist das besonders schlimm, es nimmt sie stark mit. Das alles wird in dem Buch eher sachte erzählt, die Stimmung und Enttäuschung werden feinfühlig und nachvollziehbar vermittelt.
Warum es allerdings so lange dauert, bis Cole, dessen Mutter und Frederik bemerken, was mit Charlie los ist, hat mich dann doch gewundert. Als Leser/in ist man den Dreien deutlich voraus, und man muss dazu nicht mal aufmerksam lesen. Mich hat das schon fast etwas gewurmt. Aber gut, es gibt Familien, die schauen lange weg, die wollen nicht wahrhaben, wenn ein Familienmitglied in eine psychische Erkrankung (in Charlies Fall u. a. in eine Essstörung) reinrutscht – aber mir waren es einfach ein paar Hinweise zu viel, von denen Cole berichtet, aus denen er nicht die entsprechenden Schlüsse zieht.
Der Roman endet in einem großen Showdown, es wird in Bezug auf Charlie richtig dramatisch. Am Ende steht dann immerhin ein Hoffnungsschimmer. Man traut Cole, Charlie und der Familie zu, dass alles wieder in Ordnung kommen kann, dass sie alle auf dem richtigen Weg sind. Dass es hier kein richtiges Happy End gibt, ist folgerichtig – es hätte dem Roman nicht gut getan.
Neben der Familiengeschichte ist „Cole und die Sache mit Charlie“ auch eine Geschichte über Freundschaft, wenn Coles bester Freund oft im Hintergrund bleibt, aber in entscheidenden Moment für ihn da ist. Und positiv sei schließlich vermerkt, dass Schule und Lehrkräfte in dem Buch mal nicht nur schlecht wegkommen. Klar, Judith Mohr ist selbst Lehrerin – da scheint das fast logisch; aber das Bashing, das Lehrkräfte oft in Jugendromanen erfahren, ist meiner Meinung nach heutzutage nicht mehr gerechtfertigt (auch wenn es unter den Lehrkräften nach wie vor Gegenbeispiele gibt).
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Unterm Strich hat mir „Cole und die Sache mit Charlie“ ziemlich gut gefallen. Es ist ein ehrliches Buch, weil es über weite Strecken wirklich so aufgebaut und geschrieben ist, dass man alles, was passiert, für möglich hält. Bis auf die dramatische Entwicklung am Ende schaut man mit dem Jugendroman in eine Patchwork-Familie, wie es sie wirklich geben könnte. Cole, der Erzähler, ist ein sehr sympathischer Junge, der sich mit manchem, was in seinem Leben passiert, schwertut, aber das alles auch durchsteht.
Für das Buch eingenommen hat mich auch die Liebesgeschichte mit Juli, die eben nicht romantisiert und stilisiert wird. Cole ist aufgeregt und aufgekratzt, als er und Juli sich das erste Mal küssen. Aber beide spüren bald, dass es eben nicht so passt mit ihnen, und dann plätschert die Beziehung noch eine Weile hin, bis Juli Schluss macht. So ehrlich bekommt man erste Beziehungsversuche selten in Jugendromanen erzählt. Und das sagt viel über das Buch aus.
(Ulf Cronenberg, 11.12.2024)