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Buchbesprechung: Nina Scheweling „Full Dive“

Cover: Nina Scheweling „Full Dive“Lesealter 14+(Rotfuchs 2024, 382 Seiten)

Da wollte ich auf der Webseite des Rowohlt-Verlags nach dem Cover von Nina Schewelings Jugendroman „Full Drive“ suchen und habe nichts gefunden. Duckduckgo (ich verwende kein Google) half mir dann weiter: Ich hatte nicht mitbekommen, dass Rotfuchs nicht mehr bei Rowohlt, sondern beim Fischer-Verlag verlegt wird. Dass ich mir „Full Dive“ aus meinem Lesestapel genommen habe, hatte seinen Grund: Mich hat die Zusammenfassung auf der Buchrückseite an „Erebos“ von Ursula Poznanski erinnert; und da ich von ihr zuletzt das neueste Buch („Scandor“) gelesen habe, schien mir das bestens passend.

Inhalt:

Jess lebt mit seiner Mutter und seinem großen Bruder Jaxon, nachdem sich ihr Vater aus dem Staub gemacht hat und keinen Unterhalt zahlt, in armen Verhältnissen; und dann verliert seine Mutter auch noch ihren Job … Außerdem zieht Jess‘ einzig gute Freundin Yara in eine andere Stadt. Auf der Sonnenseite des Lebens steht Jess jedenfalls gerade nicht.

Sein Bruder Jaxon ist ein erfahrener Computerspieler, der es unter dem Namen xxPrometheusxx zu einigem Ruhm gebracht hat. Zugleich ist er als Hacker mit ein paar Freunden einer üblen Sache auf der Spur. Davon erfährt Jess jedoch nur, weil er Jaxon eines Tages aus Misstrauen folgt. Am Ende entdeckt er das Geheimversteck der Hackergruppe. Doch als er dort ist, steht kurz darauf die Polizei vor der Tür. Jaxon sorgt dafür, dass Jess entkommen kann, Jaxon selbst wird jedoch festgenommen. Vorher hatte Jess mitbekommen, dass Jaxon bei einer Firma, die einen revolutionären Datenhelm für virtuelle Welten entwickelt hat, für einen Spieltest angeheuert wurde – wer das Spiel erfolgreich als Erster durchspielt, wird mit 100.000 Euro belohnt.

Jess, der eigentlich beim Computerspielen eine Niete ist, fasst, weil die Familie das Geld dringend braucht, einen kühnen Entschluss: Er will sich als Jaxon ausgeben und an dem Spieletest teilnehmen. Und so befindet er sich kurz darauf mit einigen anderen Spielern in der Rollenspielwelt von Cal’Anthor. Aufgabe dort ist, vier Drachen, die Cal’Anthor unter eine tiefe Dunkelheit gelegt haben, zu besiegen. Wer das schafft, muss noch den versteckten fünften Drachen finden und bezwingen. Jess fühlt sich bei all dem maßlos überfordert. Dass hinter der Spielwelt etwas sehr viel Ernsteres steht, macht ihm irgendwann eine Mitspielerin klar. Jess weiß nicht, ob er das glauben soll …

Bewertung:

Was hier zusammengefasst wurde, ist vor allem die Rahmenhandlung – doch das Buch selbst spielt zu fast drei Vierteln in der virtuellen Welt von Cal’Anthor. „Full Dive“ hat leichte Science-Fiction-Anklänge, weil die Firma cy.corp einen Datenhelm entwickelt hat, der seine Nutzer über eine Gehirnschnittstelle vollkommen in die Welt eintauchen lässt: Selbst Bewegungen, Gerüche und Schmerzen erlebt man, als wären sie Wirklichkeit. Die Idee für so eine vollkommene virtuelle Realität ist nicht ganz neu – so ähnlich findet man sie auch schon in Ursula Poznanskis Roman „Cryptos“.

„Full Dive“ braucht nicht lange, da entwickelt es Spannung. Der erste Höhepunkt ist, als Jess seinem Bruder folgt und dessen Hacker-Versteck entdeckt. Später ist es dann die Handlung in der Computerrollenspiel-Welt Cal’Anthor, die einen als Leser/in in den Bann zieht. Da ist wirklich alles geboten, was man aus Rollenspielen wie Baldur’s Gate & Co. kennt: Man muss erst mal einen eigenen Charakter mit bestimmten Stärken und Fähigkeiten kreieren (Jess wählt einen Schattenelf mit magischen Fähigkeiten); es gibt viele gefährliche Fantasy-Lebewesen und ständig andere Bedrohungen; man kann Nebenquests erledigen, wofür man Belohnungen erhält; und es gibt so etwas wie ein Hauptziel: nämlich die vier Drachen (in der Art von Bosskämpfen) zu töten und schließlich den fünften Drachen zu finden.

Die Welt, die Nina Scheweling hier entwirft, ist stimmig, und wer ein bisschen Rollenspielerfahrung hat, kann sich alles, was in Cal’Anthor geschieht, sehr gut vorstellen. Die Idee, dass sich ausgerechnet Jess, der in Computerspielen wenig Erfahrung hat, sich anfangs hilflos anstellt, in der Rollenspielwelt beweisen muss, ist ein geschickter Schachzug. Das treibt die Spannung nach oben, denn Jess befindet sich als Spieler wie als Spielfigur immer am Rande seiner Kräfte, weil die anderen ihn ja für xxPrometheusxx halten und entsprechend viel von ihm erwarten. Ständig fürchtet er, enttarnt zu werden.

Interessant ist ebenso, was gruppendynamisch in den Rollenspielpausen zwischen den Spielerinnen und Spielern passiert. Zwei Figuren stechen hervor: TJ, ein extrem selbstüberzeugter Gamer, der nur darauf aus ist, sein Ding durchzuziehen, und Rumi, die Jess dafür sensibilisiert, dass die Firma cy.corp keine ehrenwerten Motive hat, sondern fragwürdige Geschäfte plant. Zwischen Rumi und Jess gibt es außerdem ein ständiges Auf und Ab. Anfangs verstehen sie sich gut, doch dann ist zwischen beiden der Wurm drin.

Ja, die wenig ehrenwerten Motive von cy.corp. Es dauert lange, bis Jess sieht, dass der Firmenbesitzer mit etwas, das im Spiel verborgen ist, viel Geld machen will. Die angeworbenen Gamer sollen ihm verschaffen, woran er selbst gescheitert ist: dem Spiel ein Geheimnis entlocken, das er dringend für seine Geschäfte braucht. Das Buch bereitet hier langsam aber sicher einen Showdown vor, der es in sich hat.

Wenn ich mich frage, was mir an „Full Dive“ nicht so ganz gefallen hat, so ist es die etwas klischeehafte Familienkonstellation von Jess: Vater weg, Mutter alleinerziehend ohne Unterhalt und mit schlechtem Verdienst, irgendwann ohne Job. Ein bisschen weniger Klischee hätte es da gerne sein dürfen.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Erebos“ hat viele begeisterte Leser/innen gefunden. Ich war in Bezug auf die Spielwelt in „Erebos“ eher etwas verhalten. Bei „Full Dive“ war das ganz anders. Mit Cal’Anthor hat Nina Scheweling eine faszinierende Rollenspielwelt entworfen, die sich mit der Rahmenhandlung zu einem stimmigen Gesamtbild verbindet. „Full Dive“ ist spannend mit mehreren Höhepunkten, es ist aber auch psychologisch ein Bezug auf die Figuren interessant, wenn man vom ein oder anderen kleinen Klischee absieht. Für Jess ist das, was er erlebt, in gewisser Weise auch ein Selbstfindungs-Trip.

Man kann natürlich bemängeln, dass die Buchidee hinter „Full Dive“ abgekupfert ist. Die Grundidee wie auch einzelne Elemente sind bereits in anderen Büchern zu finden. Aber Nina Scheweling holt aus all dem das Beste heraus, und das Lesen macht eindeutig Spaß. „Full Dive“ ist ein Buch für Lesemuffel, ein Jugendroman, den man vor allem Jugendlichen empfehlen kann, die sonst vor allem am Computer spielen und wenig lesen. Auch Lesemuffel dürften die fast 400 Seiten als wenig anstrengend erleben – dazu ist das Buch einfach zu packend, und man wird vorangetrieben, weil man erfahren will, wie die Geschichte ausgeht.

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(Ulf Cronenberg, 30.08.2024) ></p>
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