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Buchbesprechung: Ursula Poznanski „Cryptos“

Cover: Ursula Poznanski „Cryptos“Lesealter 14+(Loewe-Verlag 2020, 444 Seiten)

Ganz selbstbewusst steht auf dem Cover schon nicht mal mehr der volle Name der Autorin, sondern nur noch der Nachname. Ursula Poznanski hat sich mit ihren Büchern (beginnend mit „Erebos“ vor 10 Jahren) einen großen Bekanntheitsgrad erarbeitet – bei jugendlichen Leser/innen, aber auch bei Erwachsenen, für die sie auch Romane schreibt. „Cryptos“ heißt der neue Jugendroman der am Stadtrand von Wien lebenden Autorin, und es geht in dem Buch um eine Gesellschaft, die vor allem in virtuellen Welten lebt. Und dort läuft einiges aus dem Ruder …

Inhalt:

Jana arbeitet als Welten-Designerin bei Mastermind, einer Firma, die für alle Menschen virtuelle Welten erschafft. Das reale Leben auf der Erde ist nämlich alles andere als angenehm – Klima und Natur sind stark in Mitleidenschaft gezogen, die Ressourcen sind begrenzt, und so verbringen die Menschen fast ihr gesamtes Leben in der virtuellen Welt, wo alles deutlich angenehmer ist.

Damit die Menschen die virtuellen Welten, von denen es tausende in allen Spielarten gibt, bereisen können, sind sie in Kapseln an einen speziellen Anzug angeschlossen – über Schläuche werden sie auch mit Nahrungsmitteln und Flüssigkeit versorgt. Nur einmal pro Tag sollte man für kurze Zeit seine Kapsel verlassen, um seine körperliche Fitness im realen Leben zu erhalten. Doch in der virtuellen Welt läuft etwas schief, wie Jana bemerkt. Es kommt dort zu unerklärlichen Morden, die durch nicht nachverfolgbare Phantome begangen werden. Jana versucht herauszufinden, wer in ihre Welten eingedrungen ist und für die Morde verantwortlich ist.

Auf ihrer Suche geschehen jedoch weitere seltsame Dinge: So werden die virtuellen Welten, die Jana besuchen kann, immer weniger, und die von ihr selbst erschaffenen Welten wurden außerdem manipuliert, was eigentlich nicht passieren dürfte. Seltsam ist auch, dass Jana immer wieder von Pfeilen getötete Tauben vorfindet – irgendwann kommt sie dahinter, dass die Pfeile Koordinaten enthalten; erst spät kapiert sie, was es damit auf sich hat, und trifft auf eine Widerstandsgruppe, die sich in der virtuellen Welt „Cryptos“ trifft. Das Ziel der Gruppe ist es, Mastermind daran zu hindern, den bereits begonnenen schlimmen Plan der Firma ganz in die Realität umzusetzen. Es stehen viele Menschenleben auf dem Spiel.

Bewertung:

So richtig durchgesetzt haben sich VR-Brillen noch nicht, auch wenn das Computerspiel Half-Life: Alyx (Wikipedia-Artikel), das Ende März 2020 erschienen ist, als Meilenstein von VR-Spielen gilt und dazu geführt hat, dass viele Gamer sich ein VR-Headset gekauft haben. Ausprobiert habe ich Half-life: Alyx auch mal für eine gute Stunde, und es ist erstaunlich, wie sehr man dort in die Welt eintaucht. Von dem Szenario in „Cryptos“, in dem nicht nur auditive und visuelle Eindrücke, sondern auch alle anderen Sinnesempfindungen über Ganzkörperanzüge mit einer Gesichtsmaske übertragen werden, sind wir noch etwas entfernt. Aber die sich entwickelnde Technik in einem Roman weiterzuspinnen, hat einen großen Reiz.

Es regt vor allem zum Nachdenken an, auch wenn man „Cryptos“ genauso gut einfach nur als spannenden Roman lesen kann. Die Frage drängt sich auf, was denn wirklich passieren würde, wenn die virtuelle Welt so viel reizvoller und intensiver als die reale Welt wäre … Und die reale Welt im Szenario von „Cryptos“ hat ja ziemlich abgewirtschaftet: Die Klimaprobleme haben sich massiv verschärft, die Ernährungslage ist prekär, die Menschen scheinen nicht mehr richtig selbstbestimmt zu leben. Man kann sich vorstellen, dass man da lieber in virtuellen Welten verschwindet, wo einem vor allem auch Sushi, Kaviar und andere Köstlichkeiten vorgesetzt werden, während das Essen in der realen Welt alles andere als lecker ist.

Die Idee an sich für das Buch ist erst einmal genial – auch wenn man Versatzstücke davon aus Büchern, Filmen oder Computerspielen kennt. Reizvoll ist, dass es in „Cryptos“ so viele Welten gibt, in die man sich begeben kann. Der Bruder von Ich-Erzählerin Jana zum Beispiel lebt dauerhaft im England des beginnenden 17. Jahrhunderts und betreibt dort mit seiner Freundin, die er bald heiraten will, einen Töpferstand. Als Jana ihn dort besucht, findet sie den Gestank im London der damaligen Zeit kaum auszuhalten. Ansonsten gibt es viele Welten mit Fantasy-Anklängen, ruhige und entspannende Welten, aber auch Horror-Welten; und schließlich hat Mastermind auch zwei Strafwelten geschaffen, in die Delinquente versetzt werden. Jana hält sich dort auch einmal auf und ist fast jede Sekunde mit dem Leben bedroht. Sterben in der virtuellen Welt heißt allerdings nur, dass man einige Zeit später wieder in der Welt an anderer Stelle erwacht.

Dass Ursula Poznanski eine gute Erzählerin ist, die ihre Geschichten gekonnt aufbaut, ihnen Spannung zu verleihen weiß und damit Leser/innen bei der Stange hält, ist bekannt. Das ist in Cryptos nicht anders. Ein bisschen mehr Tiefe hätten allerdings die Figuren verdient: Jana und die anderen Personen im Roman sind – das war auch schon meine Kritik an „Erebos 2“ – eher eindimensional gezeichnet. Die Gedankengänge der Figuren im Buch sind wenig komplex, sie kennen eher selten widerstrebende Gefühle und wirken irgendwie etwas flach. Deutlich sieht man das an einer Figur, die am Ende eine große Rolle spielt: an Theo, dem Sohn des Mastermind-Besitzers. Er wirkt als verwöhnter Schöngeist irgendwie nicht wirklich plausibel. Auch andere Figuren wie zum Beispiel Lauritz, der Sicherheitschef von Mastermind, finde ich einfach etwas zu klischeehaft.

Die Stärke von Ursula Poznanski liegt von daher eher im Aufbau des Buchs – der Plot ist gut konstruiert, so aufgebaut, dass man nie die Lust am Weiterlesen verliert – abgesehen von einer kleinen Einschränkung: Der Schluss der Romans hat mich etwas enttäuscht. Er vollzieht sich für meinen Geschmack zu schnell und ist insofern unbefriedigend, weil er zu wenig die Neugierde des Lesers / der Leserin befriedigt, wie es in der Buchwelt weitergehen könnte. Raffiniert wäre zum Beispiel gewesen, wenn es am Ende einen kurzen Epilog, der die Welt 5 Jahre später zeigt, oder etwas Ähnliches gegeben hätte.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Ich finde gut, dass es Bücher wie „Cryptos“ gibt, die sich mit Themen wie virtueller Realität auseinandersetzen und technische Entwicklungen weiterspinnen. Man kann ausgehend von solchen Büchern durchaus Fragen nach unserer Zukunft stellen – auch wenn diese Frage im Buch selbst nicht aufgegriffen und thematisiert werden. „Cryptos“ will vor allem unterhalten – das ist auch in Ordnung, auch wenn ich finde, dass man durchaus mehr Gesellschaftskritisches integrieren hätte können.

Der neue Jugendroman von Ursula Poznanski ist ein spannendes Buch, das seine Leser/innen gut bei Laune hält, weil er mit einer packenden Grundidee aufwartet und einen gelungenen Spannungsbogen hat. Gerade computer- und rollenspielbegeisterte Jugendliche dürften an „Cryptos“ Gefallen finden – und damit der/die ein oder andere Jugendliche, der/die vielleicht sonst eher einen Bogen um Bücher macht.

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(Ulf Cronenberg, 10.01.2021)

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