Jugendbuchtipps.de

Buchbesprechung: Alice Gabathuler „Mittelstreifenblues“

Cover: Alice Gabathuler „Mittelstreifenblues“Lesealter 14+(Geparden-Verlag 2024, 308 Seiten)

Schon längere Zeit habe ich kein Buch mehr von Alice Gabathuler gelesen, obwohl mir ihre früheren Jugendromane (z. B. „Das Projekt“ aus dem Jahr 2008) gut gefallen haben. Früher waren ihre Bücher bei Thienemann verlegt worden, „Mittelstreifenblues“ ist beim Schweizer Geparden-Verlag erschienen, den ich bisher nicht kannte, der sonst wohl vor allem Erwachsenenbücher im Programm hat. Der Titel klang für mich jedenfalls interessant, und ich war gespannt auf das neue Jugendbuch der Schweizer Autorin.

Inhalt:

Elia lebt ganz am Ende eines Schweizer Tals in Ronda, einem kleinen Ort, in dem wenig los ist. Die Touristen ziehen sich angesichts des Klimawandels zurück – die frühere Schneesicherheit ist weg. Das Hotel seiner Mutter besuchen immer weniger Gäste, es hat seine besten Zeiten hinter sich. Seine Mutter würde sich wünschen, dass Elia es weiterführt, aber das ist nicht das, was Elia möchte.

Mit Jelscha ist Elia ein Herz und eine Seele. Sie ist die Einzige, der er sich immer wieder anvertrauen kann, die auch ihm alles erzählt, was sie beschäftigt. Und da gibt es bei beiden so einiges … Jelscha ist bei Jonny aufgewachsen; das ist aber nicht ihr Vater, sondern der Bruder ihrer Mutter. Weil Jelschas Mutter nach ihrer Geburt spurlos verschwunden ist, hat Jonny seine anstehende Rockmusikerkarriere aufgegeben, um sich um Jelscha zu kümmern. Im Hintergrund waren auch Jelschas Großeltern immer für sie da. Auch wenn Jelscha es mit den Dreien gut hatte, trotzdem beschäftigt sie immer wieder die Frage, warum ihre Mutter sich so vollständig aus ihrem Leben zurückgezogen hat.

Auch bei Elia ist einiges schwierig: Er hat wenig Selbstvertrauen, spricht wenig und weiß so gar nicht, was er aus seinem Leben machen will. Nur dass er nicht das Hotel der Mutter übernehmen möchte, ist für ihn klar. Zugleich fürchtet er, dass er mangels Alternativen genau dort landen wird, seit seine ältere Schwester vor kurzem Ronda verlassen hat. Doch der Frieden in Ronda ist gefährdet: Ein früherer Einwohner, der inzwischen zu viel Geld gekommen ist, will aus Ronda ein modernes Ferienressort machen und damit die beschauliche Idylle zerstören.

Bewertung:

„Mittelstreifenblues“ – was für ein genialer Titel – ist etwas anders aufgezogen, als die Inhaltsangabe oben das vermuten lässt. Denn die Freundschaft zwischen Elia und Jelscha ist quasi ausgesetzt; Jelscha hat mit ihrem Ziehvater Jonny Hals über Kopf das Tal verlassen. Über die Hintergründe weiß man nichts – das erfährt man erst recht spät im Buch. Zurückgelassen hat Jelscha für Elia ein Buch mit Gedichten und Songtexten, die sie im letzten Jahr geschrieben hat. Und nun hangelt er sich von Gedicht zu Gedicht, und dadurch treten seine Erinnerungen an das vergangene Jahr wieder zutage.

Ausgehend von Jelschas Texten, die in einem Handwriting-Font wiedergegeben sind, erzählt Elia im Buch, was ihm passiert ist – die Gegenwart und das erlebte letzte Jahr verschwimmen miteinander. Er liest ein Gedicht, dann durchlebt und ergänzt er das, was Jelscha in ihren lyrischen Worten zu fassen versucht hat. Und Jelscha, die viel gefühlsbetonter als Elia ist, lässt in den Gedichten manches von dem raus, was Elia fühlt, aber selbst oft nicht so richtig verstanden hat.

Um mich mit dieser Buchkonstruktion anzufreunden, habe ich ein bisschen gebraucht; es hat anfangs leicht gekünstelt gewirkt. Doch je weiter ich im Buch gekommen bin, desto reizvoller fand ich die Buchidee von Alice Gabathuler. Vorangetrieben wird sie zusätzlich von einer interessanten Figurenkonstellation, die immer wieder durch neue Figuren erweitert wird. Vor allem Conradin Annen, der aus dem Ort ein angesagtes Tourismuszentrum machen möchte, und seine Familie (seine Frau ist eine bekannte Schauspielerin, die beide Söhne, Vince und Laurin, sind etwa im Alter von Jelscha und Elia) spielen dabei eine wichtige Rolle.

„Mittelstreifenblues“ ist letztendlich eine Selbstfindungsgeschichte: Elia mit seiner Schüchternheit und dem geringen Selbstvertrauen wird durch die Ereignisse mit sich selbst konfrontiert, würde aus Angst am liebsten vor allem davonrennen. Durch die Freundschaft mit Jelscha, die an ihn glaubt und manchmal mehr über ihn weiß als er selbst, lernt er sich in seinem eigenen Tempo aber vielen Dingen zu stellen. Ohne gleich alles zu verraten: Es geht dabei auch um die sexuelle Identität von Elia.

Darüber hinaus ist die Idee mit dem Ferienressort, das in Ronda gebaut werden soll, eine zweite zentrale Idee, die dem Buch guttut. Sie gibt dem Jugendroman neben der Selbstfindung ein weiteres Thema – die Beschaulichkeit von Ronda wird massiv gestört, und das bringt einiges in Gang. Die Bauprojekte heizen nicht nur wegen der Ressortpläne die Stimmung im Ort auf; mit der Familie von Conradin Annen, die immer wieder Ronda besucht, kommen Figuren ins Spiel, die das Buch beleben. Es sind vor allem Vince und Laurin, die bei Jelscha und Elia einiges an Dynamik in Gang bringen.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Mir haben schon immer Bücher mit eher schüchternen Erzähler/inne/n gefallen, wobei das allein natürlich noch keinen guten Jugendroman ausmacht. In „Mittelstreifenblues“ (wer wissen will, wo der Titel herkommt, muss das Buch selbst lesen) ist Elia jedenfalls eine gut gewählte Figur, die durch die selbstbewusste, aber nie unsensible Jelscha gut ergänzt wird. Die beiden sind ein spannendes Duo, dem ich gerne noch weiter gefolgt wäre. Und das anfangs etwas schrullig dargestellte Ronda, entwickelt sich am Ende zu einem interessanten Ort – das sei so allgemein gehalten verraten.

Mir hat Alice Gabathulers neuer Jugendroman nach ein bisschen Einlesezeit immer besser und unterm Strich richtig gut gefallen. Ich finde es spannend, dass Gedichte hier auf eine ganz eigene Weise in einen Jugendroman eingebaut werden. „Mittelstreifenblues“ ist ein Plädoyer dafür, lyrische Texte zu schreiben und sie zu lesen. Allein das macht Alice Gabathulers Roman zu etwas Besonderem. Und ich kann das Buch allen, die nicht nur Mainstream-Bücher lesen wollen, nur wärmstens ans Herz legen.

blau.giflila.gifrot.gifgelb.gifgruen_halb.gif

(Ulf Cronenberg, 18.08.2024) ></p>
<div class=


Entdecke mehr von Jugendbuchtipps.de

Subscribe to get the latest posts sent to your email.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert