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Buchbesprechung: Robert M. Sonntag „Die Scanner“

sonntag_scannerLesealter 14+(Fischer-Verlag 2013, 190 Seiten)

Richtige Science-Fiction-Romane findet man derzeit im Jugendbuchbereich eher selten – wenn man mal von den zahlreichen, oft reißerischen Dystopien absieht, die jedoch immer ein wenig schablonenhaft daherkommen und meist auf Spannung und Nervenkitzel hin geschrieben sind. Schade, denn eigentlich finde ich es interessant, wenn sich Autoren Gedanken über die Zukunft machen und gegenwärtige Trends fortspinnen.

Ein Science-Fiction-Buch für Jugendliche kommt von unerwarteter Seite: Martin Schäuble, bisher nur als Autor von Sachbüchern zum Thema Nahostkonflikt in Erscheinung getreten, hat mit „Die Scanner“ eines geschrieben. Falls ihr nun etwas irritiert seid: Warum das Buch offiziell einen anderen Autor hat, sei nicht verraten – es hat etwas mit der Geschichte zu tun …

Inhalt:

2035. Rob ist ein junger Mann, der einen seltsamen Job hat: Mit seinem Freund Jojo arbeitet er als Scanner. Die beiden durchforsten die Stadt auf der Suche nach Lesern von Büchern. Haben sie jemanden gefunden, so bieten sie dem Leser für das Buch viel Geld, um es ihm abzukaufen. Ihre Aufgabe ist es, sind sie erfolgreich, das Buch einzuscannen, bevor es vernichtet wird. Das alles geschieht im Auftrag des Ultranetz-Konzerns, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, jedermann digital kostenlos alle jemals erschienenen Bücher zur Verfügung zu stellen. Das ist zumindest die offizielle Variante hinter der Idee.

Als die beiden in einem Zug unterwegs sind, begegnet ihnen ein alter Mann mit langen Haaren, der in einem Buch liest. Rob und Jojo sind ganz heiß darauf, das Buch zu bekommen, waren ihre Erfolge in den letzten Wochen recht mager. Doch der Mann lässt die beiden abblitzen und entschwindet im Zug. Rob eilt ihm hinterher und findet zwar nicht den Mann, aber in der Zugtoilette eine Nachricht auf den Spiegel geschrieben: mit einer Uhrzeit und einem Treffpunkt.

Als Rob später herausfindet, dass es sich bei dem alten Mann um einen gesuchten Terroristen handelt, auf den ein hohes Kopfgeld ausgesetzt ist, beschließt er, alleine zu dem Treffpunkt zu gehen. Er will den Mann stellen und die Belohnung einstreichen. Doch am Treffpunkt kommt alles anders als gedacht: Arne Bergmann, wie der alte Mann heißt, will Rob davon überzeugen, dass Ultranetz Bücher vernichtet, anstatt sie zu speichern und allen zugänglich zu machen. Rob lässt sich davon jedoch nicht beirren und will weiter sein Ziel verfolgen …

Bewertung:

„Die Scanner“ ist zunächst einmal ein ungewöhnlicher Science-Fiction-Roman, in dem eine Welt in gut 20 Jahren ausgemalt wird, die durchaus ihren Reiz hat. Die Menschen tragen Datenbrillen, die alles, was sie erleben, aufzeichnen und über die man Informationen abrufen kann (wer denkt da nicht an Google Glass, eine Datenbrille, die kurz vor der Veröffentlichung steht). Auch die Idee mit Facebook ist fortgeschrieben: Man kann über die Mobril, wie die Datenbrille heißt, Freunde live an seinen Erlebnissen teilhaben lassen, kann ins Leben anderer schauen etc. Die Menschen leben außerdem in verschiedenen Zonen: der komfortablen und fortschrittlichen A-Zone auf der einen Seite, der wenig fortschrittlichen C-Zone auf der anderen Seite, dazwischen die B-Zone.

Damit sind nicht alle Zukunftsszenarien, die in dem Buch entworfen sind, genannt – nein, das Buch sprudelt nur so von Ideen. Für mich hat diese Zukunftsvision eigentlich den größten Reiz an dem Buch ausgemacht. Wie die Menschen mit ihrer Mobril danach gieren, möglichst viele Freunde live bei ihren Erlebnissen zugeschaltet zu haben, ist eine gekonnte Satire auf Facebook & co. „Die Scanner“ kann diesbezüglich durchaus als Dystopie durchgehen, denn eine positive Zukunftsvision ist das sicher nicht. Im Gegenteil, je länger man in dem Buch liest, desto klarer wird einem, dass hinter all den technischen Neuerungen nur eines steht: Der Ultranetz-Konzern versucht, mit aller Macht die Kontrolle über die Menschen und deren Leben zu bekommen.

Daneben erzählt Martin Schäubles Buch auch eine Geschichte, in der der anfangs naive Rob zunehmend Zweifel an Ultranetz und den Idealen des Konzerns bekommt. Die Begegnung mit Arne Bergmann lässt ihn zunächst kalt, weil er zu tief in der verbreiteten Ideologie von Ultranetz gefangen ist. Doch dann passieren einige Dinge, die Rob immer mehr zweifeln daran lassen, dass Ultranetz wirklich alles nur für die Menschen tut.

Die Geschichte ist auf Spannung angelegt, die sie in Maßen auch entfaltet. Aber so richtig hineingezogen wurde ich in das Buch dennoch nicht. Das mag man als Schwäche ansehen oder aber als Zeichen dafür, dass „Die Scanner“ mehr als ein Science-Fiction-Roman mit Action ist: eine Allegorie, die eben etwas transportieren will und nicht nur eine Geschichte erzählen soll. Martin Schäuble will auf die Gefahren von technischen Entwicklungen hinweisen, er liefert ein Plädoyer für das Medium Buch ab. Das alles ist intelligent gemacht, aber persönlich hätte ich dennoch ein wenig mehr Spannung vertragen können. Die Figuren des Buchs bleiben einem eher fremd, man leidet und fiebert nicht mit ihnen mit. Vielleicht ist das Absicht, aber ein „1984“-Gefühl (in Anspielung auf George Orwells Roman) von einer beängstigenden und bedrängenden Zukunft kommt dabei nicht so richtig auf. Und das ist das Einzige, was ich an dem Buch vermisse.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Die Scanner“ ist ein Buch, das anders ist als das, was sonst in den letzten Jahren im Jugendbuchbereich veröffentlicht wurde, und allein das ist schon mal lobenswert. Darüber hinaus entwirft Martin Schäuble alias Robert M. Sonntag eine interessante Vision davon, wie unsere Zukunft aussehen könnte. Diese Vision ist überzeichnet, aber sie legt damit gekonnt den Finger auf die Wunden der Gegenwart: Man macht sich als Mensch in Facebook, in Blogs, bei Konzernen, deren Internetseiten man benutzt, öffentlich; und niemand weiß so richtig, was mit all den Daten eigentlich passiert. Genau das treibt „Die Scanner“ auf die Spitze, und zwar auf unterhaltsame Art und Weise.

Der einzige Kritikpunkt von meiner Seite an dem Buch ist, dass es eine noch ausgefeiltere Dramaturgie haben könnte. Die Figuren bleiben ein wenig blass, die Geschichte greift einen nicht wirklich an, sie ist einen Tick zu gefällig, um einen aus dem gemütlichen Lesesessel zu katapultieren. Und genau das hatte ich mir angesichts des Themas dann doch immer wieder gewünscht.

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(Ulf Cronenberg, 13.03.2013)

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Kommentare (4)

  1. Elisabeth

    Wenn Sie mal einen wirklich guten dystopischen Jugendbuchromam lesen möchten, der allerdings kein SiFi ist, kann ich nur die „Méto“-Trilogie von Yves Grevet empfehlen.
    Versprochen nicht reißerisch, aber intelligent und mit hohem Suchtfaktor. 🙂

    Herzlichen Gruß, Elisabeth

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg

      Hallo Elisabeth,
      ich habe es mit „Méto“ versucht, aber ich bin mit dem Buch nicht warm geworden und habe es nach 100 Seiten abgebrochen. Trotzdem danke für den Tipp!
      Viele Grüße, Ulf

      Antworten
  2. Elisabeth

    Natürlich würde mich interessieren, was Ihnen daran nicht gefallen hat.
    Aber wie auch immer, so ist da mit den Geschmäckern.

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    1. Ulf Cronenberg

      Ich fand bei „Méto“ einfach das Gesamtszenario höchst seltsam, weil es mich so auf Distanz gehalten hat. Die Geschichte ist auch nicht in Fahrt gekommen, war für mich einfach langatmig und undurchsichtig.

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