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Buchbesprechung: Kevin Brooks „Naked“

Cover Kevin Brooks Lesealter 14+(dtv 2013, 478 Seiten)

Wenn ein neues Buch von Kevin Brooks angekündigt wird, freue ich mich immer wie ein Schneekönig darauf … Das ist vielleicht ein sehr persönliches Statement gleich zu Beginn, aber es gibt wenige Autoren, die es mir so angetan haben – auch wenn der britische Autor natürlich bessere und nicht ganz so gute Jugendromane geschrieben hat. Eine richtige Enttäuschung ist mir bei Kevin Brooks bisher jedoch nicht untergekommen. Ich mag seine Art zu schreiben, wie er die Nöte von Jugendlichen zu packen und fassen bekommt, wie er sie in Worte und Sätze kleidet, wie er Jugendliche in Grenzsituationen versetzt, Dinge auf die Spitze treibt, auslotet und ausleuchtet. Auf „Naked“, das im Herbst angekündigt worden war, habe ich fast ein halbes Jahr gewartet, und endlich lag es dann vor kurzem auf meinem Tisch.

Inhalt:

Lili ist eine 16-jährige Schülerin, die zwar eine recht wohlhabende Mutter, aber kein leichtes Leben hat. Ihren Vater, einen reichen Filmregisseur aus Amerika, hat das Mädchen nie kennen gelernt – er ist kurz nach Lilis Geburt wieder in die USA zurückgegangen, um nie mehr wiederzukehren. Lilis Mutter lebt seitdem in einer beängstigenden Instabilität: Mal ist sie normal, dann wieder depressiv. Verlässlich ist sie jedenfalls nicht.

Lilis großes Hobby ist das Klavierspielen – in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nicht gerade das, was Jugendliche für angesagt halten. Verwundert ist Lili deswegen, als Curtis, ein Mitschüler, der in einer Punkband spielt und von allen als cool angesehen wird, sie anspricht, nachdem er ihr beim Klavierspielen zugehört hat. Curtis überredet Lili nicht nur dazu, zur Probe seiner Band zu kommen, sondern danach sogar dazu, in die Band einzusteigen und Bassgitarre zu spielen. Lili ist perplex, hat sie doch nie zuvor eine Bassgitarre in der Hand gehabt. Doch mit Curtis‘ Hilfe lernt sie schnell spielen.

„Naked“ heißt die Band von Curtis, mit dem Lili bald ein Paar ist, und Curtis‘ großer Traum ist es, groß herauszukommen. Auch wenn Curtis nicht nur ein guter Gitarrist ist, sondern zudem ein großartiger Songschreiber und Sänger – einfach ist es nicht, bekannt und berühmt zu werden.

Doch nach und nach bieten sich der Punkband immer mehr Chancen. „Naked“ profitiert auch davon, dass der bisherige Gitarrist nach einem Streit das Handtuch wirft und daraufhin William, ein Ire, der Musik im Blut zu haben scheint, als Gitarrist angeheuert werden kann. Nicht alles ist jedoch dadurch leichter: William ist unzuverlässig und versetzt die Band mehrmals bei wichtigen Terminen. Nicht nur deswegen kommt es mit Curtis wiederholt zu Konflikten … Curtis gerät außerdem immer mehr in den Sog der Drogen.

Bewertung:

„Naked“ ist eine kleine Zeitreise fast 40 Jahre zurück, und nach allem, was ich über Kevin Brooks weiß, hat das Thema des Buchs durchaus auch etwas mit seiner Vergangenheit zu tun. Kevin Brooks hat sich früher als Punk-Musiker versucht, und wahrscheinlich war das genau in dieser Zeit, 1976, als Bands wie die Sex Pistols oder The Clash begannen, bekannt zu werden. Lilis und Curtis‘ Band Naked gab es natürlich nicht, aber ansonsten tauchen in dem Buch am Rande viele reale Figuren auf: Von Malcolm McLaren oder Johnny Rotten, dem Frontman der Sex Pistols, ist z. B. die Rede.

Dass Kevin Brooks in „Naked“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) weiß, worüber er schreibt, spürt man. Die Stimmung der 1970er Jahre, in denen die Punks aufkamen, wirkt authentisch dargestellt. Drogen, Provokationen um der Provokation willen, Gewalt auf Konzerten etc. – all das wird in „Naked“ beschrieben. Darüber hinaus streift das Buch aber auch ein anderes Thema aus der damaligen Zeit: Die IRA (die Irish Republican Army) versetzte Großbritannien in ihrem Unabhängigkeitskampf mit Bombenattentaten immer wieder in Schrecken. William, der neue Gitarrist von Naked, stammt aus Irland, wo seine Eltern von der IRA ermordet wurden, und er selbst sinnt auf Rache, geht dabei jedoch ein fragwürdiges Bündnis mit IRA-Leuten ein.

„Naked“ wäre kein Kevin-Brooks-Buch, wenn der Autor es nicht verstehen würde, die Hauptfigur in einem großen Dilemma und in einer Krisensituation anzusiedeln. Dass Kevin Brooks zum zweiten Mal in einem seiner Bücher ein Mädchen als Hauptfigur auswählt, ist da fast logisch. So ist Lili in der von Männern dominierten Punkmusikszene eine Figur, die per se heraussticht und damit eine exponierte Person ist. Aber was wohl wichtiger für die Dramaturgie des Buches ist: Durch Lili kann auch das Thema Beziehung in das Buch Einzug halten. Wer ahnt angesichts der bisherigen Informationen über „Naked“ nicht, dass das Buch auf eine Dreiecksgeschichte hinausläuft?

Kevin Brooks ist und bleibt jedenfalls Kevin Brooks – da ändert auch das neue Thema, das er diesmal verarbeitet, nichts daran. Widersprüchliche Gefühle von Personen werden ausgeklügelt ausgelotet, der Plot spitzt sich zum Schluss hin zu, am Ende bleibt Wehmut angesichts dessen, was passiert ist, zurück. Wenn ich ganz kritisch auf das Buch schaue, so würde ich zwei Dinge nennen, die mir nicht ganz so zugesagt haben: Das Buch hat zum einen von Seite 100 bis 200 einen längeren Durchhänger, der aber nicht allzu sehr ins Gewicht fällt. Zum anderen schrammt das Ende knapp an der Kitsch- und Klischeegrenze vorbei (mehr sei aber nicht verraten).

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Naked“ ist – kurz zusammengefasst – nicht Kevin Brooks‘ bestes Buch (das bleibt für mich nach wie vor „The Road of the Dead“), aber es ist auch nicht sein schlechtestes. Für „Naked“ spricht, dass das Buch sehr authentisch wirkt, dass man in eine Zeit hineinschnuppern kann, die jugendliche Leser von heute so gut wie gar nicht kennen. Und außerdem spielt Kevin Brooks seine gewohnten Stärken aus. Mit welcher Dichte er Figuren beschreibt, wie er sie in Zwangslagen versetzt und ihr Hin- und Hergerissensein darstellt – das sucht seinesgleichen.

Trotz der oben genannten kleinen Kritikpunkte kann man alles in allem nur sagen: Lest dieses Buch! Es lohnt sich wie bei jedem Kevin-Brooks-Buch. Für „Naked“ spricht vielleicht auch (man hat ja auch behütende Eltern im Blick), dass es schon Bücher des britischen Autors gab, in denen Gewalt expliziter beschrieben wurde – und auch das Drogenthema wird nur angerissen und nie verherrlichend dargestellt. „Naked“ ist hier vergleichsweise harmlos …

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(Ulf Cronenberg, 16.02.2013)

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Kommentare (5)

  1. Britta

    Lieber Ulf, dieses Mal stimme ich Dir uneingeschränkt zu. Speziell was Deine Ansicht bezüglich des Schlusses angeht, das ist wirklich hart an der Schmerzgrenze. Aber ansonsten gibt es nicht viel zu meckern. Und ich hab mich sehr gefreut, dass es jetzt ein Jugendbuch gibt, dass sich so intensiv mit Musik und einer ganz speziellen Szene befasst.
    Schöne Grüße
    Britta

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  2. dirk

    Der Anfang hängt etwas. Zudem wirkt Lilly nicht taff genug für ihre Rolle als Punkbassistin. Ab Williams Auftauchen gewinnen die Handlung, Story und Konflikte enorm an Fahrt, super! Hier vibriert das Buch an Musikalität. Leider ist der Schluss schlimm verkitscht, so einfallslos kenne ich Brooks gar nicht, buh! Trotzdem ein lesenswertes Vergnügen.

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  3. Magor

    «zum zweiten Mal in einem seiner Bücher ein Mädchen als Hauptfigur» – nach meiner Zählung müsste es das dritte sein – «Lucas» und «Killing God» hatten doch ebenfalls Ich-Erzählerinnen, oder?

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    1. Ulf Cronenberg

      Ja, das stimmt sicher. „Lucas“ habe ich nicht gelesen … Daher die Ungenauigkeit.

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