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Buchbesprechung: Jan Simoen “Mamas Liebling”

Cover SimoenLesealter 14+(Ravensburger-Verlag 2010, 119 Seiten)

Mal ehrlich? Sehen so ein Titel und ein Buchcover aus, die einen dazu bringen, ein Buch zu kaufen? Ich konnte mir bei dem Buch wirklich gar nichts vorstellen (auch nach dem Lesen des Jugendbuchs finde ich Cover und Titel völlig unpassend) – und ich glaube, hätte da nicht auf dem Buchumschlag noch „Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressier“ gestanden (was ein gewisses Qualitätsmerkmal ist), wäre das Buch von mir unbeachtet geblieben. Dabei hat der Belgier Jan Simoen 2008 für „Slecht“ (so heißt das Buch im Original) den wichtigsten niederländischen Jugendliteraturpreis, den Gouden Zoen, verliehen bekommen.

Inhalt:

Der 16-jährige Nathan ist gerade nach Hause gekommen, als es an der Tür klingelt. Davor stehen zwei Polizisten, die ihn mit auf die Polizeiwache nehmen. Dass die Polizei ihm so schnell auf der Spur sein würde, damit hatte Nathan nicht gerechnet – denn viel Zeit kann nicht vergangen sein, seit er sich mit Laurens und Vince abgesprochen hat, was sie erzählen, sollte die Polizei sie vernehmen.

Alleine sitzt Nathan in einer Zelle. Seine Mutter, die ihn verwöhnt, die sonst immer zu ihm hält, egal, was er getan hat, ist bisher nicht aufgetaucht. Nach einiger Zeit geht die Tür auf und ein Inspektor will Nathan vernehmen. Nathan präsentiert ihm die mit Laurens und Vince vereinbarte Schonversion von dem, was passiert ist: Dass er sich an Raf, dem neuen Freund seiner früheren Freundin, gerächt habe, weil dieser nun mit Elke zusammen sei. Über alles andere, was passiert ist, verliert Nathan anfangs kein Wort.

Der Polizeiinspektor glaubt Nathan nichts von dem, was dieser erzählt … Doch Nathan beharrt auf seiner Version, auch wenn er sich manchmal leicht widerspricht. Doch je länger das Verhör dauert, desto mehr bröckelt Nathans Fassade, umso schwerer fällt es ihm, die Lügen aufrechtzuerhalten.

Bewertung:

Bewusst habe ich in der Inhaltsangabe ausgespart, was Nathan eigentlich getan hat – ein bisschen Spannung muss für diejenigen, die das Buch lesen wollen, ja bleiben. Und auch wenn das Cover und der Buchtitel nicht gerade werbewirksam sind – empfehlen würde ich „Mamas Liebling“ ganz klar.

Jan Simoens Jugendroman ist der Versuch, in das Innere eines Jungen zu schauen, der aggressiv ist, eine geringe Frustrationstoleranz besitzt und sich schwer tut, sich in andere hineinzuversetzen. Nathan ist ein Junge auf dem Weg in die Kriminalität, wie das auch der Polizeiinspektor Nathan gegenüber irgendwann einmal äußert. Letztendlich erzählt „Mamas Liebling“ nur ein paar Stunden, die Zeit, die Nathan in der Polizeizelle verbringt. Aufgeschrieben sind seine Gedanken während dieser Zeit, und sie enthalten einige Rückerinnerungen: an den Nachmittag, als er Elke übel mitgespielt hat, aber auch an seine Mutter und die Situation zu Hause.

Was sich im Laufe des Buchs entfaltet, ist das Psychogramm eines hochexplosiven Jungen – und wie Jan Simoen das anpackt, ist sehr geschickt gemacht. Es wirkt authentisch, wenn er in die Rolle von Nathan schlüpft, auch wenn man Kleinigkeiten an der zugrunde liegenden Konstruktion etwas klischeehaft finden könnte: Mutter alleinerziehend, Vater mit einer jüngeren Blondine durchgebrannt … Dennoch wirkt die Innensicht durchaus stimmig, man kann als Leser zumindest in Ansätzen spüren, wie ein aggressiver und egozentrischer Junge, der straffällig wird, tickt. Und packend ist das Ganze außerdem – wie ein kurzer Psychothriller.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Mamas Liebling“ ist ein interessantes Buch, ein Buch, das Fragen aufwirft, deren Beantwortung es größtenteils dem Leser überlässt. Ich fände es interessant zu wissen, wie dieses Buch entstanden ist. Hat Jan Simoen recherchiert, und wenn ja, wie? Hat er mit Jugendlichen wie Nathan gesprochen, sie zu verstehen versucht? Ein bisschen tue ich mich nämlich schwer, zu beurteilen, wie authentisch die Gedanken eines schwierigen Jungen wirklich wiedergegeben werden (auch wenn es auf mich größtenteils stimmig wirkt).

Aber vielleicht sollte man sich dem Buch auch anders nähern als mit der Frage nach dessen Authentizität: Denn „Mamas Liebling“ ist auf jeden Fall ein diskussionswürdiges Buch, das eine zentrale und wichtige Frage stellt: Warum gibt es so viele Jugendliche, die eine geringe Frustrationstoleranz haben und sich nur wenig empathisch verhalten können? Das Buch bietet ein paar Erklärungsansätze (z. B. die Hilflosigkeit von Nathans Mutter), aber lässt auch viel Raum für Diskussionen und für weiteres Nachdenken. Und genau das ist auch gut so.

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(Ulf Cronenberg, 09.03.2010)

Lektüretipp für Lehrer!

Dass es sich durchaus lohnen könnte, in der Schule „Mamas Liebling“ zu lesen, liegt auf der Hand. Geschickt wird in dem Buch ein gesellschaftliches Problem aufgegriffen – durch die Ich-Perspektive, mit der alles erzählt wird, wirkt Jan Simoens Buch auch nicht aufgesetzt.
„Mamas Liebling“ ist eines der Jugendbücher, mit dem man – und das geschieht in der Schule viel zu selten – ein aktuelles Thema aufgreifen kann, das Jugendliche selbst betrifft. Es geht um Werte, um Erziehung, um gesellschaftliche Probleme – und Diskussionen darüber stelle ich mir ziemlich spannend vor. Vor der 8. Klasse, vielleicht sogar noch ein Jahr später, sollte man dieses Buch jedoch nicht einsetzen.

Kommentare (0)

  1. Carmen Schmalz

    Hallo Ulf Cronenberg,
    ich erarbeite dieses Buch für meine Mitschüler und möchte eigentlich mehr über den Autoren wissen, also Jan Simoen, aber im Netz finde ich irgendwie nichts. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir antworten würden und etwas Wissenswertes für mich haben.

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    1. Ulf Cronenberg

      Hallo Carmen, hier findet man eine Biografie von Jan Simoen: http://www.jansimoen.com/life/life.php?section=bio – allerdings auf Niederländisch. Ich kann Niederländisch, kann das aber jetzt hier nicht alles übersetzen. Einfach mal über Google mit der Übersetzungsfunktion auf Deutsch anzeigen lassen … Auch wenn da dann einige Fehler drin sein werden, so würdest du sicher einiges davon auch verstehen.
      Nur kurz: Jan Simoen hat in den 80er-Jahren als Theaterfotograf gearbeitet und arbeitet derzeit als artistischer Leiter eines Theaters. Er hat ursprünglich romanische Sprachen und Kommunikationswissenschaften studiert. Geschrieben hat er außerdem zunächst Theaterstücke, später auch Kinder- und Jugendbücher.

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  2. Carmen Schmalz

    Hallo Ulf, ich danke schön für diese ganzen Infos. Ich habe aber jetzt ganz zum Schluss festgestellt, dass in diesem Buch eine kleine Zusammenfassung von diesem Autor drinnen ist. Aber nochmals dankeschön!
    Carmen Schmalz

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  3. Schüler

    Hallo,
    ich bin ein Schüler der 10. Klasse und habe das Buch von meiner Lehrerin als Lektüre aufbekommen. Ich finde 5 von 5 Punkten ist das Buch nicht „wert“. Ich habe mich mit Klassenkameraden besprochen, die mir zustimmen. Das Buch ist auch offensichtlich, es ist nur leicht „verschleiert“. Ich finde Ihre Informationen dennoch hilfreich und danke Ihnen!

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