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Buchbesprechung: Annette Mierswa „Der Scherbenpalast“

Cover: Annette Mierswa „Der Scherbenpalast“Lesealter 14+(Verlag Freies Geistesleben 2025, 207 Seiten)

Mir gefällt der Titel von Annette Mierswas Jugendbuch, auch wenn ich mir erst mal nicht so richtig etwas darunter vorstellen konnte. Meine Neugierde hatte darüber hinaus die Presseinformation geweckt, in der stand, dass es in dem Buch um einen Umzug geht. Das ist ja in der Tat etwas, was viele Jugendliche erleben. Ich kenne das durchaus auch selbst aus meiner Kindheit und Jugend, und ich habe mich vor allem bei einem Umzug mit 14 Jahren eine längere Zeit lang ziemlich entwurzelt gefühlt. Genau darum geht es auch in dem Buch von Annette Mierswa.

Inhalt:

Lous Mutter ist Schauspielerin in Hamburg, und als sie ein lukratives Anstellungsangebot vom Theater in Mannheim bekommt, sagt sie zu. Doch leider haben sie und ihr Mann das nicht mit ihrer Tochter abgesprochen, und Lou ist entsprechend stinksauer, alles, was sie schätzt und liebt, zurücklassen zu müssen: ihre beste Freundin Nel, die Theatergruppe, in die auch Damian geht. In ihn ist Lou schon länger verliebt, und es scheint so, als bahne sich da gerade eine Beziehung an. Doch daraus wird nun wohl nichts …

Das neue Haus in Mannheim ist toll, doch Lou ist voller Wut. Sie zieht sich mit lauter Musik zurück, lässt ihre Eltern auflaufen, und auch von der neuen Schule ist sie nur genervt und bemüht sich, überall anzuecken. Die neue Nachbarin, eine ältere Frau namens Freya, scheint außerdem etwas verrückt zu sein; das Haus der Nachbarin ist allerdings mehr als ungewöhnlich, ständig werkelt sie daran herum. Irgendwann steht Lou bei Freya im Garten, und weil Lou so viel Wut im Bauch hat, Freya das spürt, gibt sie ihr Geschirr zum Kaputtmachen in die Hand. Es tut Lou gut, das Geschirr zerspringen zu sehen, und anschließend soll sie mit den Scherben an einer Wand ein Bild gestalten. Der ganze Garten und das Haus sind voll von solchen Kunstwerken.

Eines Tages lernt Lou, als sie mit Sari, einer Klassenkameradin, an einen See geht, Tikey kennen. Zu ihm fühlt sich Lou sofort hingezogen, ohne es selbst so ganz zu verstehen. Doch Tikey scheint voller Geheimnisse zu sein …

Bewertung:

Annette Mierswa ist bisher an mir als Autorin vorbeigegangen – warum auch immer. „Der Scherbenpalast“ hat es mir auf den ersten 20 Seiten auch erst mal schwer gemacht, in die Geschichte reinzukommen. Mir war am Beginn des Buchs einfach vieles zu dick aufgetragen: Lou wird von den Eltern nach Mannheim verpflanzt, sie macht dort gleich zu Beginn auf Krawall, eine „Alte“ von nebenan wird vorgestellt … Das alles war irgendwie überreizt vorgetragen, und es las sich wie ein pädagogisch motiviertes Problembuch, das zu dick aufträgt. Doch ich habe weitergelesen und es weitere 20 Seiten später nicht bereut.

Der Wendepunkt kam für mich, als Freya, die über 70 Jahre alte Nachbarin, in die Geschichte tritt und Lou ihr begegnet. Freya ist eine besondere Figur: Sie hat Mitgefühl und ein gutes Gespür für Menschen, sie hat Ecken und Kanten, sie hat Geheimnisse, und sie zieht vor allem ihr Ding durch. Wie sie mit Mörtel und Kelle hantiert, ihr „Scherbenpalast“ genanntes Haus gestaltet, wie sie altes Geschirr, an dem schöne wie tragische Erinnerungen hängen, von Lou zertrümmern lässt, damit daraus etwas Neues entstehen kann, ist eine grandiose Idee: weil darin auf der Motivebene zugleich sehr schön Lous Lebenssituation und Gefühle widergespiegelt werden.

Und es gibt weitere Figuren, die einem während des Lesens ans Herz wachsen: der geheimnisvolle Tikey, dessen Leben, wie Lou später erfährt, mit Freya verwoben ist. Sari, eine etwas überkandidelte Mitschülerin, die es mit ihrer aufgeschlossenen Art schafft, Lous Freundschaft zu gewinnen; und später kommt noch ein anderes Mädchen, das etwas Schlimmes erlebt hat und deswegen zwei Jahre nicht gesprochen hat, dazu.

Die Geschichte ist in manchem ein wenig durchsichtig angelegt, weil man natürlich ahnt, dass Lou wegen des Umzugs von Hamburg nach Mannheim nicht nur ihre Wut verlieren wird, sondern irgendwann die neue Stadt und die neuen Freundinnen und Freunde zu schätzen weiß. Das vollzieht sich im Buch etwas schneller, als es in der Wirklichkeit wohl passieren dürfte – aber ein Buch darf das natürlich verdichten. Und es stört nicht wirklich, weil das Buch auch andere Themen kennt.

Wer ein bisschen über Annette Mierswa nachliest, erfährt, dass sie sich für Umweltschutz einsetzt. Und es ist eine wahre Begebenheit, die sie in den Jugendroman einbaut. Julia Butterfly Hill (Wikipedia-Artikel) ist eine amerikanische Umweltaktivistin, die im Jahr 1997 ziemlich genau zwei Jahre in einem von ihr Luna genannten Mammutbaum gelebt hat, um ihn vor der Abholzung zu retten. Auf verschiedenen Ebenen wird das Thema ins Buch eingearbeitet – dabei mit einer durchaus gewagten Idee, wenn Freya einen Little Luna genannten Mammutbaum in ihrem Garten hat, der von einem Samen Lunas stammt.

Wie all die Themen im Buch zusammengeführt werden, hat mir gefallen, und mein anfänglicher Vorbehalt dem Buch gegenüber war nicht aufrechtzuerhalten. Das lag auch daran, dass ich „Der Scherbenpalast“ durchaus auch sprachlich ansprechend fand: Für die Gefühle der Figuren werden passende sprachliche Bilder verwendet, und die Dialoge sitzen.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Es hat ein wenig gedauert, bis ich an Annette Mierswas Jugendroman Gefallen gefunden habe. Mir war das Buch anfangs zu klischeehaft angelegt – das galt auch für die Figuren. Doch später differenziert sich alles aus, und die Figuren tragen irgendwann das Buch, weil sie ungewöhnlich und interessant sind – ein bisschen ungewöhnlicher, als man sie wohl im echten Leben treffen dürfte; aber Bücher leben ja oft von solchen Pointierungen.

„Der Scherbenpalast“ handelt nicht nur von einem Umzug und davon, wie ein Mädchen diesen verarbeitet und verkraftet; nein, das Buch erzählt von mehr: von ersten großen Verliebtseinsgefühlen und von Freundschaften, die ein wenig Zeit benötigen, bis sie sich aufgebaut haben. Und für mich war der Jugendroman auch interessant, weil ich persönlich noch nichts über Julia Butterfly Hill gelesen hatte – das war für mich (und wird es für jugendliche Leser/innen sicher ebenso sein) eindeutig ein Gewinn.

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(Ulf Cronenberg, 23.12.2025) ></p>
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