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Buchbesprechung: Jenny Valentine „Zwei Seiten eines Augenblicks“

Cover: Jenny Valentine „Zwei Seiten eines Augenblicks“Lesealter 15+(dtv 2025, 183 Seiten)

Dass ich das letzte Jugendbuch von Jenny Valentine gelesen habe, ist wirklich lange her: Es war vor 10-einhalb Jahren im Frühjahr 2015 ihr Buch „Durchs Feuer“. Ist mir seitdem etwas durch die Lappen gegangen? Ich habe nachgesehen: In den letzten 10 Jahren hat die britische Autorin zwar drei oder vier Kinderbücher geschrieben, aber keinen Jugendromane mehr veröffentlicht. „Zwei Seiten eines Augenblicks“ ist also der Wiedereinstieg in das Genre, mit dem sie im Jahr 2009 mit „Wer ist Violet Park?“ bekannt geworden ist.

Inhalt:

Elk, die eigentlich Elena heißt, und Mab (für Mabel) sind beste Freundinnen, seit sie sich vor einigen Jahren durch Zufall in einem Heckenlabyrinth getroffen haben. Mab half Elk, die einfach nicht mehr aus dem Labyrinth gefunden hat, heraus, und seitdem verbringen sie sehr viel Zeit miteinander. Hingezogen fühlt sich Elk allerdings auch zu Mabs Bruder France, was Mab gar nicht gefällt. Sie will nicht, dass die beiden eine Beziehung haben. Und so muss Elk Mab versprechen, dass das nicht passieren wird.

Dann ist da eines Abend die Party einer Mitschülerin, und Mab will unbedingt hingehen, Elk jedoch lieber zu Hause bleiben. Mab setzt sich jedoch durch, die beiden kleiden sich noch passend ein und gehen dann zur Feier. Doch das Ganze wird ein tragischer Abend. Auch France ist auf der Party; irgendwann steht Elk mit France im Garten und das, was beide schon lange wollen, passiert: Sie küssen sich.

Als Mab das sieht, stellt sie die beiden zur Rede, macht Elk, die sich entschuldigt, ein schlechtes Gewissen. Jedenfalls will Mab sofort die Party verlassen und bricht auf; sie will sich nicht von France, der mit dem Auto da ist, mit nach Hause nehmen lassen. Weil Elk sie nicht alleine gehen lassen will, folgt sie ihr. Mab ist noch immer wütend, als sie nachts auf der nassen Straße laufen. Und dann passiert etwas Schlimmes …

Bewertung:

Eigentlich geht „Zwei Seiten eines Augenblicks“ (Übersetzung: Klaus Fritz; englischer Originaltitel: „Us In The Before and After“) ganz anders los: Die Ich-Erzählerin Elk und Mab sitzen irgendwo auf dem Friedhof, machen Witze und reden miteinander. Alles, was Mab sagt, ist kursiv gedruckt, und schon bald vermutet man, dass Mab nicht mehr lebt, sondern nur noch eine Art Geist ist, den allerdings nur Elk sehen und sprechen kann. Ein ungewöhnliches Szenario. Erst nach und nach wird im Buch die oben wiedergegebene Vorgeschichte der beiden Freundinnen aufgedeckt. Der Schluss des Buchs scheint also vorweggenommen zu sein, weil man ahnt, dass Mab am Ende tot sein wird. Doch ganz so einfach – ja, ich lehne mich ein wenig weit aus dem Fenster – ist es dann doch nicht. Aber lassen wir es dabei.

Elk und Mab sind jedenfalls über den Tod hinaus beste Freundinnen, kreisen umeinander, geben sich Halt. Und es ist eine besondere Freundschaft, die aushält, dass sie in einigen Dingen verschieden sind und unterschiedliche Interessen haben. Elk ist zum Beispiel ein Physik-Nerd, ein Interesse, das sie mit ihrer Oma teilt; sie liest Bücher, die sie selbst kaum versteht und ist vom Universum fasziniert. Der große Keil zwischen den beiden Freundinnen ist allerdings France, zu dem sich Elk hingezogen fühlt. Und France erwidert das.

Von den Familien der beiden bekommt man auch einiges mit, und vor allem Knox, Elks deutlich jüngerer Bruder, sollte hier erwähnt werden. Er ist ein ganz besonders Kind, behauptet irgendwann, dass er schon ganz viele Male wiedergeboren wurde, oft auch als Frau gelebt hat. Man sagt ja oft, dass es junge und alte Seelen gibt; und Knox wäre ohne Zweifel, obwohl er noch ein Kind ist, eine alte und weise Seele. Jenny Valentine hat mit Knox jedenfalls eine außergewöhnliche Kinderfigur geschaffen, auch wenn sie nicht im Zentrum steht.

Aufgebaut ist das Buch sehr geschickt, und es kreist um die Themen Tod und Trauer. Die erzählte Jetzt-Zeit und die Vergangenheit greifen immer wieder sehr gekonnt ineinander. Und das Thema Tod wird auch durch das Sterben von Elks Großmutter in das Buch gebracht – ein schwerer Schlag für Elk, die ihre Oma sehr geliebt hat. Weil Elk mit deren Tod nicht gut zurechtkommt, geht sie zu einer Psychotherapeutin namens Stevie – eine weitere interessante Figur, die kaum etwas sagt, nur für Elk da ist und zuhört.

Jenny Valentine ist eine sehr bedachte Erzählerin, der es gelingt, mit intensiven sprachlichen Bildern, die nie abgeschmackt, sondern immer etwas Besonderes sind, sehr gut Stimmungen sowie die Gefühlswelt ihrer Figuren dazustellen. Um ein Beispiel zu zitieren – France ist ins Krankenhaus gekommen, weil Elks Großmutter dort (wohl wegen eines Schlaganfalls) behandelt wird (S. 74):

Da ließ er [France] meine Hand los. »Ich würde alles für dich tun, Elk«, sagte er, sanft und leise, und dann sah er mich an, und etwas geschah. Ich weiß nicht. Dasselbe, aber anders. Etwas Wortloses war gesagt. Ich erlebte es von außen und doch wieder nicht. Wie bei einem Banksafe, der richtige Code war eingegeben, und alle verschlossenen Türen zwischen uns öffneten sich der Reihe nach.

So faszinierend die Sprache von Jenny Valentine in „Zwei Seiten eines Augenblicks“ ist, leider hat das Buch zu Beginn des letzten Drittels einige Längen. Es ist einfach zu viel der Trauer, die viel zu lange durchexerziert und immer wieder in verschiedenen Facetten, aber zugleich auch redundant dargestellt wird. Es sind gut 20 Seiten, während derer ich von dem Buch genervt war. Glücklicherweise wird man aus dieser Lethargie ziemlich abrupt durch eine völlig unerwartete Wendung, die es in sich hat, herausgerissen. Das ist dann wiederum sehr raffiniert, was Jenny Valentine hier erdacht hat.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Zwei Seiten eines Augenblicks“ erzählt die Geschichte einer ganz besonderen, einer tiefen Freundschaft zwischen zwei Mädchen, die durch einen Tod beendet wird und dann in eine große und tiefe Trauer übergeht. Alle im Umfeld sind geschockt, und Jenny Valentine findet für die Freundschaft wie für die Trauer eine passende Erzählweise; sie weiß alles sprachlich virtuos in Worte zu fassen und verschränkt im Buch gekonnt die erzählte Gegenwart mit Vergangenem.

Dass über den Tod der Freundin hinaus im Buch Krisensituationen geschildert werden, bereichert den Roman. Da ist zum einen der Tod von Elks Großmutter zu nennen; zum anderen knirscht es in der Freundschaft der beiden Mädchen, weil Mab die Freundin exklusiv für sich allein beansprucht und eifersüchtig ist, als Elk sich in ihren Bruder France verliebt. Jenny Valentine hat eine ganz eigene Art, das alles darzustellen: die Gefühle, die zwischenmenschlichen Dynamiken, die Entwicklungen. „Zwei Seiten eines Augenblicks“ ist sicher kein Buch für alle Jugendlichen, man muss sich auf die gefühlvolle Geschichte einlassen können. Aber wer das schafft, hat einen ungewöhnlichen Jugendroman vor sich. Hätte er nur nicht die oben schon erwähnten Längen, wäre fast alles perfekt …

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(Ulf Cronenberg, 17.09.2025)


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