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Buchbesprechung: Maryam Master „Wort für Wort“

Cover: Maryaam Master „Wort für Wort“Lesealter 11+(WooW Books 2025, 228 Seiten)

Auf der Coverabbildung links sieht man nicht so richtig, dass die Buchstaben beim gedruckten Buch gold schimmern; wer genau hinschaut, bemerkt jedoch, dass darauf auch arabische Schriftzeichen zu finden sind. Das hat natürlich seinen Grund. Wenn man weiß, dass Maryam Master in Teheran (Iran) geboren wurde und nach der iranischen Revolution als 9-Jährige mit ihrer Familie nach Australien geflohen ist und dort aufgenommen wurde, kann man sich schon etwas mehr zusammenreimen. Und in der Tat: Auch im Buch kommt ein Kind vor, das aus dem Iran flüchten musste.

Inhalt:

Hero und Jaz sind beste Freundinnen. Während Hero es manchmal zu Hause anstrengend findet (ihre kleine Schwester hat einen imaginären Freund, ihr Vater leidet unter einer bipolaren Störung), ist Jaz eine total verquasselte Hypochonderin, die nur so vor kreativen Ideen sprudelt. Hero steht dem nicht in vielem nach – auch sie kann mit Worten umgehen. Doch beide versagen völlig, wenn es darum geht, ihren Freund Aria vor dem fiesesten Mobber der Schule, den sie Brutalus nennen, zu schützen.

Aria kommt aus dem Iran, hat einen Bruder und einen Vater – sehr viel mehr wissen Hero und Jaz nicht über ihn. Denn Aria spricht kein Wort. Nicht mal mit ihnen beiden, die sich um ihn kümmern. Und Brutalus hat es leider auf Aria abgesehen, beschimpft ihn als „Stummschädel“ und mit anderen Schimpfwörtern, nimmt ihn jedoch vor allem immer wieder in Schwitzkasten und greift ihn auch sonst unterstützt von zwei Mitläufern körperlich an.

Doch dann passieren mehrere Dinge: Zum einen wird bekannt, dass Aria einen Gedichtwettbewerb gewonnen hat. Hero und Jaz können nicht glauben, dass ihr stummer Freund das geschafft hat. Außerdem verschwindet Brutalus‘ heimliches Tagebuch; und kurz darauf hängen in der Schule lauter Kopien einer Seite aus dem Tagebuch, auf der zu lesen ist, dass Brutalus nach wie vor Bettnässer ist. Es ist klar, wen Brutalus in Verdacht hat, sein Tagebuch entwendet zu haben; und obwohl Aria das nicht bestätigt, lässt Brutalus weiter seine Wut an ihm aus.

Bewertung:

„Wort für Wort“ (Übersetzung: Isabel Abedi; australischer Originaltitel: „No Words“) ist ein richtig sympathisches Buch, und zwar auf ganz vielen Ebenen – das spürt man bereits auf den ersten Seiten. Es liegt vor allem daran, dass Hero, die Haupterzählerin im Buch, eine Figur ist, die frei von der Leber quasselt und die man gleich ins Herz schließt. Eingeführt wird man erst mal in Heros Familiensituation, insbesondere in Bezug auf ihren Vater, der zwischen Hoch- und Tiefphasen im Leben hin und her wechselt.

Die bipolare psychische Erkrankung des Vaters wird nicht nur anschaulich, sondern auch liebevoll beschrieben: Wenn es dem Vater gut geht, ist er witzig, er wird als Literaturprofessor von seinen Studierenden geliebt, weil er mit Begeisterung Literatur vermittelt. Doch wenn er seine Tiefs hat, sitzt er nur auf dem Sofa, ist kaum ansprechbar und kann sich zu wenig motivieren. Doch auch die Hochs haben so ihre Schattenseiten, wenn der Vater recht früh im Buch dann mehrere Riesentöpfe Bolognese-Sauce kocht, die jede Gefriertruhe überfordern.

Die zweite Person, die im Buch erzählt, ist Aria – anfangs nur kurz, im Verlauf des Buchs dann etwas öfter und länger. Die längsten Passagen von Aria handeln davon, dass er von der Flucht seiner Familie aus dem Iran erzählt; eine ziemlich dramatische und tragische Geschichte, die aber passend für Leser/innen ab 11 Jahren aufbereitet ist. Hier wie auch bei Hero als deutlich aufgedrehterer Erzählerin zeigt sich, dass Maryam Master es sehr gut beherrscht, den Ton ihrer jungen Protagonisten zu treffen. Es ist erfrischend, wie Hero erzählt, es wirkt zugleich authentisch, wenn Aria das Wort ergreift und deutlich gesetzter und mit viel Trauer von seinen Erlebnissen berichtet.

Was die Mobbing-Geschichte angeht, so wirkt sie etwas überzeichnet und hat leichte Slapstick-Elemente. Doch das passt durchaus zum Rest des Buchs. Schön ist, dass der mobbende Brutalus nicht einfach gut davonkommt, sondern dass er von jemandem Contra bekommt. Aus seinen gestohlenen Tagebüchern werden jedenfalls so einige Details über ihn bekannt, die am Ende sogar dazu führen, dass er einen Schulausschluss bekommt. Wer das Tagebuch geklaut hat, ahnt man jedenfalls nicht – eine schöne Finte im Buch … Was mich lediglich, wie bei vielen Mobbing-Büchern stört: In der Literatur werden Schulen oft so dargestellt, als würden sie nichts gegen Mobbing unternehmen oder völlig hilflos agieren. Maryam Master stößt leider auch in dieses Horn. Denn bis auf den Schulausschluss hat die Schule absolut nichts versucht (und mitbekommen).

Aber noch mal zurück zur Sprache, die mich besonders für das Buch eingenommen hat. Hero als Erzählerin ist witzig, sie greift viel in die Töpfchen von (Selbst-)Ironie, Witz und Humor, manchmal ein wenig in den Sarkasmus-Topf. Alles ist erfrischend erzählt, wird zwischendrin aber ein wenig von Arias tragischer Lebensgeschichte gebremst. Doch das ist gut so, das Buch wäre sonst zu überdreht … So hat es eine perfekte Balance.

Dass es Aria am Ende so viel besser geht, dass er sich weiterentwickelt hat, hat er nicht nur Hero und Jaz, sondern auch Heros Vater zu verdanken. Ausgangspunkt ist der gewonnene Gedichtwettbewerb, der schließlich dazu führt, dass Aria noch etwas anderes, etwas Größeres wagt. Und am Ende sind es auch Hero und Jaz, die gewachsen sind und Selbstvertrauen gewonnen haben. Mehr sei nicht verraten.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Wort für Wort“ ist ein wunderbares Wohlfühlbuch, das eigentlich auf zwei tragischen Dingen aufbaut: einer Flüchtlingsgeschichte und dem leidigen Thema Mobbing. Aber das Buch zeigt, wie man an beidem nicht zerbricht, sondern daran wachsen kann, wenn man die passenden Freunde hat und Unterstützung erhält. Hero, die Erzählerin, ist bestimmt nicht eine Heldin im ursprünglichen Sinn, wenn sie sich nicht traut, sich dem mobbenden Brutalus in Weg zu stellen; aber sie ist eine gute Freundin mit Mitgefühl, die zu Aria und Jaz wie auch ihrem Vater hält, auch wenn die es manchmal alles andere als leicht haben.

Maryam Master, Australierin mit iranischen Wurzeln, hat in dem Buch sicher manche Erfahrungen der eigenen Entwurzelung beschrieben; sie hat das sprachlich witzig und kreativ umgesetzt, so dass die heftigen Dinge im Buch nicht zu viel Gewicht bekommen; aber sie werden eben auch nicht verschwiegen, und das ist wichtig. Das so hinzubekommen, sieht vielleicht erst mal leicht aus – ist es aber sicher nicht, sondern es ist große Kunst!

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(Ulf Cronenberg, 06.08.2025)

Lektüretipp für Lehrer!

„Wort für Wort“ – das kann man oben nachlesen – bietet sehr viele Themen, die man gut im Deutschunterricht einer 5. oder 6. Klasse aufgreifen kann: von Flucht über psychische Erkrankungen, Freundschaft und Familie bis hin zu Mobbing. Hinzu kommt, dass man Identifikationsfiguren für Jungen und Mädchen hat, außerdem eine sprachlich kreative und ausgefeilte Lektüre zu bieten hat.


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Kommentare (2)

  1. Belgin Saygi

    Ich würde mich über eine Button für bluesky zum Teilen freuen.

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Gibt es jetzt, wenn du am Ende des Artikels auf „Mehr“ klickst … 😉

      Antworten

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