(cbj-Verlag 2021, 286 Seiten)
Bei „Blackout“ handelt es sich um ein ungewöhnliches Buchprojekt; denn sechs schwarze Autorinnen aus den USA haben sich während der Corona-Pandemie zusammengetan und gemeinsam ein Buch geschrieben. In Deutschland bekannt sind vor allem Angie Thomas, Nic Stone und Nicola Yoon. Von der letztgenannten Autorin wollte ich schon lange mal ein Buch lesen, bin aber bisher noch nie dazugekommen. Jetzt ist es immerhin schon mal eine Erzählung von ihr geworden.
Ausgerechnet während einer Hitzewelle kommt es in New York zu einem großen Stromausfall, der das öffentliche Leben in vielem zum Stillstand bringt. Überrascht werden unter anderem Tammi und Kareem, als sie sich bei einem Vorstellungsgespräch für ein Praktikum nach mehreren Monaten wiedersehen. Beide, Tammi noch mehr als Kareem, sind nicht gerade begeistert, sich für das gleiche Praktikum zu bewerben, denn nur einer kann es bekommen, und das Geld brauchen beide. Doch schwerer wiegt, dass sie früher ein Paar waren und dass Tammi eigentlich nichts mehr mit Kareem zu tun haben will. Doch in der Notsituation des Stromausfalls (das Bewerbungsgespräch wird gecancelt) machen sie sich zu Fuß gemeinsam auf den Rückweg – Tammi will nach Hause, Kareem zu einer Blockparty. Ein langer Weg liegt vor ihnen, der sie zwingt, miteinander zu reden. Am Ende sind einige Missverständnisse, die ihrer Trennung vorausgegangen sind, ausgeräumt …
Eine andere Story aus dem Buch (Ahsley Woodfolks „Massgeschneidert“): Nella besucht am Tag des Blackouts ihren Großvater im Altersheim, weil sie sich wegen des Stromausfalls Sorgen um ihn macht. Doch dort gehen die alten Leute erstaunlich gelassen und kreativ mit der Situation um. Statt hier groß tätig werden zu müssen, lernt Nella im Altersheim Joss kennen. Es dauert nicht lange, da kreisen die beiden wie verliebte Turteltäubchen umeinander … Nella vergisst dabei endlich den Kummer, den ihr Bree bereitet hat, weil diese ihre Liebe nicht erwidert.
Sechs Geschichten befinden sich in „Blackout“. Das Besondere daran ist, dass sie miteinander verwoben sind und am Tag des großen Stromausfalls spielen. Die Klammer für die Erzählungen bietet Tiffany D. Jackson Geschichte „Der lange Weg“, die in fünf Akten (also Kapiteln) erzählt wird – das ist die oben bereits erwähnte Geschichte von Tammi und Kareem. Sie läutet das Buch mit einem ersten Kapitel ein, die folgenden Kapitel sind zwischen die anderen Geschichten gesetzt. Gemeinsam ist allen Geschichten nicht nur, dass sie am Tag des Blackouts spielen, sondern auch dass mindestens eine der Figuren zu der großen Blockparty gehen möchte. Außerdem findet man zwischen den Erzählungen hier und da kleinere Querverweise.
Auch thematisch gibt es eine Klammer: Es geht ums das große Thema Liebe; und hier wird eine große Bandbreite ausschöpft: JJ begegnet in Nic Stones „Ohne Maske“ dem in der mit ihm in der U-Bahn festsitzenden Tremaine und ihm wird klar, das er schon lange Gefühle für Tremaine hegt. Dabei war er sich bis dahin noch nicht mal so richtig bewusst, dass er homosexuell ist. In Dhonielle Claytons Erzählung „All die großen Liebesgeschichten … und Staub“ schleichen Lana und Tristan heimlich in einer Bibliothek herum. Und Lana weiß einfach nicht, wie sie Tristan ihre Liebe gestehen soll …
Die Geschichten sind verschieden, bei manchen braucht man länger als bei anderen, um in sie einzutauchen; aber sie lesen sich alle gut, und die gemeinsame Klammer macht den Reiz von „Blackout“ aus. Was mich als Einziges wirklich gestört hat, war an manchen Stellen eine recht große Portion Kitsch und Romantik, die hier und da ein bisschen zu viel des Guten ist. Anscheinend glauben die jungen amerikanischen Autorinnen alle an die große Liebe … Das sei ihnen natürlich unbenommen, aber in einem Buch mit sechs Liebesgeschichten ist das dann so geballt doch ein wenig zu viel.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Ein reizvolles Projekt haben Dhonielle Clayton, Tiffany D. Jackson, Nic Stone, Angie Thomas, Ashley Woodfolk und Nicola Yoon da umgesetzt – der Stromausfall an einem Tag in New York könnte auch als Sinnbild für die Corona-Pandemie stehen, in der das Projekt entstanden ist. Beim Blackout wie beim Lockdown spitzen sich die Dinge zu, man beginnt einiges klarer zu sehen als im Alltagsleben – genau das zeigen die sechs Geschichten, die ums Thema Liebe kreisen.
Was das Buch ausmacht, ist seine Vielfalt bei den Szenarien – von der Bibliothek kommt man als Leser ins Altersheim, man folgt den Figuren auf den Straßen, steckt mit in einer U-Bahn fest. Da wird einiges geboten. Das alles präsentiert sich kurzweilig – klar, die eine Geschichte mag man lieber als die andere; aber große Schwächen hat keine davon. Für mich persönlich ist die Rahmengeschichte um Tammi und Kareem die gelungenste, weil da zwei umeinander kreisen und Stück für Stück die Missverständnisse freilegen, die zu ihrer Trennung geführt haben. Das ist spannend inszeniert. Aber auch der Schlusspunkt im Buch – Angie Thomas‘ Erzählung „Seymour und Grace“, in der zwei anfangs voneinander genervte junge Menschen sich langsam kennenlernen, ist gekonnt platziert. Alles in allem: ein spannendes Projekt, das man gerne zu einem anderen Thema wiederholt sehen möchte.
(Ulf Cronenberg, 16.03.2022)
Entdecke mehr von Jugendbuchtipps.de
Subscribe to get the latest posts sent to your email.