
(Hogrefe-Verlag 2025, 79 Seiten)
Magersucht (Anorexia nervosa), Bulimie (Bulimia nervosa) und Binge Eating (Fressattacken) – das sind die häufigsten Formen von Essstörungen, und sie treten im Jugendalter besonders häufig auf: Bei Mädchen und Frauen geht man im Lebensverlauf von ca. 6 % Betroffenen, bei Jungen von knapp 2 % aus (Quelle). Psychologisch und medizinisch behandelt werden dabei leider nicht alle Betroffenen; oft verweigern sie auch viel zu lange eine Therapie. Von der Magersucht handelt das vorliegende Buch – eine Mischung aus Graphic Novel und Sachbuch.
„Motten im Kopf“ heißt das Buch, und es besteht aus zwei Teilen. Für den ersten Teil, den man als Graphic Novel bezeichnen könnte (wobei es nicht wirklich eine Handlung gibt), ist die Schweizerin Hanah Zacher verantwortlich; darin wird beschrieben, wie sich bei einem Mädchen namens Lina eine Magersucht entwickelt. Am Anfang stehen die großen Selbstzweifel von Lina. Sie findet sie leistet nicht genug, sie hat das Gefühl, ihre Eltern zu nerven, sie fühlt sich klein und einsam – es ist ein Strudel negativer Gedanken, der immer größer wird.

Lina zieht sich zunehmend zurück, weil sie glaubt, dass sie andere nervt | Seite 12 aus: Hanah Zacher & Guy Bodenmann „Motten im Kopf“, Hogrefe-Verlag
Um dem Strudel zu entkommen, entdeckt Lina schließlich das Fasten, ein Bereich, wo sie sich beweisen kann. Und damit beginnt der Weg in die Magersucht, der ihr zunächst viele positive Gefühle gibt: vor allem, dass sie die Kontrolle über sich hat. Auch von außen kommen positive Reaktionen in Bezug auf ihr Aussehen – bis das Ganze irgendwann kippt … Ihre Mutter bemerkt, dass sie zu wenig isst, zu dünn wird; irgendwann fällt das Wort „Magersucht“, und Lina steht vor einem Dilemma: Sie merkt auf einer Ebene (z. B. weil die Periode ausbleibt), dass sie sich schadet; aber es fällt ihr schwer, die positiven Erfahrungen mit der Magersucht aufzugeben.
Die Comic Story basiert, so heißt es im Vorwort, nicht auf einer wahren Begebenheit, sondern Hanah Zacher hat Erfahrungen aus dem näheren Umfeld in das Buch gepackt; und auch wenn sich jeder Einzelfall einer Magersucht anders gestaltet ist, so sind darin doch die typischen Verlaufsmomente der Anorexie enthalten: die großen Selbstzweifel zu Beginn, der Versuch, über die Gewichtskontrolle, sein Leben in die Hand zu nehmen, dann aber nicht aufhören zu können, obwohl körperliche Beschwerden und Probleme auftreten; das Abwehren von Sorgen, die sich andere machen. All das ist nachvollziehbar dargestellt.

Die Motten ziehen sich als Motiv durch die gesamte Graphic Novel … | Seite 25 aus: Hanah Zacher & Guy Bodenmann „Motten im Kopf“, Hogrefe-Verlag
Doch mit zwei Punkten habe ich in der Graphic Novel meine Probleme: Zum einen finde ich das Motiv der Motten im Kopf, das in fast allen Zeichnungen aufgegriffen wird, nicht so richtig stimmig. Motten sind überwiegend nachtaktiv; doch Linas Gedanken kreisen den ganzen Tag um ihre negativen Gefühle. Aber gut, vielleicht stellt man sich einen Lebensmittel- oder Kleiderschrank vor, wo dann die Lebensmittel oder Klamotten mit Motten befallen sind … Zum anderen finde ich den Ton im Buch (es werden hauptsächlich die Gedanken Linas wiedergegeben) ein wenig distanziert; er klingt oft zu erwachsen (z. B. „Ich finde Komfort in dieser Welt … keine Grenzen“, S. 19). Meiner Meinung nach bekommt man dadurch eher schlecht Zugang zur Figur Linas.
Was die künstlerische Gestaltung angeht, kann man geteilter Meinung sein. Das Schwarzweiß, in dem die Zeichnungen gehalten sind, hat seinen Reiz, aber dem Buch hätten durchaus Farben gut getan. Und was mir in der Story eindeutig fehlt, ist die Rolle von sozialen Medien, die fast gar nicht aufgegriffen wird. Lina informiert sich vor allem über Bücher; aber das dürfte heutzutage eher der seltenere Weg sein, Informationen übers Abnehmen zu bekommen. Mehrmals tauchen in den Zeichnungen Kassetten (auch als Motiv) auf, die heute nun wirklich niemand mehr nutzt …
Teil 2 von „Motten im Kopf“ hat Guy Bodenmann, Professor für Klinische Psychologie in Zürich mit Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche, verfasst. Was man auf den 30 Seiten erhält, sind zunächst einmal Grundinformationen über das Thema Essstörungen; detaillierte Informationen folgen dann zur Magersucht. Man erfährt, wie eine Magersucht diagnostiziert wird, welche Merkmale sie hat, was die Ursachen sind. Das sind alles solide Informationen – auf den ca. 10 Seiten ist alles Wissenswerte und Notwendige über die Anorexia nervosa zusammengefasst.

Deckblatt für den Informationsteil des Buchs | Seite 45 aus: Hanah Zacher & Guy Bodenmann „Motten im Kopf“, Hogrefe-Verlag
In der zweiten Hälfte des Sachbuchteils geht es dann darum, was man als Jugendliche/r tun kann, wenn man von einer Magersucht betroffen ist. Die Tipps basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie, dem ganz klar heutzutage favorisierten Psychotherapieverfahren zur Behandlung von Essstörungen. Auf allgemeine Erläuterungen folgen Selbstbeobachtungs- und Protokollblätter, die Betroffene bei sich ausprobieren können. Man wird zum Beispiel aufgefordert zu notieren, wo, wann und bei wem man sich nicht gut fühlt oder kann ich in einer 6-spaltigen Tabelle festhalten, welche negativen Gedanken und Gefühle man hat und wie man darauf u. a. mit positiven Gegengedanken reagieren kann.
Das alles sind therapeutisch oft erfolgreich eingesetzte Hilfsmittel. Aber ein bisschen tue ich mich doch schwer damit, mir vorzustellen, dass man als Betroffene/r diese Protokollbögen in Eigenregie anwendet und damit seine Situation verbessern könnten – ich glaube, dass dazu ein therapeutisches Setting notwendig ist. Aber vielleicht erfüllt die Darstellung dieser praktischen Anwendungsmöglichkeiten eher den Zweck, für Jugendliche die Schwelle abzusenken, sich auf eine Psychotherapie einzulassen. Dadurch hätten sie einen Sinn.
Eine weitere Sache gibt es noch, die mich an dem Buch stört: Wenn im Vorwort einer Schweizer Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie die folgende Graphic Novel extrem gelobt wird, das am Ende im Schlusswort von Prof. Bodenmann noch mal wiederholt wird, so finde ich das etwas befremdlich. So viel Eigenlob im eigenen Buch halte ich nicht nur für unnötig, sondern für unangemessen. Ein Buch sollte für sich selbst sprechen.

Lina ist im Teufelskreislauf der Magersucht gefangen … | Seite 39 aus: Hanah Zacher & Guy Bodenmann „Motten im Kopf“, Hogrefe-Verlag
Fazit:
3 von 5 Punkten. Gute Sachbücher, die psychische Erkrankungen thematisieren, sind wichtig, und es ist dem Hogrefe-Verlag, einem der großen deutschen Fachverlage für Psychologie und Psychiatrie, hoch anzurechnen, dass er inzwischen auch Graphic Novels für Jugendliche veröffentlicht. „Motten im Kopf“ hat allerdings meiner Meinung nach einige Schwächen. Im Vergleich zu „Auf und Ab“ aus dem gleichen Haus ist „Motten im Kopf“ etwas spröder – das gilt für den Graphic-Novel-Teil wie für die sich daran anschließenden Sachinformationen. Die rein schwarzweiße Aufmachung wirkt insgesamt etwas trist, nicht so ganz jugendgerecht, und das Motiv der Motten im Kopf sagt mir, wie oben ausgeführt, nicht so ganz zu.
Trotzdem kann man dem Buch viele Informationen entnehmen, etwas über Magersucht lernen. Ob damit auch gefährdete oder betroffene Jugendliche erreicht werden können? Das glaube ich eher nicht. Allerdings wäre das auch ein sehr hoher Anspruch an ein Sachbuch. Das Buch ist eher etwas für Jugendliche, die in irgendeinem Lebensbereich auf das Thema Magersucht stoßen und auf unterhaltsame Weise mehr darüber erfahren möchten.
![]()
![]()
![]()
(Ulf Cronenberg, 29.10.2025)
Abdruck der Buchseiten mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe-Verlags – herzlichen Dank! Die Bild- und Text-Rechte liegen bei der Autorin/Illustratorin, dem Autor und dem Verlag.
Entdecke mehr von Jugendbuchtipps.de
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.