(Hogrefe-Verlag 2023, 120 Seiten)
Dass dieses Buch hier besprechen wird, ist in doppelter Weise ungewöhnlich: Zum einen gibt es hier nur ab und zu Besprechungen von Graphic Novels, zum anderen kaum Rezensionen von Sachbüchern. Und unterm Strich ist „Auf und ab“, das den Untertitel „Psychische Krisen ausbremsen“ trägt, eindeutig ein Sachbuch, auch wenn der Teil mit der Graphic Novel, der nicht ganz 80 Seiten umfasst, eine Geschichte erzählt. Worum es geht? Das sagt der Untertitel bereits, wobei der Schwerpunkt der Graphic Novel auf den Bereichen Depression und Ängste liegt. Aber jetzt erst mal zum Inhalt der Graphic Novel:
Noah verbarrikadiert sich am liebsten in seinem Zimmer, Kater Mürrischli ist meist mit dabei. Einfach hat Noah es gerade gar nicht. Zugesetzt hat ihm vor allem, dass er in der Schule von anderen mit Schimpfwörtern wie „Weichei“ gehänselt wurde, weil er am Ende eines Films über das Sterben geheult hat; in der Familie nervt ihn außerdem oft sein aufgedrehter Bruder, während seine Mutter selbst belastet scheint. Sein Vater, Arzt von Beruf, hat vor allem viele Ansprüche an seinen Sohn, er findet, dass dieser sich mal zusammenreißen und in der Schule mehr abliefern sollte.
Dass Mira, die er aus der Schule kennt, ihn am Badesteg anspricht, überrascht Noah nicht nur, sondern überfordert ihn auch ziemlich. Doch gottseidank ist Mira alles andere als schüchtern. Die Folge der Begegnung ist allerdings, dass er, als er Miras Rücken eincremt, von einem Klassenkameraden fotografiert wird – und dadurch gerät Noah erneut in eine Krise. Die alten Ängste sind wieder da: Er macht sich massiv Sorgen, dass das Bild durch die Chatgruppen wandert und er erneut von anderen aufgezogen wird. Und so beginnt Noah, sich wieder in sein Zimmer zu verkriechen.
Thema der Graphic Novel ist, dass ein schüchterner Junge aufgrund schlechter Erfahrungen Angst vor Bloßstellung hat und sich nicht mehr in die Schule traut. Noah reagiert mit einer großen Antriebslosigkeit, und hinter allem stehen ein geringes Selbstwertgefühl sowie soziale Ängste. Wie das alles in der Graphic Novel präsentiert wird, kann man skurril nennen. Denn die Geschichte erzählt nicht etwa Noah, sondern sein Kater Mürrischli, der sich gleich zu Beginn als allwissender und psychologisch gebildeter Kater vorstellt: Er sei früher „treuer Partner des berühmten Dr. Dr. Psicologia“ gewesen. Das ist natürlich etwas abgedreht …
In der Graphic Novel fügt sich das alles jedoch stimmig zu einem Gesamtbild. Die Zeichnungen von Max Hillerzer sind pointiert und beschränken sich gekonnt auf das Wesentliche. Die Figuren, meist mit großen Glubschaugen, wenigen Strichen für Nase und Mund portraitiert, drücken gut deren Gefühle aus. Und der Text, für den Johanna Selge verantwortlich zeichnet, ist mit Witz und Esprit geschrieben.
Eine Sache habe ich bei der Graphic Novel jedoch nicht so ganz verstanden: Warum wird die Geschichte, nachdem sich Noah daheim verbarrikadiert hat, in drei Varianten weitererzählt? Kater Mürrischli hat vorher, weil er Noahs Aufzeichnungen gelesen hat, bemerkt, dass Noahs Krise doch recht heftig ist und dieser dringend Hilfe braucht. Und von hier ab geht die Geschichte in drei Varianten weiter. Einen mehr oder weniger positiven Ausgang haben sie alle, Noah macht erste Schritte, aus der Krise zu kommen. Was ich an den drei Varianten insgesamt etwas fragwürdig finde, ist, dass die Geschichte kein richtiges Ende hat. Das lässt einen als Leser/in so ein bisschen hängen – aber ich vermute mal, dass das so gewollt ist. Deutlich wird in allen drei Fällen, dass Noah erste Bewältigungsschritte macht, weil ihm andere zur Seite stehen.
Auf die Graphic Novel, die nicht das ganze Buch füllt, folgen neben einer Einleitung 22 illustrierte Texte zu Themen der psychischen Gesundheit. Manche der Texte sind nur eine Seite lang, manche füllen eine Doppelseite. Pointiert wird hier für Jugendliche verständlich psychologisches Wissen zusammengefasst. Behandelt werden unter anderem Themen zu psychischen Belastungen und Erkrankungen wie Angst, belastende Gedanken, Cybermobbing oder Depression; es geht aber auch um Bewältigungsstrategien, darunter Emotionsregulation, Entkatastrophisieren oder Entspannungsübungen. Und in einigen Abschnitten wird auf Grundsätzliches wie Motivation, Selbstvertrauen, Emotionen oder Bedürfnisse eingegangen.
Die Themenwahl kann man als bunten Mix ansehen, die Ordnung ist alphabetisch, die Auswahl eher ungewöhnlich, aber für Jugendliche, die sich für das Thema psychische Gesundheit interessieren, sicher nicht nur informativ, sondern auch gewinnbringend. Alle Fachbegriffe kommen übrigens in der Graphic Novel vor (haben also dazu einen Bezug) und sind dort in Großbuchstaben markiert.
Verantwortlich für diese Texte sind Psycholog/inn/en und Pädagog/inn/en des Deutschen Zentrums für Präventionsforschung und Psychische Gesundheit (DZPP) an der Uniklinik Würzburg. Und was den Texten gut gelingt, ist, in aller Kürze pointiert und mit aufgelockerter Fachsprache die Themen zu behandeln. Dass sie abwechslungsreich illustriert sind, tut ihnen außerdem gut.
Angesichts vieler Fachleute, die hier mitgewirkt haben, kommt auch keine Langeweile auf; denn jeder Text hat seinen eigenen Stil. Das wirkt nicht uneinheitlich, sondern auflockernd. Und vieles wird an Beispielen aus dem Leben Jugendlicher anschaulich gemacht (z. B. im Kapitel zu Emotionen an einem Referat, wo die gut gemeinten Verbesserungsvorschläge von der referierenden Person als heftige Kritik erlebt werden) – die Zielgruppe von Jugendlichen wird hier jedenfalls gut in den Blick genommen. Hierzu wird der Leser bzw. die Leserin auch oft direkt mit einem „du“ angesprochen.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. „Auf und ab“ ist ein ganz besonderes Buchprojekt. Das wichtige Thema psychischer Krisen wurde in einer Mischung aus Graphic Novel und Sachbuchtexten zusammengeführt, und das dürfte den Zugang für Jugendliche leichter machen als Recherchen in der Wikipedia oder sonst irgendwo im Internet (wobei es hier durchaus informative und ansprechende Webseiten gibt). Hinzu kommt, dass die Sachtexte von Fachleute aus Psychologie und Pädagogik geschrieben wurden; im Internet kann man sich oft nicht so sicher sein, ob man einen fundierten Text liest.
Man mag an der Geschichte in der Graphic Novel ein paar Sachen etwas nervig finden; für mich war die Aufsplittung in drei Schlussvarianten zum Beispiel nicht so ganz plausibel. Aber ansonsten gelingt dem Buch etwas, was es für die psychische Gesundheit sonst noch kaum in einem Buch gab: Es führt Jugendliche nicht nur fachkundig in das Thema ein und vermittelt Wissen, sondern es gibt Jugendlichen, die sich depressiv und ängstlich fühlen oder sich in einer Krise befinden, vielleicht den Mut, Hilfe zu suchen. Denn das ist letztendlich die zentrale und wichtige Botschaft von „Auf und ab“: Man kann gegen psychische Krisen etwas unternehmen.
(Ulf Cronenberg, 24.01.2024)
Abdruck der Buchseiten mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe-Verlags, Bern – herzlichen Dank! Die Bild- und Text-Rechte liegen bei den Autor/inn/en und dem Verlag.
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