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Buchbesprechung: Elin Lindell „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“

Cover: Elin Lindell „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“Lesealter 12+(Klett Kinderbuch 2025, 136 Seiten)

Ich hinke etwas hinterher, denn die Graphic Novel von Elin Lindell ist bereits im Februar 2025 erschienen und hat auch schon einige Auszeichnungen bekommen (sie war bei den Besten 7 gelistet und wurde im Juni von DIE ZEIT und Radio Bremen für den Luchs des Monats ausgewählt). Aber gute Bücher kann man natürlich auch ein paar Monate später noch mal in Erinnerung rufen, zumal es ja nicht jedermann mitbekommt, wenn die oben genannten Medien Bücher vorstellen oder prämieren.

Dani ist Einzelkind und lebt mir ihrer Mutter in einer im Großen und Ganzen glücklichen Symbiose. Ihren Vater, der angeblich Däne ist (das Buch spielt in Schweden), kennt Dani nicht, denn sie wurde mit einer Samenspende gezeugt; und eigentlich kommt Dani auch gut damit zurecht, keinen Vater um sich zu haben. Worunter sie allerdings leidet, ist, dass sie keine Geschwister hat, und deshalb versucht sie mit allen Mitteln, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass sie einen Bruder oder eine Schwester benötigt. Dani stößt bei ihrer Mama jedoch auf Granit.

Doppelseite aus Elin Lindell „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“ (S. 10f)

Dani versucht ihre Mutter von einem Geschwisterchen zu überzeugen … | Doppelseite aus: Elin Lindell „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“ (S. 10f)

Doch dann wir auf einmal alles anders. Danis Mutter hat auf etwas seltsame Weise (die Tochter ist nicht unschuldig) einen Mann kennengelernt, und dieser hat einen Sohn in ähnlichem Alter wie Dani. Und man kann sich schon denken, was passiert: Weder Björn, der neue Freund der Mutter, noch dessen Sohn Joschi entsprechen dem, was Dani sich erträumt hat. Björn ist ein yogatreibender Öko mit Schlabberklamotten, und Joschi wirkt in seinen schwarzen Klamotten und mit den langen Spaghettihaaren irgendwie blutleer. Man kann sich vorstellen, wie die regelmäßigen Familienspaziergänge ablaufen: vorneweg das verliebte Paar, dahinter zwei Jugendliche, die sich langweilen und sich nichts zu sagen haben.

Doch es kommt noch schlimmer: Björn und Danis Mutter wollen irgendwann zusammenziehen und lassen sich nicht davon abbringen. Für Dani ist das eine schwierige Situation. Sie wird von ihrer besten Freundin getrennt, muss die Schule wechseln und hat auf einmal statt Zweisamkeit mit ihrer Mutter ständig Björn und Joschi um sich.

Weltbewegend neu klingt die Geschichte bis dahin nicht unbedingt; Ähnliches hat man schon in Jugendromanen gelesen. Doch als Graphic Novel passend erzählt und entsprechend gezeichnet kann man daraus einiges machen, und das gelingt Elin Lindell bravourös. Die wesentliche Zutat für die gelungene Graphic Novel ist ihr augenzwinkernder Humor, von dem das Buch eine große Portion enthält.

Der Humor schlägt sich nicht nur in der Art, wie die Geschichte erzählt wird, nieder, sondern er wird auch durch das Zeichnerische untermalt. An vielen Stellen muss man über das was passiert, aber auch über die Zeichnungen lachen: Wenn man Björn in Unterwäsche am Morgen bei den Yogaübungen sieht; wenn man Joschi das erste Mal zu Gesicht bekommt (leider wird das durch das Cover vorweggenommen) und wenn er sich statt mit seinem Vornamen mit dem Satz „Ich bin glutenintolerant …“ bei Dani vorstellt.

Doppelseite aus Elin Lindell „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“ (S. 40f)

Für die Eltern erquicklich, für die Jugendlichen nicht: die Spaziergänge der neuen Familie … | Seite 10f aus Doppelseite aus: Elin Lindell „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“ (S. 10f)

Elin Lindell greift außerdem beherzt und gekonnt in die Trickkiste des Illustrationsstils. Es gibt Szenen, die eine Doppelseite füllen, auf vielen Seiten sind aber auch mehrere Einzelbilder zu sehen, allerdings nie umrahmt, wie man das anderen Graphic Novels oder Comics kennt. Andere Ideen bereichern das Buch: Es gibt eine Doppelseite mit Köpfen, unter denen in Kurztexten Danis neue Klassenkameraden vorgestellt werden oder auch mal eine Doppelseite mit Listen pro/contra Zusammenziehen mit Björn und Joschi. Text findet man auf jeder Seite, sei es als Begleittext oder in Sprechblasen. Gezeichnet ist das ganze Buch mit klarem Strich, eher flächig als dreidimensional, bunt und passend zur ironisierenden Erzählweise.

Gehadert habe ich bei der Graphic Novel eigentlich nur ein bisschen mit einer Sache: Die Story endet leider genau so, wie man sich das vorher ausmalen kann: Weder Björn noch Joschi sind so verkehrt, wie Dani das am Anfang vermutet und befürchtet hat. Das ist für meinen Geschmack eine arg versöhnliche Gesamtbotschaft, die der Realität vieler Patchwork-Familien nicht gerecht wird. Doch man kann das gut verkraften, weil zumindest sonst im Buch vieles passiert, das nicht voraussehbar ist.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“ (Übersetzung: Katharina Erben; schwedischer Originaltitel: „Världens sämsta syster“) reiht sich bestens in eine kleine Liste humorvoller Graphic Novels übers Erwachsenwerden ein (wie z. B. Anke Kuhls „Manno! Alles genau so in echt passiert“); und das Patchwork-Familie-Thema ist natürlich bestens geschaffen für humorvolle Unterhaltung. Elin Lindell hat ein Buch gestaltet, das man gerne immer wieder zur Hand nimmt, und bei dem man immer wieder schmunzeln muss, selbst wenn man es bereits mehrmals durchgeblättert hat. Die große Kunst bei einer solchen Graphic Novel ist es, dass aus Geschichte, Text und Illustration ein stimmiges Gesamtwerk entsteht; und das ist Elin Lindell ohne jeden Zweifel gelungen.

Klett Kinderbuch (das auch das oben genannte „Manno!“ verlegt) hat ein gutes Händchen für solche Bücher, das beweist der vorliegende Band einmal mehr. Etwas fragwürdig finde ich jedoch die Altersangabe „ab 10 Jahren“ auf der Verlagswebseite. Ich würde das Buch eher ab 12 oder 13 Jahren empfehlen. Das ändert jedoch nichts daran, dass „Der süßeste Bruder der Welt … und andere Irrtümer“ ein gutes Geschenkbuch für Teenager (und Erwachsene!?) ist, die selbst in einer Patchworksituation leben. Elin Lindells Buch mag möglicherweise dabei helfen, über die eigene Familiensituation zu schmunzeln und sie dann ein klein wenig anders zu sehen.

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(Ulf Cronenberg, 04.09.2025)

Abdruck der Buchseiten mit freundlicher Genehmigung von Klett Kinderbuch – herzlichen Dank! Die Bild- und Text-Rechte liegen bei der Autorin und dem Verlag.


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