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Buchbesprechung: Anke Kuhl „Manno! Alles genau so in echt passiert“

Cover: Anke Kuhl „Manno!“Lesealter 10+(Klett Kinderbuch 2020, 129 Seiten)

Wer vor allem Jugendbücher liest, kennt Anke Kuhl vielleicht nicht, wer sich allerdings oft bei Kinder- und Sachbüchern umschaut, kommt um die Zeichnerin (und Autorin) nicht lange herum. Anke Kuhl hat grandiose Bücher illustriert; zu meinen Favoriten gehören „Lola rast“, ein Buch auf den Spuren von „Struwwelpeter“, oder „Alles Familie!“, ein Sachbuch, das die Vielfalt von und in Familien mit viel Witz thematisiert. „Manno!“, ihr neuestes Buch, hat begeisterte Kritiken bekommen, und deswegen hatte ich – etwas verspätet – Lust, mir das Buch mit Episoden aus der Kindheit der Autorin anzuschauen und hier vorzustellen.

So ist das wohl bei allen Menschen: Die eigene Kindheit (meine liegt nur ein paar Jahre mehr als die von Anke Kuhl zurück) hatte mehr oder weniger schöne Zeiten, sie hatte traurige und witzige, skurrile und alltägliche Momente – und einige davon sind besonders erinnerungswürdig. In insgesamt 18 Episoden blickt Anke Kuhl in Comicgeschichten von 2 bis 10 Seiten auf ihre Kindheit zurück, und die Episoden enthalten viele Anknüpfungspunkte aus den 1970er Jahren, in denen die Autorin aufgewachsen ist.

So taucht in dem Buch, um ein Beispiel zu nennen, indirekt Hans Rosenthal, der Entertainer von „Dalli Dalli“, einer Fernsehshow aus den 1970er und 1980er Jahren, auf, weil es aus dem Fernseher „Sie sind der Meinung, das war spitze“ schallt. Der Hüpfer, den der Showmaster dazu vollführte, war legendär. Als ich die Stelle in „Manno!“ gelesen habe, war ich schwups bei YouTube und habe mir den „Das ist spitze!“-Sprung von Hans Rosenthal noch mal angeschaut. Was waren das damals für Fernsehsendungen … „Manno!” ist voll von solchen Reminiszenzen – aber das Buch funktioniert auch (dazu später mehr), wenn man sie nicht entdeckt und versteht.

Neben der jungen Anke ist die zweite Hauptfigur, die in fast allen Geschichten mit auftritt, ihre Schwester Eva. Von den beiden werden viele Begebenheiten erzählt. Einige Beispiele: Der Streit um die gepunktete Lieblingsunterhose von Eva, die Anke einfach angezogen hat, endet damit, dass die beiden Schwestern im Kampf mit – mehr sei nicht verraten – nicht gerade appetitlichen Gegenständen aufeinander losgehen. Oder: Als es eines Nachts bei den Eltern klirrt und scheppert, die Eltern einen massiven Ehestreit haben, flüchten die Geschwister ins Bett der Großeltern, die im gleichen Haus leben. Und ein Kapitel zum Schmunzeln und Lachen ist das über „Elternfrisuren“: Es wird gezeigt, wie aufwändig es ist, die Fragezeichenfrisur der Mutter zu formen; und wehe, man grapscht mit den Fingern in die mühevoll drapierte Pilzfrisur des Vaters.

Anke Kuhl „Manno!“, Seite 73

Anke und Eva haben beim Obsthändler Rosenkohl mitgehen lassen und müssen sich nun entschuldigen (Fortsetzung weiter unten) | © Anke Kuhl, Klett Kinderbuch 2020 (mit freundlicher Genehmigung des Verlags)

Die Geschichten sind jedenfalls cool, sie haben ein passende Mischung aus Ernsthaftigkeit (wenn es um den schweren Autounfall der Mutter mit Nahtoderfahrung oder nächtliche Ängste geht) und Witz (Telefonstreiche dürfe nicht fehlen). Und hinzu kommen die bunten Zeichnungen, die sehr gekonnt das Wesentliche herauspicken und die Stimmung auf ganz verschiedenen Ebenen transportieren. Die kleine Anke erkennt man immer an der roten Brille, die ihr ein Augenarzt in der ersten Episode unerwarteterweise verschreibt. Mit dieser Augenvergrößerung kann sie so herrlich von entsetzt über überrascht bis hin zu ärgerlich und leidend gucken. In all den Zeichnungen – und das macht sie so unwiderstehlich – stecken sehr viele Gefühle.

Dass „Manno!“ ein Familienbuch für den Altersbereich von 8 bis 99 Jahre ist, war mir nicht von Anfang an so ganz klar – auch wenn der Verlag es ab 8 Jahren empfiehlt. Ich hatte vermutet, dass es vor allem bei Menschen zwischen 40 und 55 funktioniert, die am „historischen“ Hintergrund der Episoden andocken können. Ein überraschendes Erlebnis hat meine Einschätzung jedoch geändert: Als meine 9-jährige Tochter das Buch auf dem Tisch hat liegen sehen, hat sie es sich gleich geschnappt und ist damit für längere Zeit verschwunden (das passiert bei Büchern von mir sonst nicht so oft). Sie hatte in jedem Fall ihren Spaß damit, auch wenn sie die vielen Anspielungen im Buch nicht verstanden hat. Einige davon habe ich ihr inzwischen erklärt: Wir haben uns auf YouTube „Dalli Dalli“ mit Hans Rosenthal und „Am laufenden Band“ mit Rudi Carrell angeschaut, außerdem im Internet Frisuren der 1970er Jahre gegoogelt. Wir hatten also auch zusammen unseren Spaß damit.

Grandios gehalten ist im Buch die Seitengestaltung – übrigens alles auf einem angenehm dicken, warmweißen Papier, auf dem die colorierten Zeichnungen gut zur Geltung kommen. Einige Seiten sind ganz traditionell im Comicstyle mit sechs umrahmten Bildchen (in zwei Spalten à 3 Zeilen) gehalten, immer wieder nehmen Bilder aber auch mehr Platz ein; es gibt außerdem viele Seiten, da fehlt den Einzelbildern teilweise oder ganz die Umrahmung und es wird die feste Aufteilung aufgehoben. „Manno!“ ist eben mehr als ein 08/15-Comic: ein illustratorisches Gesamtkunstwerk, das mit zeichnerischen Mitteln spielt. Das gilt auch für den Text, der sich nicht nur in Textblasen befindet, sondern immer wieder auch anders in die Seitengestaltung integriert ist.

Anke Kuhl „Manno!“, Seite 74

Wie peinlich: sich beim Obsthändler entschuldigen zu müssen – aber der geklaute Rosenkohl war für einen guten „Zweck“ … | © Anke Kuhl, Klett Kinderbuch 2020 (mit freundlicher Genehmigung des Verlags)

Fazit:

5 von 5 Punkten. Was soll ich sagen? Man muss dieses Buch einfach lieben – „Manno! Alles genau so in echt passiert“ ist ein so sympathisches, ein so ehrliches Buch, dass ich mir absolut nicht vorstellen kann, dass man es doof oder langweilig findet. Das Erstaunliche ist – ich hatte es nicht erwartet –, dass selbst meine 9-jährige Tochter das Buch inzwischen mehrmals gelesen hat und sich immer wieder daran erfreut. Und so werde ich es auch halten: immer wieder mal hineinschauen und sicher jedes Mal Neues entdecken. Für mich war und ist „Manno!” eine kleine Zeitreise in meine eigene Kindheit, die zwar doch in manchem anders war, aber deren Grundstimmung ich in dem Buch in vielem wiederfinde.

„Manno! Alles genau so in echt passiert“ ist nicht das erste Meisterwerk von Anke Kuhl, aber es ist wahrscheinlich das persönlichste und damit authentischste Buch von ihr – das spürt man auf jeder Seite. Und diesmal hat Anke Kuhl sich nicht nur um die Illustrationen gekümmert, sondern auch die Texte selbst verfasst – beides ist aus einem Guss. Was da entstanden ist, davon bin ich restlos begeistert. Und auf die Gefahr hin, dass schon einige diesen Kalauer bemüht haben: Dieses Buch ist einfach Kuhl. Wirklich!

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(Ulf Cronenberg, 28.07.2020)


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