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Buchbesprechung: Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“

Cover: Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“Lesealter 11+(Atrium Pics 2025, 204 Seiten)

„Nur noch ein bisschen mehr“ ist nun das dritte Buch über Magersucht, das ich in diesem Jahr bespreche … Man geht zwar davon aus, dass die Corona-Pandemie die Häufigkeit von Essstörungen etwas erhöht hat; aber wahrscheinlich ist es trotzdem Zufall, dass ich in diesem Jahr so oft auf das Thema gestoßen bin. Das vorliegende Buch der Norwegerin Jenny Jordahl richtet sich jedenfalls an etwas jüngere Leser/innen als z. B. „Motten im Kopf“, erzählt seine Geschichte aber ebenfalls als Graphic Novel.

Inhalt:

Janne ist ein wenig kräftiger als die meisten gleichaltrigen Mädchen; und leider bekommt sie deswegen einige negative Kommentare zu hören: in ihrer Freizeit, aber vor allem in der Schule. Ihre Freundin Lene will irgendwann nichts mehr mit zu tun haben, sucht sich andere Freundinnen. Von vielen Mitschülerinnen und Mitschülern wird Janne getriezt, besonders schlimm ist ein gefälschter Liebesbrief am Valentinstag, der in der Klasse die Runde macht.

Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Seite 48

In der Klasse wird Janne mit einem gefälschten Valentinstag-Brief lächerlich gemacht … | Seite 48 aus: Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Atrium Pics

Bei Janne hinterlässt das Spuren. Zu Hause versucht sie zwar alles zu überspielen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung, aber innerlich ist sie angegriffen. Trost findet sie im Essen, und manchmal verdrückt sie die geliebten Puddingschnecken heimlich im Gebüsch. Der Einzige, der auf Janne zugeht, ist Brage, ein Mitschüler, der ihr erzählt, wer hinter dem Valentinsbrief steht, und der sie außerdem fragt, ob sie mit ihm irgendwann mal Zelda zocken will. Doch nach dem ersten Besuch bei Brage, traut sie sich nicht mehr, etwas mit ihm zu unternehmen, weil sie meint, dass auch Brage sie nicht mögen kann.

Auch die Eltern bemerken, dass Janne zugenommen hat; sie reden irgendwann mit ihr und vereinbaren, dass Janne belohnt werden soll, wenn sie weniger isst: mit Geld. Janne nimmt das sehr ernst, isst von da ab nicht nur gesund, sondern auch sehr viel weniger, bewegt sich mehr – bis die Situation irgendwann kippt … Und nun machen die Eltern sich Sorgen, weil Janne immer dünner wird und an Gewicht verliert.

Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Seite 144

Die Vereinbarung mit den Eltern, weniger zu essen und sich gesund zu ernähren, hat gegriffen …| Seite 144 aus: Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Atrium Pics

Dass – wie bei Janne beschrieben – ein leicht übergewichtiges Kind irgendwann ins Gegenteil verfällt, gezielt abnimmt und sogar eine Magersucht entwickelt, kommt durchaus öfter vor. Ich war etwas verwundert, dass diese Veränderung in der Graphic Novel erst recht spät beschrieben wird – aber das Buch lässt sich Zeit, die Hintergründe dafür, dass Hanne so rapide abnimmt, zu ergründen. Jenny Jordahl beschreibt sehr genau, welche negative Reaktionen Janne wegen ihres Gewichts erfährt, wie sie von anderen schikaniert und gemobbt wird und ihr Selbstwert immer kleiner wird. Das zählt eindeutig zu den Stärken der Graphic Novel. Janne hilft es dabei nur begrenzt, dass ihre Eltern zu ihr stehen, wobei auch ihr Vater an einer Stelle nicht davor gefeit ist, Janne gegenüber eine blöde Bemerkung wegen ihres Gewichts zu machen.

Die Zeichnungen von Jenny Jordahl in „Nur noch ein bisschen mehr“ (Übersetzung aus dem Norwegischen: Leonie Teckenburg; norwegischer Originaltitel: „Hva skjedde egentlig med deg?“) fangen all das schön ein. Sie sind über weite Teile bunt, die Figuren sind nicht allzu detailliert gezeichnet, aber trotz der wenigen Striche, mit meist nur leicht angedeuteten Schattierungen in den Gesichtern, gelingt es Jenny Jordahl gut, die Gefühle ihrer Figuren wiederzugeben.

Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Seite 62

Die dunklen Bilder unterstreichen die negativen Gefühle in Janne … | Seite 62 aus: Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Atrium Pics

Manchmal wechseln die Zeichnungen ins Schwarzweiß, wobei das Schwarz dann sehr dominant ist. Mit den dunklen Bildern werden oft die für Janne besonders schlimmen Situationen dargestellt – eine passende Bildgestaltung, die für die negativen Gefühle und Erlebnisse steht. Mehrmals im Buch taucht auch ein großes schwarzes Schattenmonster mit weißen Augen auf, das hinter Janne steht, sie bedroht, ihr oft negative Gedanken einflüstert. Es ist nicht so ganz einfach zu sagen, wofür genau das Monster steht – ich würde sagen, dass es am ehesten den sich selbst entwertenden Teil ihrer Persönlichkeit, den Janne in sich trägt, repräsentiert.

Und wie geht die Geschichte aus? Ohne mehr verraten zu wollen: Das Ende ist alterszielgruppengerecht und Janne kriegt die Kurve. Das geht alles ohne Therapie, ohne Klinikaufenthalt, weil Janne Halt bei ihren Eltern findet und sich auch andere Menschen um sie kümmern. Das ist natürlich geschönt im Vergleich zu dem, was in der Realität oft passiert, wo nicht wenige Magersüchtige leider immer weiter in den Strudel der Erkrankung geraten. Aber angesichts der jüngeren Zielgruppe von „Nur noch ein bisschen mehr“ ist das eindeutig vertretbar.

Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Seite 63

Das dunkle Monster, das immer wieder hinter Janne auftaucht … | Seite 63 aus: Jenny Jordahl „Nur noch ein bisschen mehr“, Atrium Pics

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Es ist ein lobenswertes Vorhaben, in einer Graphic Novel eine Geschichte zu erzählen, die auf eine jüngere Zielgruppe als die meisten anderen Bücher über Magersucht abzielt. Das Buch über Janne kann man bedenkenlos Leser/innen ab 11 oder 12 Jahren in die Hand geben: weil sie vielleicht im Freundeskreis mitbekommen, wie jemand immer dünner wird und an einer Magersucht erkrankt ist. Mit Hilfe der Graphic Novel lässt sich ein wenig besser verstehen, was da passiert. Jenny Jordahl hat die Geschichte Jannes einfühlsam geschrieben und passende Zeichnungen dafür gefunden.

Das Buch zeigt und unterstreicht, was alle Menschen brauchen: positive Zuwendung, Freundschaften, Menschen, die sie mögen und begleiten. Denn wer gemobbt wird – zum Beispiel, weil er nicht dem üblichen Gewichtsideal entspricht – kann wie Janne in eine gefährliche Selbstentwertungsspirale gelangen. „Nur noch ein bisschen mehr“ hilft Leser/innen hoffentlich, dass dafür sensibilisiert werden, sich anderen gegenüber einfühlsam zu verhalten.

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(Ulf Cronenberg, 06.11.2025)

Abdruck der Buchseiten mit freundlicher Genehmigung des Atrium-Verlags – herzlichen Dank! Die Bild- und Text-Rechte liegen bei der Autorin/Illustratorin und dem Verlag.


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