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Buchbesprechung: Antonia Michaelis & Peer Martin „Tomorrow Land“

Cover: Antonia Michaelis & Peer Martin „Tomorrow Land“Lesealter 15+(Oetinger-Verlag 2025, 319 Seiten)

Von Antonia Michaelis habe ich vor sehr langer Zeit ein Buch gelesen (aber keine Buchbesprechung geschrieben), von Peer Martin, der bereits mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, hatte ich noch nie ein Buch in der Hand – gute Gründe, ihr neues gemeinsames Buch, eine Dystopie, die in Deutschland spielt, zu lesen. Als ich für die Buchbesprechung ein bisschen zu den früheren Büchern der beiden recherchiert habe, habe ich gesehen, dass das Autoren-Duo bereits für ein anderes Jugendbuch („Grenzlandtage“) zusammen gearbeitet hat – das ist allerdings fast 10 Jahre her.

Inhalt:

Im Jahr 2085 ist die Welt eine völlig andere: Deutschland ist keine Demokratie mehr, es gibt nur noch „Die Partei“, es herrscht massiver Wassermangel, weite Teile Deutschlands sind kaum bewohnbar, weil Wüste, und es gibt wenige reiche Menschen, denen es gut geht, die meisten Menschen leben jedoch in armen Verhältnissen. Flüchtlinge wurden systematisch aus Deutschland abgeschoben, in anderen Ländern Europas wie Italien und Griechenland gibt es riesige Flüchtlingslager. Alle Menschen tragen außerdem im Unterarm einen Identifizierungschip.

Hannes, der wegen Schulden im Gefängnis sitzt, gelingt, als die Sicherheitssystem wegen einer Flutwelle ausfallen, mit zwei weiteren Insassen die Flucht – doch die drei werden in den Fluten getrennt. Und so versucht sich Hannes alleine durchzuschlagen, wird allerdings fast von der Sicherheitspolizei gefasst. Nur durch Glück kann er entkommen, er trifft dabei Moa, einen nigerianischen Flüchtling, der sich eigentlich gar nicht in Deutschland aufhalten dürfte.

Mit Sicherheitspolizisten auf den Fersen werden sie völlig überraschend von einem Mädchen in den Garten eines Hauses gelassen und dann im Haus versteckt. Warum Greta-Anna den beiden hilft, weiß sie selbst nicht so genau – was sie tut, ist strengstens verboten, zumal ihr Vater auch noch Chef der Nationalen Sicherheit ist. Dass Hannes und Moa möglichst schnell wegmüssen, ist klar, und Greta-Anna bringt sie am nächsten Tag heimlich zum nächsten Bahnhof. Doch anstatt sie dort nur abzusetzen, steigt sie kurz entschlossen selbst mit in den Zug und schließt sich ihnen an.

Bewertung:

Täusche ich mich oder erscheinen in den letzten Jahren wieder mehr Dystopien als in den Jahren davor? Es wäre aber nicht verwunderlich, so wie die Menschen in den letzten Jahren die Weltsituation angesichts Klimakrise, Corona-Pandemie und Kriegen erleben dürften. Eigentlich müsste man ja annehmen, dass die Sehnsucht nach positiven Entwicklungen dazu führt, dass Utopien bevorzugt werden – doch davon ist nichts zu sehen. Anscheinend haben schlimme Zukunftsentwicklungen mehr Leseanreiz, und Antonia Michaelis und Peer Martin haben das in einer sehr heftigen Zukunftsversion aufgegriffen.

Die beiden haben in ihrem Buch alles aufgeboten und eingebaut, was man derzeit an problematischen Entwicklungen ausmachen kann: Es gibt nur noch eine Partei (man kann sich vorstellen, aus welcher Partei sie hervorgegangen ist), die alles kontrolliert. Die Grenzen sind dicht, alle Flüchtlinge wurden ausgewiesen; Moa als Schwarzer würde sofort auffallen und darf sich nicht zeigen. In Deutschland herrscht Wüstenklima vor, bestäubende Insekten mussten durch kleine Nanoroboter ersetzt werden; es gibt immer wieder Flutkatastrophen und die Erde bebt ständig, weil Bergbau und Fracking sie instabil gemacht haben. Und schließlich ist Deutschland wieder geteilt und durch eine Mauer getrennt. Im Buch erfährt man noch so einiges mehr (bis zu 5 Millionen beherbergende Flüchtlingslager in südlichen Ländern wurden oben schon erwähnt) … Es ist einfach zu viel, was die Autoren-Duo da alles reingepackt hat.

Den Plot zu Beginn mochte ich eigentlich: Einem Gefangenen gelingt die Flucht, er trifft später einen schwarzen Flüchtling, sie werden von einer jungen Frau trotz der großer Gefährdung versteckt, sie bricht aus ihrem Leben aus, indem sie sich den Flüchtenden, die nach Norwegen wollen, anschließt. Natürlich fragt man sich, warum Greta-Anna als Tochter des obersten deutschen Sicherheitschefs das macht. Dass die Frage nicht beantwortet wird, ist in Ordnung, ja, das Geheimnis gibt dem Ganzen einen Reiz.

Und so hätte Antonia Michaelis und Peer Martin das auch bezüglich anderer Begebenheiten handhaben sollen. Es hätte, finde ich, gereicht, wenn die schlimmen gesellschaftlichen Zustände und Lebensbedingungen in Deutschland dargestellt werden. Doch stattdessen taucht im Buch ein alter Mann, der sich als Schriftsteller und Chronist bezeichnet, namens Aaron Martin (Peer Martins Sohn Aron aus der Widmung stand hier wohl Pate) auf, begleitet die Gruppe der Flüchtenden und berichtet immer wieder von der Vergangenheit. Und das ist, ehrlich gesagt, ziemlich unerträglich, macht im Buch meiner Meinung nach vieles kaputt, und zwar deswegen, weil die Dystopie dadurch einen deutlich pädagogisch belehrenden Touch bekommt (was übrigens die anderen Buchfiguren Aaron Martin auch genervt widerspiegeln).

Dennoch hat das Buch mich immer wieder in seinen Bann gezogen, weil ich wissen wollte, wie die Flucht von Hannes, Moa und Greta-Anna weitergeht; und da wird so einiges geboten. Sie kommen mit einem Untergrundnetzwerk in Kontakt, werden weiterhin von der Nationalen Sicherheit verfolgt, die ihnen immer wieder dicht auf der Spur sind, haben Probleme an Essen und Wasser zu kommen. Der Plot hat es in sich, und die Geschichte kennt viele unerwartete Wendungen.

Doch leider treiben Antonia Michaelis und Peer Martin auch hier einiges – vor allem gegen Ende – zu sehr auf die Spitze. Was die Untergrundnetzwerk am Ende alles organisiert hat, ist einfach angesichts von Millionen von Menschen, die zu retten sind, unwahrscheinlich; und dass kurz vor Schluss eine Naturkatastrophe den Flüchtenden genau im richtigen Moment in die Hände spielt, fand ich auch zu durchsichtig konstruiert. Im gut gemeinte Showdown ist der Jugendroman, finde ich, dem Autoren-Duo auf den letzten 80 Seiten entglitten; hier wird einfach zu dick aufgetragen.

Fazit:

2-einhalb von 5 Punkten. Es ist ein interessanter Ansatz, mal in einem Buch auszuloten, wie unsere Welt in Deutschland in 60 Jahren aussehen könnte. Die meisten Zukunftsromane (und damit auch Dystopien) spielen nicht in Deutschland, meist in Amerika, und es ist erst mal wohltuend, dass „Tomorrow Land“ es anders macht. Doch leider übertreibt es das Autoren-Duo es mit der Fortschreibung gegenwärtiger Probleme, und packt alles in das Buch, was man derzeit an schlimmen Entwicklungen befürchten kann. Das ist schade, denn aus der Geschichte hätte man mit etwas Zurückhaltung mehr machen können.

Auch darüber hinaus haben Antonia Michaelis und Peer Martin für ihre Dystopie falsche Entscheidungen getroffen. Wer sich ein bisschen mit Dystopien auskennt, weiß, dass zu viele Erklärungen, die die Welt im Buch erklären und nachvollziehbar machen, stören – es ist das Geheimnisvolle, das den Reiz an Dystopien ausmacht. Bei „Tomorrow Land“ kommt durch die ständigen Erklärungen, wie die Welt zu dem geworden ist, was sie im Jahr 2085 ist, leider ein erhobener pädagogischer Zeigefinger ins Buch, der den Lesespaß massiv beeinträchtigt – auch wenn er gut gemeint ist. Die guten Ansätze wie weite Strecken des Plots oder die drei gut gewählten Hauptfiguren werden dadurch leider ausgehebelt.

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(Ulf Cronenberg, 09.09.2025)


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