
(Überreuter-Verlag 2025, 345 Seiten)
Der Titel „They Are Everywhere“ klingt doch irgendwie gleich nach einem Science-Fiction-Buch – doch während man sich da vielleicht Außerirdische vorstellt, die die Erde überrennen, geht es dann doch um etwas anderes: um unsere Welt, die aus anderen Gründen außer Kontrolle gerät (dazu gleich mehr). Andreas Langer hatte für sein Kinderbuch „Schneekinder“, das ich nicht gelesen habe, das Kranichsteiner Kinder- und Jugendliteraturstipendium für Nachwuchstalente im deutschen Sprachraum bekommen. Der vorliegende Roman ist meines Wissens sein erstes Buch für ältere Leser/innen.
Inhalt:
Hannah, die aus Deutschland kommt, wird von ihren Eltern zu weitläufig Verwandten in die USA auf eine Farm geschickt, weil sie zu Hause ihr Leben nur noch mit einer VR-Brille im Metaverse verbringt. Im Metaverse hat Hannah Freundinnen und weiß sich zu beschäftigen, dort ist sie selbstbewusst; doch in der Wirklichkeit ist Hannah zurückgezogen und schüchtern, süchtig nach der virtuellen Realität. In den USA wird sie vom Flughafen in Columbus in einem Shuttle mit einen Jungen, der Jarrett heißt, zur Farm in Ohio gebracht; die beiden reden auf der Fahrt kaum miteinander.
Kurz nachdem Hannah und Jarrett auf der Farm angekommen sind, passieren schlimme Dinge: Hannahs Verwandte wird von einem Haushaltsandroiden angegriffen, ihr Mann von einem pflügenden Feldroboter. Beide überleben die Attacken nicht. Hannah und Jarrett kommen gerade noch mit einem Traktor davon, doch schon bald merken sie, dass überall Gefahren lauern, denn alle Hilfsroboter – und die Welt ist voll davon – gehen auf Menschen los. Überall, wo sie hinkommen, herrscht großes Chaos.
Auf den Straßen gibt es keine fahrenden Autos mehr, überall sind heftige Unfälle zu sehen, die die selbstgesteuerten Autos mit Absicht herbeigeführt haben. Lebenden Menschen begegnen Hannah und Jarrett nirgends, stattdessen müssen sie sich immer wieder gegen Roboter wehren. Es folgt eine brenzlige Situation auf die andere … Schlimm ist außerdem, dass sie dringend Essen und Trinken brauchen, sich aber wegen der aggressiven Roboter nicht trauen, sich in Siedlungen oder Städte zu begeben.
Bewertung:
Ich muss schon sagen: Das Szenario, das Andreas Langer in „They Are Everywhere“ entworfen hat, hat es in sich; man kann es sich auch bestens als Serie oder Film vorstellen. Dass Roboter und Androiden, die eigentlich entworfen sind, um Menschen unter die Arme zu greifen und ihnen zu helfen, verrücktspielen, auf Menschen losgehen, sie zu töten versuchen, ist eine richtig gute Idee, die einen spannenden Roman möglich macht. Und Andreas Langer weiß diese Chance zu nutzen.
Die Flucht von Hannah und Jarrett vor den Robotern ist in der Tat, wie es im Waschzettel steht, ein „atemloser Trip“ – die beiden Jugendlichen wandern von einer gefährlichen Situation zur nächsten. Und das Buch hält einige Überraschungen für die Leser/innen bereit. Besonders interessant ist, um ein Beispiel zu nennen, die Figur Allies, einer Frau, die einen Roboteranzug trägt, mit dem sie zu körperlichen Höchstleistungen fähig ist. Und auch dieser Roboteranzug spielt verrückt, ohne dass die Frau darin etwas dagegen machen kann. Das passiert alles erst im letzten Drittel der Geschichte, und mehr sei deswegen darüber auch nicht verraten.
Ein bisschen sei allerdings doch noch gespoilert, denn Hannah und Jarrett schaffen es auf die Farm einer Amisch-Familie (vgl. Wikipedia-Artikel zu „Amische“). Die Amischen sind eine Glaubensgemeinschaft mit dem Grundsatz, auf jegliche technische Errungenschaften zu verzichten. Und auf der Farm der Familie gibt es dementsprechend keine Roboter, die die Menschen gefährden. Anfangs erscheint Jarrett und Hannah die Farm fast als Paradies; doch auch hier bleibt der Plot stimmig, wenn sich irgendwann herausstellt, dass die Familie Geheimnisse hat, und in der Geschichte spielen diese eine wichtige Rolle. (Übrigens sehr schön, wie Andreas Langer hier das Amisch-Deutsch ins Buch bringt: man muss sich etwas einlesen, aber versteht es …)
„They Are Everywhere“ wird zu weiten Teilen in der Ich-Form aus der Perspektive Hannahs erzählt. Ab und zu gibt es jedoch auch Kapitel, wo die Erzählperspektive auf Jarrett übergeht; diese Kapitel sind dann personal in der Er-Form geschrieben. Ein paar Mal bin ich hier allerdings darüber gestolpert, dass die personale Erzählperspektive nicht ganz korrekt eingehalten wird – Andreas Langer springt ab und zu kurz in einem oder ein paar Sätzen zu Hannah, verlässt die Sicht Jarretts – eigentlich etwas, was ein Lektorat hätte merken sollen (aber man kann meine Kritik daran natürlich auch als germanistische Spitzfindigkeiten ansehen …).
Jarrett und Hannah sind gut gewählte Figuren. Anfangs reden sie kaum miteinander, auf der Flucht sind sie zunächst eine Zwangsgemeinschaft, später lernen sie aber, dass sie sich aufeinander verlassen können, und retten sich gegenseitig mehrmals das Leben. Dass Hannah im Buch als VR-Süchtige beschrieben wird, die nur in der virtuellen Welt ihre Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, Kontakt zu Menschen etc. zu befriedigen vermag, taucht im Buch immer wieder am Rande auf. Auch das ist eine interessante Idee, die hier auf die Spitze getrieben wird. Denn das sind ja durchaus Tendenzen, die es bei Jugendlichen auch heute gibt: dass man in sozialen Netzwerken ein anderes Leben führt oder sich anders gibt als in der Realität.
Hinter dem, was mit den Robotern passiert, steht ein Virus, der auf alle chipgesteuerten Maschinen zugreift und sie jeglicher Steuerungsmöglichkeit entzieht. Und damit wird hier ein Szenario geschildert, das sicher in dieser exzessiven Tragweite nur bedingt denkbar ist. Aber es wäre schon schlimm genug, wenn in unserer Zeit Hackerangriffe dazu führen, dass bestimmte technische Geräte nicht mehr funktionieren. Irgendwie setzt einem Andreas Langer da uns als Leser/innen fast so etwas wie einen Virus in den Kopf … Einen Virus, der uns zu Vorsicht mahnen sollte.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. „They Are Everywhere“ ist ein Buch, das vieles, was in unserer Welt derzeit passiert, zugespitzt fortführt. Im Nachwort schreibt Andreas Langer, dass es ihm in seinem Buch eigentlich weniger um die Roboter und Androiden als um die beiden Hauptfiguren ging. Doch ich finde, dass er als Autor hier durchaus auf Gefahren von gegenwärtigen technischen Entwicklungen hinweist. Die Frage steht ja im Raum: Wie sicher sind Geräte, wenn sie autonom mittels Programmierung und KI gesteuert werden? Sind sie nicht manipulier- und/oder hackbar?
Andreas Langers Jugendroman erzählt eine packende Geschichte, die man auch eher weniger leseaffinen Jugendlichen in die Hand geben kann, denn die Spannung und die ungewöhnliche Idee tragen einen durch die Geschichte. Ja, das Buch hat kleinere Schwächen, die jedoch kaum ins Gewicht fallen. Hier und da lassen sich zum Beispiel kleine logische Fehler ausmachen (dass das Wasser aus der Wasserleitung kommt, bevor das Stromnetz wieder funktioniert, ist jedenfalls unwahrscheinlich, denn dafür müssen die elektrisch betriebene Pumpen funktionieren). Aber alles in allem hält man mit „They Are Everywhere“ ein packendes Science-Fiction-Buch in der Hand, dem ich viele Leser/innen wünsche: weil das, was hier fiktiv im Jahr 2055 beschrieben wird, Fragen betrifft, die wir uns heute in Zeiten von KI und Hochtechnologie stellen sollten.
![]()
![]()
![]()
![]()
![]()
(Ulf Cronenberg, 24.07.2025)
Entdecke mehr von Jugendbuchtipps.de
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.