Jugendbuchtipps.de

Buchbesprechung: Jumata Emill „Kill the Truth“

Cover: Jumata Emill „Kill the Truth“Lesealter 14+(dtv 2025, 394 Seiten)

Seltsam, man findet bei dem Buch den Namen des Übersetzers weder im Copyright auf den ersten Buchseiten noch auf Seite 3, wo Titel und Autor (und sonst auch der Übersetzer) stehen. Lediglich im Klappentext wird aufgeführt, wer das Buch übersetzt hat. So sollte es jedenfalls nicht sein, da wird ein Übersetzer eindeutig zu wenig gewürdigt.
Der Titel des Buchs ist schon sehr reißerisch, vor allem der Untertitel „Eure Lügen, meine Schuld“. Eigentlich stößt mich das eher ab; aber ich hatte mal wieder Lust, ein spannendes Buch, das irgendwas zwischen Krimi und Thriller ist, zu lesen …

Inhalt:

Amir will eigentlich nicht zur Geburtstagsparty seines jüngeren Stiefbruders Marcel gehen, denn er hat einige Gründe, mehr als sauer auf ihn zu sein. Zum einen ist er immer noch zutiefst enttäuscht, dass sein Vater seine Mutter erst betrogen, dann verlassen und schließlich mit einer anderen Frau eine neue Familie gegründet hat. Marcel hat die Familie, die Amir gerne hätte. Zum anderen trägt er Marcel nach, dass dieser nie aufgeklärt hat, dass nicht Amir, sondern Marcel selbst für den Tod des Familienhundes verantwortlich war.

Doch weil ihm Chloe, ein weißes Mädchen (Amir selbst ist wie sein Vater und seine Mutter schwarz), gefällt und sie ihn vorher anschreibt, wagt er sich doch auf die Party, bereut aber bald, dass er gekommen ist. Sein Bruder und der Reichtum von dessen Familie widern ihn an, weil er und seine Mutter gerade so über die Runden kommen. Als Chloe auftaucht, verhält sie sich außerdem seltsam und will dann mit Amir möglichst schnell verschwinden. Amir soll sie an einen Ort bringen, den nur er kennt und der für ihn etwas Besonderes ist. Und so geht er mit ihr zu einer verfallenen Kirche, in der er manchmal Ruhe sucht.

Später bringt er Chloe, deren Eltern nicht da sind, nach Hause und bleibt dort. Amir mag Chloe, will die Situation aber nicht ausnutzen und schläft irgendwann auf dem Sofa ein. Als er später in der Nacht aufwacht und Chloe sucht, findet er sie tot in einer großen Blutlache in ihrem Zimmer. Voller Panik flieht er von dem Tatort, steckt seine Kleidung noch in einem Müllbeutel und dann in eine fremde Abfalltonne – doch am nächsten Tag steht die Polizei vor dem Haus und verhaftet ihn. Er wird des Mordes an Chloe beschuldigt. Eine Kamera hat erfasst, wie er nachts den Tatort verlassen hat.

Bewertung:

„Kill the Truth“ (Übersetzung: Knut Krüger; amerikanischer Originaltitel: „Wander in the Dark“) ist meines Wissens das erste ins Deutsche übersetzte Buch von Jumata Emill, einem in Louisiana (USA) lebenden Autor, der als Journalist bereits öfter über Kriminalfälle berichtet hat. Eines seiner Hauptthemen ist, dass er auf den noch immer weit verbreiteten Rassismus schwarzen Menschen gegenüber in den USA aufmerksam machen will; und in „Kill the Truth“ spielt das eine große Rolle. Zwar gehen Amir und Marcel auf eine angesehene Privatschule, doch dort, aber auch außerhalb der Schule begegnet schwarzen Schülerinnen und Schülern häufig, wenn auch oft versteckt, Rassismus. Das bekommen auch Marcel und Amir irgendwann ziemlich heftig zu spüren.

Der Jugendroman handelt außerdem von der schwierigen Familiensituation Amirs, der großen Hass gegenüber Marcel und dessen Mutter, aber auch seinem Vater gegenüber verspürt – da gibt es viele Wunden, die sich alle gegenseitig zugefügt haben und die in Geschichte mit hineinspielen. Die Beziehung zwischen Amir und Marcel wandelt sich jedoch nach und nach: Weil die Polizei wenig Engagement zeigt und Amir vorschnell für den Täter hält, der vors Geschworenengericht gebracht werden soll, weil der eingeschaltete Anwalt außerdem eher zögerlich agiert, ist es Marcel, der Amirs Unschuld beweisen will und selbst zu ermitteln beginnt. Und da Marcel nicht lockerlässt, beginnt Amir irgendwann, seinen Stiefbruder in einem anderen Licht zu sehen.

„Kill the Truth“ wird aus zwei Perspektiven erzählt. Marcel und Amir lösen sich von einigen Ausnahmen abgesehen in jedem Kapitel als Erzähler ab. Dem Buch tut das eindeutig gut, weil so die anfangs schwierige und angespannte Beziehung zwischen Marcel und Amir, die sich im Laufe des Buchs verbessert, zum einen sehr genau beschrieben wird. Zum anderen gelingt Jumata Emill dadurch, verschiedene Handlungsstränge und Sichtweisen ins Buch zu bringen.

Auf dem Cover wird „Kill the Truth“ von dtv als Thriller vermarktet; doch das erscheint mir etwas übertrieben. Für mich ist „Kill the Truth“ eher ein Kriminalroman mit ungewöhnlichen Ermittlern, wenn vor allem Marcel, unterstützt hier und da von Amir und Freunden, den Mord aufklären will. Egal, ob Thriller oder Krimi: Spannend und vielschichtig ist der Plot in jedem Fall, und wie sich das bei einem packenden Buch gehört, gibt es einige unerwartete Wendungen. Das gilt auch für die Auflösung, die man nicht erahnt. Allerdings ist das ja auch Pflicht bei einem Kriminalroman, der nicht vorhersehbar sein will …

Was mich gegen Ende allerdings leicht gestört hat, war, dass die 400 Seiten doch hier und da Längen haben. Insbesondere im letzten Drittel hätte ich mir das Buch an einigen Stellen etwas straffer gewünscht. Im Übrigen schien es mir so, dass die Übersetzung gegen Ende ein wenig schludriger geworden ist und manchmal nicht wirklich passende Begriffe wie „Verbrecher“ verwendet wurden, die einfach nicht in den sonstigen Sprachduktus des Romans passen. Es scheint fast, als hätte es beim Übersetzen und Lektorat am Ende Zeitdruck gegeben …

Und noch etwas ist mir leicht aufgestoßen: Selbstredend sollte man als Leser/in nicht schon lange vor der Auflösung ahnen, wer der Mörder von Chloe ist. Aber dass die mordende Person am Ende auf einmal ein so dermaßen anderes Verhalten an den Tag legt, sozusagen ihr wahres Gesicht zeigt, das man nicht mit ihrem vorherigen Verhalten in Einklang bringen kann, wirkt unpassend. Psychologisch ist die Verhaltensänderung in diesem Maße einfach nicht plausibel und wirkt unglaubwürdig.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Die Mischung stimmt: Man liest einen Kriminalroman, der auch das Thema Rassismus aufgreift, außerdem familiäre Verwerfungen thematisiert. „Kill the Truth“ ist alles in allem ein packendes Buch, das seine Themen gekonnt und gar nicht krampfhaft miteinander zu vermischen vermag. Dass Amir sofort, ohne dass dem richtig nachgegangen wird, des Mordes verdächtigt wird und vor Gericht gestellt werden soll, ist Bestandteil des amerikanischen Rassismus; und wie schwer es ist, dagegen anzukommen, zeigt das Buch sehr anschaulich. In den USA hat das Buch damit sicher mehr Sprengkraft als hier in Deutschland. Aber frei von Vorurteilen Menschen aus anderen Ländern gegenüber sind wir hier ja durchaus auch nicht …

Jumata Emills Buch ist beherzt, es ist engagiert und es kennt die Tricks, wie man ein Buch spannend macht: mit den passenden Cliffhangern an Kapitelenden zum Beispiel, ansonsten aber natürlich mit einem Plot, der viele unerwartete Wendungen kennt. Das Buch lebt ansonsten von seinen vielschichtigen Figuren und der Dynamik zwischen ihnen. Auch hier passt alles, lediglich auf den letzten gut 100 Seiten ist das Buch für meinen Geschmack ein wenig zu weitschweifig und in Bezug auf die Figur des Mörders nicht ganz stimmig.

blau.giflila.gifrot.gifgelb.gif

(Ulf Cronenberg, 15.07.2025)


Entdecke mehr von Jugendbuchtipps.de

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert