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Buchbesprechung: John Schu „Louder Than Hunger“

Cover: John Schu „Louder Than Hunger“Lesealter 12+(Sauerländer-Verlag 2025, 514 Seiten)

Knapp über 500 Seiten – das klingt nach einer langen Lektüre. Aber da das Buch von John Schu in lyrisch angeordneter Sprache geschrieben ist, hat man doch weniger zu lesen als gedacht. Bücher über Essstörungen (oder Magersucht wie in diesem Fall) gibt es einige (auch wenn mir in den letzten Jahren wenige untergekommen sind); John Schu hat dem Thema jedoch eine neue und damit besondere Perspektive hinzugefügt, weil es diesmal um einen Jungen geht, der eine Magersucht entwickelt hat. Bisher kenne ich nur Jugendromane mit Mädchen, die eine Essstörung haben …

Inhalt:

Jake ist noch nicht ganz 14 Jahre alt, er lebt bei seinen Eltern – von seinem Vater bekommt er jedoch eher wenig mit. Eine besonders intensive Beziehung hat er zu seiner Großmutter, die er jedes Wochenende besucht. Das sind seine schönsten Tage, weil sich seine Großmutter Zeit für ihn nimmt und seine Leidenschaft für Musicals und vieles andere teilt.

Jakes Eltern und die Großmutter machen sich jedoch große Sorgen um Jake, denn er isst immer weniger und wird dünner. Alle Versuche, das zu ändern, schlagen fehl. Jake vermeidet das Essen, wann immer es geht, er belügt seine Familie – und dahinter steht, dass er sich selbst nicht ausstehen kann. Irgendwann kann seine Familie das alles nicht mehr erdulden und bringt Jake gegen seine Willen in eine Klinik.

Dort fühlt sich Jake entwurzelt und verweigerte jegliche Mitarbeit. Es lässt die Pfleger, die Ärzte und die Therapeuten auflaufen, schweigt, wenn er etwas über sich und seine Probleme erzählen soll. Auch zu den anderen Jugendlichen in der Klinik hält er Distanz, lässt sie nicht an sich ran. Für alle Beteiligten, auch für Jake, ist das eine schwere Zeit.

Bewertung:

John Schu macht in „Louder than Hunger“ (Übersetzung: Maren Illinger; identischer amerikanischer Originaltitel) kein Geheimnis darum, dass er in das Buch viel seiner eigenen Lebensgeschichte hineingepackt hat. Von daher kann man davon ausgehen, dass in dem Jugendbuch die Magersucht (vgl. Anorexia nervosa) durchaus plausibel und wirklichkeitsnah beschrieben wird.

Um eingangs ein bisschen auszuholen: Die Kernsymptome einer Magersucht tauchen alle im Buch auf. Es wird jede Kalorie gezählt, man isst viel zu wenig, phasenweise gar nichts, man fühlt sich schlecht, wenn man Kalorienhaltiges zu sich nimmt; magersüchtige Jugendliche übertreiben es oft mit Sport, um schlanker zu werden; und beim Blick in den Spiegel fühlen Betroffene, dass sie keinen attraktiven Körper haben und zu dick sind (im Fachjargon nennt man das Körperschemastörung). Eine Magersucht ist damit alles andere als eine harmlose Erkrankung, sie ist vielmehr mit zunehmender Dauer und Schwere lebensbedrohlich und sollte dringend psychotherapeutisch und medizinisch behandelt werden. Und selbst wenn man die Magersucht irgendwann überwindet – es kommt häufig vor, dass Schäden zurückbleiben, weil der Körper bei Jugendlichen in der Wachstumsphase viel zu wenig Nährstoffe bekommt.

John Schu führt einen mit Jake mitten in all das hinein. Jake macht sich lange etwas vor, versucht seine Probleme vor seinen Eltern und seiner Großmutter zu verheimlichen – doch natürlich bekommen sie irgendwann etwas mit. Das gute Zureden der Familie verhallt, Hilfsangebote an Jake werden von ihm vehement ausgeschlagen, und irgendwann handeln die Eltern und weisen Jake zwangsweise in die Jugendstation der psychiatrischen Klinik Whispering Pines ein. Und dort liegt vor Jake ein langer Weg.

Mehrere Wochen verweigert er jegliche Mitarbeit, was durchaus typisch ist, denn die Krankheitseinsicht fehlt gerade bei Magersüchtigen lange: Jake schweigt in Gruppensitzungen, er spricht kaum ein Wort, wenn ihn Therapeut/inn/en und Ärzt/inn/en wie auch Pfleger/inne/n ansprechen – und das, obwohl sich alle um ihn bemühen.

Im Buch ist der Klinik-Aufenthalt in Tage eingeteilt, die hochgezählt werden und die quasi die Kapitel bilden. Und auch wenn es irgendwann mit Jake in kleinen Schritten aufwärts geht, es gibt immer wieder Rückschritte. Ein ganz heftiger wird geschildert, als er das erste Mal mit seiner Mutter gemeinsam für einen Tag die Klinik verlassen darf und dann in einem Restaurant ausrastet, als ihm das Essen vorgesetzt wird.

„Louder than Hunger“ erzählt all das sehr emotional und eindrücklich – nicht im Fließtext, sondern in einer Mischung aus versähnlich angeordneten Abschnitten, immer wieder aber auch mit grafisch gezielt auf den Seiten platzierten Sätzen, Wörtern und Buchstaben. Man könnte meinen, man habe ein Tagebuch vor sich; doch was man liest, ist mehr als das, weil man das ganze Gedanken- und Gefühlschaos von Jake serviert bekommt, in sein Inneres schauen kann – mit allen Verrenkungen, Widersprüchen und Abwehrmechanismen. Zu übersetzen war das Buch sicher nicht gerade einfach …

Um die Zerrissenheit in Jake darzustellen, verwendet John Schu oft grafische Stilmittel: Zentrale Glaubensätze von Jake oder Emotionen sind in großer Fettschrift gesetzt. So dargestellt wird auch eine imaginäre Stimme in Jake, die ihm immer wieder einredet, dass er nichts wert und zu dick sei, dass er bloß nichts essen dürfe, etc. Allerdings hat mich etwas irritiert und gestört, dass die Gefühle von Jake recht heftig und in Dauerschleife vorgetragen werden. Ist das nicht etwas zu viel des Guten? Befinden sich magersüchtigen Jugendliche wirklich dermaßen heftig auf emotionaler Achterbahnfahrt? Mir kommt es manchmal etwas dick aufgetragen vor.

Dass Jake dann irgendwann trotzdem nach langem Auf und Ab der Schritt in Richtung Gesundwerden gelingt, ist bei einem Jugendbuch zu erwarten, und so kommt es auch. Jake nimmt zögerlich Kontakt zu anderen Jugendlichen auf der Station aus, gibt zunehmend mehr von sich preis, lässt die Therapeuten und Ärzte an sich heran. Dass das Buch ein gutes Ende findet, ist für die Geschichte, die lange doch recht heftig ist, jedenfalls passend.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Mir ist kein anderes Jugendbuch bekannt, das die Magersucht bei einem Jungen so detailliert und ausführlich behandelt. John Schu hat aus seiner eigenen früheren Krankheitsgeschichte ein Buch gemacht, das sehr anschaulich den langen Leidensweg eines Jungen schildert und im Übrigen nicht heute, sondern zu der Zeit spielt, als John Schu im Alter Jakes war – nämlich Ende der 1990er Jahre. Wegen massiven Mobbingerfahrungen und den daraus resultierenden massiven Selbstzweifeln entwickelt Jake eine Magersucht, und lange ist nicht klar, ob er da wieder herausfindet. Selbst der Klinikaufenthalt führt lange nicht zu einer Verbesserung.

Wie schon gesagt, mir stößt im Buch ein bisschen das amerikanische Pathos auf, mit dem die Gefühlslagen von Jake – vor allem die negativen – beschrieben werden. Aber vielleicht hat das alles auch sein Gutes und macht Jugendlichen, die noch wenig über Magersucht wissen, deutlich, wie schlimm das Gefühlschaos ist, mit dem man in einer Anorexie lebt. Eine Freude ist es nicht, das alles zu lesen. Kann der Roman eine Warnung sein und Jugendliche vor einer Magersucht bewahren? Das wäre wohl zu viel erwartet … Das Buch ist eher hilfreich, damit Leser/inn/en Betroffene besser verstehen lernen, würde ich sagen. Und damit hat es alles in allem eine wichtige Funktion.

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(Ulf Cronenberg, 24.05.2025)


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