
(Verlag Freies Geistesleben 2025, 269 Seiten)
Mir war nicht bewusst, dass es mit der Hauptfigur von „Such dir keinen besten Freund“ bereits ein Vorgängerbuch gibt und dass Erna Sassen ein zweites Buch folgen hat lassen, weil Band 1 so positive Reaktionen bekommen hat. Aber auch wenn man mit dem hier besprochenen Jugendroman einsteigt: Man hat keine Verständnisprobleme zu erwarten – das Buch kann auch für sich allein stehen. Dass ich von Erna Sassen Jugendromane gelesen habe, ist übrigens schon eine Weile her: Es war in den Jahren 2016 und 2018, und beide Romane waren durchaus etwas Besonderes.
Inhalt:
Joshua hatte lange keinen guten Stand bei seinen Mitschülern, war es gewohnt, von Konflikten blaue Flecke davonzutragen – bis Sergio sich mit ihm angefreundet hat. Möglich gemacht hat das die von ihnen geteilte Begeisterung für Kunst – zumindest für manche Arten von Kunst. Und infolge wurde auch Dylan, Sergios bester Freund, der eine kurze Zündschnur hat und schnell aggressiv wird, Joshuas Freund. Auch wenn Joshua so ganz anders als die beiden ist – er zeichnet gerne und gut, ist viel stiller –, so wird er seitdem in Ruhe gelassen.
Und dann gibt es da noch Lindsey – ein ziemlich kompliziertes Mädchen, als deren Beschützer sich Dylan ansieht. Von vielen wird Lindsey als Schlampe angesehen, und das kommt nicht von ungefähr. Lindsey provoziert gerne, verwendet dabei ihre weiblichen Reize, flirtet ständig (auch mit Lehrkräften). Es geht das Gerücht um, dass niemand vor ihr sicher sei, und sie mit allen schlafe, die ihr über den Weg laufen.
Joshua ist einerseits fasziniert von Lindsey, findet sie attraktiv; andererseits hat er aber auch Angst vor ihr. Als die Idee aufkommt, dass Joshua Lindsey zeichnen könnte, bekommt er Panik. Er befürchtet, dass sie sich nackt zeichnen lassen will, was Dylan ganz und gar nicht gut finden würde. Außerdem weiß Joshua auch aufgrund seiner Schüchternheit nicht, wie er damit umgehen sollte. Um dem zu entgehen, macht Joshua den Vorschlag, dass Lindsey mit ganz besonderer Bekleidung zum Zeichentermin kommen soll; und das klappt gut. In den Wochen danach trifft sich Lindsey immer wieder mit Joshua und lässt sich von ihm zeichnen – zwischen beiden entsteht so etwas wie eine Freundschaft.
Bewertung:
Das Cover von „Such dir keinen besten Freund“ (Übersetzung: Rolf Erdorf; niederländischer Originaltitel: „Neem nooit een beste vriend“) zeigt Zeichnungen, auf denen Lindsey zu sehen ist. Sie stammen von Martijn van der Linden und illustrieren das Buch (auf den Buchseiten allerdings in Schwarzweiß) an vielen Stellen, geben wieder, was Joshua während der Romanhandlung alles zeichnet. Auch der Buchschnitt ist mit Schriftzügen von Lindseys Namen und mit einer Zeichnung von ihr verziert – auf der Unterseite sogar mit nackten Oberkörper. Da wird schon ein wenig vorweggenommen, wofür das Buch steht: Erna Sassen nimmt kein Blatt vor den Mund, lässt ihren Ich-Erzähler Joshua ziemlich explizit über die Sehnsüchte eines Jungen und über Sex sprechen.
Joshua erzählt die Geschichte auf recht ungewöhnliche Art und Weise. Die Kapitel sind einfach durchnummeriert, an ein paar Stellen ist der Roman mit Deckblattseiten und Titel in Abschnitte unterteilt. Ansonsten macht es den Eindruck, als würde man eine Art Journal oder Tagebuch lesen. Und es geht fast ausschließlich um die vier Figuren: Joshua, Dylan, Sergio und Lindsey. Alle anderen Personen, die im Buch vorkommen (wie zum Beispiel Joshuas Eltern), sind eher Randfiguren.
Die Freundschaft zwischen den vier Hauptfiguren im Buch kennt Höhen und Tiefen. Vor allem zwischen den eigentlich besten Freunden Sergio und Dylan kracht es irgendwann gehörig. Hintergrund ist, dass Sergio als Sexarbeiter Geld verdient, und das nicht nur bei Frauen. Dylan findet das nicht nur geschmacklos, sondern unmöglich. Ob dahinter eine homophobe Einstellung steht, bleibt offen …
Joshua ist unter den vier Figuren mit seiner schüchternen Art so etwas wie der ruhende Pol. Er ist absolut kein Draufgänger, beobachtet die Welt lieber, als dass er handelt und die Initiative ergreift. Und von seinen Gefühlen Lindsey gegenüber, die er mehr als attraktiv findet, wird er fast überrollt und weiß gar nicht, wie er damit umgehen soll. Lindsey ist ein Mädchehn, das ihn ziemlich überfordert. Seine Art damit umzugehen, ist, nett zu sein, das Zeichnen ist so etwas wie sein Schutzschild und bietet zugleich die Möglichkeit, Lindsey nahe zu sein.
Was Lindsey angeht, so ist sie das krasse Gegenteil von Joshua: Während sie gezeichnet wird, kann sie nicht still halten; sie zappelt ständig herum. Und obwohl sie selbstbewusst wirkt, hat sie doch viele Selbstzweifel, wie Joshua nach einiger Zeit feststellt: Sie findet sich nicht schlank genug; sie will nicht vor anderen tanzen (obwohl sie das Joshuas Meinung nach extrem gut kann). Und irgendwann erfährt man auch, dass nicht alles, was andere ständig über Lindsey sagen, stimmt … Sie hat außerdem – das bekommt man aber erst recht spät mit – durchaus ihre Päckchen aus der Vergangenheit (wie Dylan übrigens auch) zu tragen. Das erklärt so einiges von ihrem Verhalten.
Wie Joshua und Lindsey umeinander kreisen, wie sie sich kennenlernen – das ist für mich die Hauptgeschichte im Buch. Nach und nach geben die beiden einander mehr von sich preis – eine spannende Entwicklung, bei der man lange nicht ahnt, worauf sie hinausläuft. Was sich zwischen beiden entwickelt ist aber folgerichtig und nachvollziehbar.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Es gibt wenige Jugendromane, die so explizit Sehnsüchte von Jungen (weniger von Mädchen) in Bezug auf Sex thematisieren. Erna Sassen (interessant, dass hier ja auch eine Frau über Jungen schreibt) traut sich alles zu sagen, was im Kopf eines Jugendlichen wie Joshua vorgeht. Und trotzdem hat das Buch nichts Pornografisches oder Voyeristisches, weil hinter allem immer auch erkennbar ist, dass die Figuren vor allem Beziehung und Freundschaft suchen – selbst, wenn es wie bei Lindsey vordergründig ganz anders aussieht. Entstanden ist aus all dem eine ziemlich außergewöhnliche Liebesgeschichte.
Lange nicht mehr habe ich ein so explizites und zugleich einfühlsames Jugendbuch über das Thema Sexualität gelesen. Das letzte Buch, das ähnlich war und an das ich mich erinnere, stammt aus dem Jahr 2004 und war Melvin Burgess‘ „Doing it“. „Such dir keinen besten Freund“ ist ein Buch, zu dem man vielleicht nicht so richtig schnell einen Zugang findet (so ging es zumindest mir), das einen aber irgendwann packt und dann für sich gewonnen hat.
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(Ulf Cronenberg, 16.11.2025)
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