
(Rotfuchs 2025, 219 Seiten)
Allzu viel vorstellen kann man sich unter dem Buchtitel ja nicht, und das Cover, das mir in seiner schlichten Art gefällt, hilft einem auch nicht weiter. Aber Sarah Jäger veröffentlicht seit Jahren regelmäßig Jugendromane, und ich bin noch nie enttäuscht worden. Sie ist eine der Jugendbuchautor/inn/en, die ich immer im Blick habe und von der ich alle neuen Bücher lese. Es geht jedenfalls, das sei schon mal verraten, um eine sich anbahnende ungewöhnliche Beziehung zwischen einem Mädchen und einem Jungen, die ziemlich verschieden sind.
Inhalt:
Ari lebt mit ihrer Mutter und ihrer schwangeren großen Schwester in der Gerberstraße 5, einem Mehrfamilienhaus, in dem sich alle kennen und zusammenhalten. Auch ihre beiden besten Freunde Mirjam und Milan – beide zusammen nennt sie MiMis – wohnen mit ihren Familien dort, und wie selbstverständlich verbringen sie fast die ganze Zeit miteinander und wissen auch über alles Bescheid.
In einem Altersheim liest Ari alten Menschen aus Büchern vor, und dort trifft sie auf Flint, der – wie sie später erfährt – seine Sozialstunden ableisten muss. Obwohl Flint oft seltsam reagiert, auch wortkarg ist, fühlt sich Ari zu ihm hingezogen. Und sie hofft, dass sie ihn bei den nächsten Besuchen im Altersheim wiedertrifft. Doch auch wenn es nicht so schnell klappt, sie begegnen sich wieder, und mit einem Kuss beginnt ihre zaghafte Beziehung.
So ganz einfach ist es zwischen den beiden allerdings nicht, denn Flint führt ein ganz anderes Leben als Ari. Warum er die Sozialstunden ableisten musste, verrät er lange nicht; in die Schule geht er auch eher selten. Ari hilft ihm einmal aus der Patsche, als er fast beim Schwarzfahren in der U-Bahn erwischt wird. Und Flint wird auch verdächtigt, bei einem alten Mann im Altersheim Geld geklaut zu haben.
Bewertung:
„Das Feuer vergessen wir nicht“ ist – zumindest über weite Strecken – ein etwas ruhigerer Roman als die anderen Bücher von Sarah Jäger; und so hat sich bei mir auch lange kein so großer Lesesog eingestellt, wie ich ihn von anderen Büchern kenne. Allerdings ist Sarah Jägers neuer Jugendroman – das kann ich nun hinterher sagen – ein Buch, das lange nachhallt und dessen Kunstfertigkeit man recht spät begreift, weil die entsprechenden Stellen, die das Buch in ein anderes Licht rücken, erst im letzten Viertel des Romans zu finden sind.
Bis dahin erzählt das Buch eine größtenteils beschauliche Geschichte, die sich über weite Strecken um Ari und Flint dreht. Es wird aber auch einiges außenrum berichtet: von der Freundschaft mit den beiden MiMis, aus dem Altersheim, wo vor allem die demente Frau Martin eine wichtige Rolle spielt. Die alte Frau, die nie spricht, reagiert eines Tages ganz verstört, als Ari ihr das Märchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ vorliest. Erst später findet Ari den Grund dafür heraus: Sie entdeckt im Nachtkästchen von Frau Martin eine von ihr angefertigte Uni-Hausarbeit über den Streik der Streichholzarbeiterinnen. Und in deren Vorwort wird das besagte Märchen erwähnt.
Und so bekommt man nach und nach mit, wie das Motiv des Feuers sich in vielen Facetten durch das gesamte Buch zieht und im ganzen Jugendroman Referenzen hat. Selbst der Name Flint (der übrigens bei der ersten Begegnung mit Ari ein Streichholz anzündet) ist ein Verweis auf den Feuerstein, der auch Flint genannt wird. Apropos Flint: Er bleibt das ganze Buch über von einer geheimnisvollen Aura umgeben; man erfährt – da geht es einem als Leser/in wie Ari – wenig über ihn und weiß nichts von seinen seltsamen Familienverhältnissen. Es ist ungewöhnlich, dass eine Hauptfigur so rätselhaft bleibt, dass man so wenig über ihre Vergangenheit erfährt, doch ich konnte dem durchaus etwas abgewinnen und fand es reizvoll.
Unterteilt ist das Buch in Kapitel, die in unterschiedliche Länge Episoden aus Aris Leben erzählen. Erzählerin ist fast durchgängig Ari, die festhält, was sie erlebt. Eingestreut sind aber immer wieder auch Dialogausschnitte oder andere kurze Texte, und erst spät im Buch erfährt man, dass man hier eine Art Tagebuch von Ari liest.
„Das Feuer vergessen wir nicht“ ist auf ein rasantes Ende hingeschrieben, das so ganz und gar nicht angedeutet wird. Und hier wird nicht nur vieles miteinander verknüpft, was vorher an losen Enden ausgelegt worden war, sondern die Geschichte bekommt auf einen Schlag eine Vehemenz und Dringlichkeit, die man vorher manchmal etwas vermisst hat. Und was mir an Sarah Jägers Büchern immer besonders gefällt – das gilt auch für ihren neuen Jugendroman – ist ihre ausgefeilte Sprache, die immer reich an treffsicheren, aber nie aufdringlichen sprachlichen Bildern ist und durch die Stimmungen wie Gefühle eindrücklich dargestellt werden.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. So ganz gepackt hat mich „Das Feuer vergessen wir nicht“ lange nicht. Es erzählt eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, weil Ari und Flint so verschieden sind, und es etwas dauert, bis sie zueinander finden. Außerdem wird Mirjam und Milan, den beiden Freunden von Ari, viel Raum gegeben – auch das ist eine ungewöhnliche Freundschaft, die man fast Seelenverwandschaft nennen könnte. Aber die Geschichte im Buch schreitet an einigen Stellen nicht so richtig voran, bleibt oft ein wenig beschaulich.
Auf den letzten 40 Seiten ändert sich das jedoch, die Geschichte bekommt eine völlig andere Wendung, und auf einmal macht alles Vorherige Sinn. „Das Feuer vergessen wir nicht“ ist – das wird einem bewusst – durch und durch durchkomponiert und im Zentrum steht auch das Motiv des Feuers, das man durchaus auch symbolisch als Lebensenergie und -antrieb verstehen kann. Gefallen hat mir vor allem auch die Figur Flints, die mir einerseits fremd geblieben ist, die andererseits aber ganz und gar ungewöhnlich ist. Sarah Jägers neues Jugendbuch ist vielleicht nicht so zugänglich wie ihre früheren Bücher, aber dafür ein außergewöhnlich tiefes Buch, in dem es viel zu entdecken gibt. Sich darauf einzulassen, könnte aber nicht allen Leser/inne/n leichtfallen.
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(Ulf Cronenberg, 30.09.2025)
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