(Loewe-Verlag 2025, 398 Seiten)
„Academy of Lies“ ist ein Buch, das ich eher nicht zu meinen bevorzugten Lektüren rechnen würde; doch mir hat der erste Jugendroman von Nina Scheweling („Full Dive“) gut gefallen, und ab und zu muss es auch mal sein, etwas eher Ungewohntes zu lesen. Übrigens: Wer das Buch ausgelesen hat, findet am Ende auf einer Seite den Hinweis auf die Telefonseelsorge und darauf, dass man das Buch nicht lesen sollte, wenn man Schwierigkeiten mit Themen wie Tod, Mord, Trauer etc. habe. Schon etwas seltsam – den Hinweis sollte man vielleicht besser an den Anfang des Buchs stellen …
Inhalt:
Quinn, die seit ihrem achten Lebensjahr ein Spenderherz hat, beginnt an der elitären Schreiber-Akademie, die ihr toter Großvater aufgebaut hat, ein Medizinstudium. Ihr älterer Bruder Florin studiert dort bereits … Absurd ist, dass Quinn weiß, dass sie wohl nicht mehr lange zu leben hat, denn ein Spenderherz hält nicht ewig, und bei ihr gibt es deutliche medizinische Anzeichen, dass das Herz nicht mehr lange durchhalten wird. Ein neues Herz zu bekommen, scheint angesichts ihrer Blutgruppe sehr unwahrscheinlich.
Die ersten Tage des ersten Semesters beginnen mit einem schlimmen Erlebnis. Quinn, die sich am Abend verbotenerweise in der Bibliothek verschanzt hat, bekommt mit, wie der erst kürzlich eingesetzte Präsident der Akademie nachts im Hof durch einen Schuss getötet wird. Sie sieht auch den Schatten des Täters, ohne aber jemanden zu erkennen. Die Aufregung an der Akademie ist entsprechend groß. Quinn erzählt jedoch niemandem von ihrer Beobachtung, nicht einmal ihrem Bruder Florin.
Die Tage darauf verhält sich Florin Quinn gegenüber ziemlich seltsam. Quinn eckt allerdings auch überall an: Sie ist schroff zu ihren Mitstudierenden, will sich nicht auf sie einlassen. Einige Wochen später kommt es noch schlimmer. Quinn lässt sich überreden, auf die berühmte Party der Alpha-Verbindung zu gehen, was sie jedoch bald bereut. Am Ende des Abends gibt es ein weiteres Todesopfer: Quinn hatte kurz zuvor noch beobachtet, wie ihr Bruder mit Jana, ihrer studentischen Anleiterin im Präparierkurs, gestritten hat; einige Stunden später entdeckt Quinn Wasser, das aus einem Bad läuft. Und es ist Quinn, die dann Janas Leiche in der Badewanne entdeckt.
Bewertung:
Nina Scheweling scheint einen Faible für medizinische Details zu haben, denn sie spielen in dem Buch an sehr vielen Stellen eine Rolle. Es ist nicht nur so, dass das Buch in einer Medizin-Akademie spielt und es hier auch dazu kommt, dass Quinn und die anderen Erstsemester im Präparierkurs lernen, wie man tote Menschen nach und nach seziert, um alle menschlichen Körperteile kennenzulernen. Nein, die Autorin fügt an mehreren Stellen kleine Exkurse ein, in denen Quinn auf meist zwei Seiten schildert, wie es durch verschiedene Ursachen zum Tod kommt (z. B. durch Verbluten, Verhungern oder einen Hirntumor). Mich persönlich hat das nicht gestört – im Gegenteil, ich fand die darin enthaltenen Details interessant und für Laien bestens verständlich zusammengetragen.
Auch wenn ich für Mystery-Romane eher nicht empfänglich bin: Das Lesen von „Academy of Lies“ hat mir Spaß gemacht – das Buch bietet gute Unterhaltung. Das liegt vor allem daran, dass das Mysteriöse nicht übertrieben wird. Nicht alles, aber doch vieles von dem, was passiert, könnte sich so fast im richtigen Leben zutragen – auch wenn das Szenario mit der elitären Medizin-Akademie eher ungewöhnlich ist. Aber ein Roman wie „Academy of Lies“ benötigt natürlich auch ein besonderes Ambiente: Das alte und verwinkelte Gebäude der Akademie passt jedenfalls bestens zum Geheimnisvollen im Buch – es gibt Geheimgänge und Geheimtüren, einen zugemauerten Keller, und ein Geheimbund spielt im Roman eine wichtige Rolle.
Quinn ist zudem eine interessante Figur. Anfangs tritt sie extrem sperrig auf. Sie will sich andere Menschen vom Leib halten, weil sie weiß, dass sie nicht mehr lange zu leben hat – so interpretiert sie selbst das zumindest. Sie mag außerdem kein Mitleid und ebenso wenig, wenn andere sich Sorgen um sie machen. Und so stößt sie andere mit schroffen Antworten oft vor den Kopf. Einzig Florin, ihren Bruder, lässt sie an sich heran … Und was die Familie angeht: Quinns Vater ist vor einigen Jahren gestorben, die Mutter ist beruflich ständig unterwegs, und selbst, wenn sie sich mal meldet, zeigt sie nicht wirklich Interesse an ihren Kindern.
Im Laufe des Buchs verändert sich allerdings einiges bei Quinn: Sie beginnt – anfangs sehr zögerlich, später beherzter – auf andere zuzugehen. Und ihre ständig quasselnde und gut gelaunte Zimmernachbarin Mira, die Quinn lange nervig findet, lernt sie irgendwann zu schätzen, ja, ist manchmal froh, wenn Mira um sie herum ist. Ähnlich geht es ihr mit dem geheimnisvoll auftretenden Leonas, den Quinn nach anfänglich großem Misstrauen näher an sich heranlässt. Später lässt sie sich sogar von ihm in mehreren Dingen unterstützen.
Das Buch hat eine eher flache, aber stetig nach oben laufende Spannungskurve, wenn man vom Mord auf den ersten Seiten, den Quinn beobachtet, absieht. Einen Thriller darf man nicht erwarten; „Academy of Lies“ kostet eher die leicht schaurige Grundstimmung aus, als dass es den Nervenkitzel in den Vordergrund stellt. Allerdings ist das auch wirklich kein Problem, weil Nina Scheweling als kluge Erzählerin nie Langeweile aufkommen lässt.
Was ich an dem Buch (und damit an der Autorin) bewundere, ist, wie Stimmungen beschrieben und hervorgerufen werden – man hat hier eben keine zielgruppengerecht geschriebene Massenware vor sich. Das ist bei den Figuren zu beobachten, in die man sich gut einfühlen und die man vor seinem geistigen Augen sehen kann; das gilt aber auch für die Atmosphäre und die geschilderten Umgebungen im Buch. Es ist großartig, wie die Akademie mit ihrer geheimnisvollen Aura geschildert wird – man riecht, sieht und spürt alles manchmal fast vor sich.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Mir war gar nicht bewusst, dass ich mit „Academy of Lies – Anatomie einer Verschwörung“ einen ersten Band lese, die Fortsetzung der Geschichte um Quinn wird im Herbst erscheinen (und weil der Verlag von einer „Reihe“ spricht, werden wohl noch weitere Bücher folgen). Das sehr gekonnt platzierte, unerwartete Ende, das einem kleinen Donnerschlag gleichkommt, würde einen aber auch etwas unbefriedigt zurücklassen – von daher ist ein zweiter Band folgerichtig.
Obwohl Mystery-Romane nicht mein bevorzugtes Genre sind, hat mich „Academy of Lies – Anatomie einer Verschwörung“ auf vielen Ebenen bestens unterhalten. Das liegt zum einen daran, dass das Buch von den Figuren über das Szenario bis hin zum Plot in sich stimmig ist. Es liegt zum anderen daran, dass Nina Scheweling eine gewandte Erzählerin ist. Wie sie die Kunst beherrscht, die Welt der Schreiber-Akademie und ihre Figuren lebendig werden zu lassen, darüber habe ich immer wieder gestaunt. Ich kenne mich im Mystery-Genre nicht gut aus, aber kann mir nicht vorstellen, dass es in dem Bereich viele solcher stimmigen Bücher gibt. Klar, „Academy of Lies – Anatomie einer Verschwörung“ ist vor allem Unterhaltung, nicht viel mehr. Aber es ist Unterhaltung auf hohem Niveau.
(Ulf Cronenberg, 01.06.2025)
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