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Buchbesprechung: Suzanne Collins „Die Tribute von Panem L – Der Tag bricht an“

Cover: Suzanne Collins „Die Tribute von Panem – Der Tag bricht an"Lesealter 14+(Oetinger-Verlag 2025, 459 Seiten)

Die Fan-Gemeinde von „Tribute von Panem“ ist immer noch groß, und auf ein weiteres Buch haben die Fans lange gewartet (es war ja nicht sicher, ob da noch was folgen wird). Auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2024 wurden Cover und Titel des neuen Bandes vorgestellt; und dass der Band die Geschichte von Katniss‘ Mentor Haymitch Abernathy erzählt, wie er 25 vorher die Hungerspiele gewonnen hat, war schon vorab durchgesickert. Im Gegensatz zum ersten Prequel „Das Lied von Vogel und Schlange“ stehen also mehrheitlich bereits bekannte Figuren im Zentrum.

Inhalt:

Der 16-jährige Haymitch führt ein einigermaßen ruhiges Leben, kümmert sich um seine Mutter und seinen jüngeren Bruder Sid – sein Vater ist schon vor längerer Zeit ums Leben gekommen. Am liebsten verbringt er seine Zeit mit seiner Geliebten Lenore Dove, auch wenn deren Familie von der Beziehung nicht gerade angetan ist. Ansonsten verdient er noch ein bisschen dazu, in dem er einer Schnapsbrennerin zur Hand geht.

Weil das 50. Jubiläum der Hungerspiele ansteht, sollen aus jedem Distrikt doppelt so viele Tribute wie sonst an dem tödlichen Wettkampf teilnehmen, den nur einer gewinnen und überleben kann. Auch aus Distrikt 12 sollen zwei junge Mädchen und zwei Jungen ausgewählt werden, die sich in der Arena mit 44 anderen Tributen bekämpfen sollen. Eigentlich war Haymitch gar nicht ausgelost worden – doch weil einer der ausgewählten Jungen flieht und dabei erschossen wird, fällt die Wahl auf Haymitch.

So sitzt er kurz darauf im Zug zum Kapitol und sieht für sich absolut null Chancen, die Hungerspiele zu überleben. Seine drei Mitstreiter/innen aus Distrikt 12 will er sich erst mal vom Leib halten; doch nach und nach lernt er ihre guten Seiten kennen. Im Kapitol beginnt dann das harte Training der Tribute, und ein Tribut aus einem anderen Distrikt versucht, ein Bündnis von Tributen aufzubauen, um sich gegen die berüchtigten und kampferprobten Karrieros aus den Distrikten 1 bis 4 zu verbünden. Haymitch will erst nichts damit zu tun haben, ist dann aber doch dabei. Und ausgerechnet Haymitch wird eine der Hauptfiguren, mit denen die Newcomer sich nicht nur gegen die Karrieros wehren, sondern auch noch die Hungerspiele sabotieren wollen …

Bewertung:

Der große Erfolg der Tribute-von-Panem-Trilogie legt natürlich nahe, dass es weitere Bände geben wird, und letztendlich steckt in der Grundidee auch genug Stoff, den man ausbauen und verwenden kann. Das zweite Prequel ist somit keine Überraschung, auch wenn es etwas auf sich hat warten lassen. Weil mir der erste nachgeschobene Band „Die Tribute von Panem X – Das Lied von Vogel und Schlange“, der gut 60 Jahre vor den Geschehnissen um Katniss spielt, nicht so gut gefallen hat, da er an manchen Stellen etwas langatmig daherkam, war ich gespannt, wie sich „Der Tag bricht an“ schlägt. Stand die lateinische Zahl X im ersten Prequel für die 10. Hungerspiele, so zeigt das L im Titel, dass wir es nun mit den 50. Hungerspielen zu tun haben – die Geschichte spielt also 24 Jahre vor den Hungerspielen, an denen Katniss und Peeta teilgenommen haben.

Die Hauptfigur des neuen Buchs ist ein alter Bekannter: Haymitch Abernathy war als Mentor von Katniss in der ursprünglichen Trilogie eine schillernde Figur; dass er die 50. Hungerspiele gewinnt, ist aber schon mal klar, sonst könnte er nicht zweieinhalb Jahrzehnte später Katniss‘ Mentor sein. Der Reiz der Geschichte besteht für alle mit „Tribute von Panem“ Vertrauten also nicht darin, wer die 50. Hungerspiele gewinnt, sondern wie sich alles zuträgt. Und Suzanne Collins besinnt sich hier auf die alten Stärken, lässt weg, was bei „Das Lied von Vogel und Schlange“ zu Langatmigkeit geführt hat.

Das Buch steigt, nachdem Haymitch und sein Leben vorgestellt werden, damit ein, dass im Distrikt 12 angesichts des Jubiläums diesmal vier Tribute ausgelost werden. Die Ernte genannte Zeremonie ist wie immer inszeniert, und dass dabei einiges schiefläuft, weil ein erster gezogener Kandidat auf der Flucht erschossen wird, bekommt niemand außerhalb von Distrikt 12 mit, denn die Zeremonie wird nicht live, sondern mit Zeitversatz übertragen. Die Propaganda-Maschinerie von Panem läuft wie am Schnürchen. Und wie schon bei Katniss wird Haymitch eigentlich nicht als Tribut aus dem Lostopf gezogen, sondern in diesem Fall durch unglückliche Umstände der vierte Distrikt-Kandidat.

Überhaupt gibt es im neuen Buch viele Parallelen zum ersten Band der Trilogie: Auf die Tribute-Auswahl folgt die Fahrt im Zug nach Panem, dort das Training mit dem Ziel, die Kandidaten einerseits auf die grausamen Spiele vorzubereiten und kampffähig zu machen, andererseits dem Publikum vorzustellen. Das alles kennt man schon von Katniss und Peeta. Haymitch weiß, dass er gegen die anderen 47 Tribute, vor allem die bestausgebildeten Karrieros aus den Distrikten 1 bis 4, keine Chance hat; und das macht ihn letztendlich mutig, so dass er sich – mehr sei nicht verraten – sogar mit Präsident Snow anlegt. Was dann den Großteil des Buchs ausmacht, sind die Hungerspiele.

Suzanne Collins hat, kann man folgern, am bewährten Rezept festgehalten, und es funktioniert wie schon in Band 1 der Trilogie sehr gut. Man fiebert mit Haymitch, mit seinen vorübergehenden Gefährten sowie seinen Mit-Tributen aus Distrikt 12 mit, auch wenn Haymitch sich zu Beginn der Spiele erstmal von seinen Mitstreitern fernhält, weil er eine eigene Mission verfolgt.

Der Reiz am neuen Band liegt unter anderem darin, dass außer Haymitch weitere bekannte Figuren in Szene gesetzt werden. So taucht Plutarch Heavensbee als filmender Propagandist gleich zu Beginn auf; Beetee, der in der Trilogie ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, ist mit dabei, weil sein Sohn als einer Tribute antreten muss; und neben Caesar Flickermann, der wie 24 Jahre später die Tribute-Show moderiert, taucht auch Effie Trinket als junge Unterstützerin von Haymitchs Team auf. Präsident Snow darf natürlich auch nicht fehlen. Man fühlt sich also heimisch.

„Der Tag bricht an“ ist nichts für Zartbesaitete. Es ist nicht nur die Grundsituation – von 48 Tributen wird nur einer überleben –, die an sich schon heftig ist; schließlich versuchen sich 48 Tribute im Alter zwischen 12 und 18 Jahren gegenseitig umzubringen. Nein, Susanne Collins schmückt vieles ziemlich detailliert aus, übertreibt es dabei manchmal ein wenig. Musste es z. B. sein, dass irgendwann ein Karriero einem anderen Tribut den Kopf abschlägt und ihn Haymitch quasi vor die Füße wirft? Die Szene ist schon verdammt martialisch – und auch wenn ich „Der Trag bricht an“ für Leser/innen ab 14 Jahren empfehle, so weiß ich doch, dass das Buch deutlich Jüngere lesen werden.

Dennoch, auch der neue Band ist einfach nur spannend, man legt ihn irgendwann nicht mehr aus der Hand, um den Ausgang der Geschichte zu erfahren. Und wer will, kann nebenbei zu interpretieren beginnen und in den Roman einiges an Medien- und Gesellschaftskritik hineinlesen. Die Menschen, die im Kapitol leben, sind jedenfalls übersättigt und dekadent, leben auf Kosten der Armen und Arbeitenden in den anderen Distrikten. Das Buch skizziert somit eine auf die Spitze getriebene gesellschaftliche Situation, wie wir sie aus unserer Welt kennen – sei es innerhalb von Ländern, aber auch global gesehen. Ob Jugendliche allerdings wirklich so weit zwischen den Zeilen lesen? Ich wage es eher zu bezweifeln, weil einer solchen Lesart der Plot mit seiner grenzenlosen Spannung fast zu brachial entgegensteht.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Der neue Band liefert genau das, was sich wohl alle Fans von einem neuen Tribute-von-Panem-Buch erwartet haben: bekannte Figuren, eine interessante Vorgeschichte zur Trilogie, in der wesentliche Figuren der später spielenden Bücher auftauchen und deren Lebensgeschichte vervollständigt wird. Mit Haymitch wurde für das Buch die bestpassende Hauptfigur gefunden, weil darin erklärt wird, warum Haymitch als Mentor von Katniss sein Leben im Suff verbringt. Was er durchgemacht hat, möchte man niemandem wünschen – das weiß nun genau, wer „Der Tag bricht an“ gelesen hat.

Der neue Roman von Suzanne Collins ist so packend, dass man Katniss und Peeta, anders als ich es erwartet habe, letztendlich nicht vermisst. Es gibt in „Der Tag bricht an“ neue Figuren, mit denen man mitfiebert und mitleidet – und so manche Figur, die man zu Beginn nicht unbedingt sympathisch findet, erobert bei Lesenden doch noch die Sympathien. Suzanne Collins hat da alles sehr gut austariert. Klar, man kann das neue Prequel auch ohne Kenntnis der Trilogie lesen; aber man verschenkt damit doch einiges an Lesegenuss – der Reiz, in die groteske Welt von Panem mit ihren schillernden Figuren einzutauchen, bleibt dann deutlich oberflächlicher.

Bleibt abzuwarten, ob weitere Bücher folgen werden. Dass Haymitch die neue Hauptfigur im neuen Band werden würde, hatte seine Sachlogik. Wer in einem neuen Band folgen könnte? Ich weiß es nicht. Aber es ist ja auch nicht gesagt, dass Suzanne Collins „Tribute von Panem“ fortführen wird. Vorstellen kann ich es mir allerdings … Und ich wäre ganz bestimmt nicht der Einzige, der das Buch lesen würde.

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(Ulf Cronenberg, 02.05.2025)


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