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Buchbesprechung: Hilde Myklebust „Auch am Tag leuchten die Sterne“

Cover: Hilde Myklebust „Auch am Tag leuchten die Sterne“Lesealter 14+(Carlsen-Verlag 2025, 255 Seiten)

Allzu viele Jugendbücher aus Norwegen bekommt man auf Deutsch nicht zu lesen; es dürfte nur eine Handvoll sein, die ich in den letzten 20 Jahren in den Händen gehalten habe (das letzte norwegische Buch, das ich vor fast 5 Jahren besprochen habe, war „Sommer ist trotzdem“ von Espen Dekko). Die Norwegerin Hilde Myklebust hat schon Bücher für Kinder geschrieben – vor allem Bilderbücher und Lyrikbände. Mit „Auch am Tag leuchten die Sterne“ hat sie nun aber ihr Jugendroman-Debüt vorgelegt; und vorweg sei gesagt, dass dahinter eine traurige Geschichte steht.

Inhalt:

Sie sind eine feste Clique, die fast alles gemeinsam macht: Mia und Else, Halvor, Jens und Are. Allerdings haben Mia und Else beschlossen, dass sie im nächsten Schuljahr auf das Musikgymnasium in Batteberg wechseln wollen, wofür sie auch eine Wohnung in dem Ort benötigen und somit unter der Woche weg sind. Vorher verbringen die fünf jedoch noch die Sommerferien zusammen. Are ist schon länger in Mia verliebt, doch Mia ist sich nicht so ganz sicher, ob sie mit ihm eine Beziehung haben möchte, lässt sich aber beim Zelten dann doch auf ihn ein.

Die ersten Tage in Bratteberg sind für Else und Mia aufregend, in vielerlei Hinsicht. Wie es mit Mia und Are weitergeht, ist jedoch nicht klar. Eher durch Zufall entdeckt Mia eines Tages bei Are einen Knubbel über dem Knie und drängt ihn, zum Arzt zu gehen. Dort erfährt Are nach mehreren Untersuchungen, dass es sich um Krebs handelt, der sich – wie sich kurze Zeit später herausstellt – auch schon an anderen Stellen im Körper festgesetzt hat. Für Are beginnt eine schlimme Zeit, zumal die Chemotherapie nicht anschlägt.

Mia belastet die Situation stark: Sie leidet mit Are und macht sich große Sorgen, zugleich fühlt sie sich an der neuen Schule sehr wohl und möchte das Leben dort genießen. Ihre Zerrissenheit wird verschlimmert, weil sie in Bratteberg Adil kennengelernt hat, zu dem sie sich vom ersten Moment an hingezogen fühlt. Sie will Are – gerade in seiner schwierigen Situation – nicht wehtun, aber zugleich bekommt sie jedes Mal, wenn sie Adil sieht, weiche Knie.

Bewertung:

Fast 100 Seiten wirkt „Auch am Tag leuchten die Sterne“ (Übersetzung: Meike Blatzheim; norwegischer Originaltitel: „Splintra“) wie ein typischer Jugendroman, in dem es um das Abnabeln von zu Hause und ums erste Verliebtsein mit Komplikationen geht. Doch dann nimmt die Geschichte eine tragische Wendung, als Mia bei Are den Knubbel über dem Knie entdeckt, der sich als aggressiver, bösartiger Tumor herausstellt. Das Thema Krebs wird übrigens einige Seiten vorher – aber da überliest man das – auf harmlose Weise angedeutet, als Mia und Are an einem Meeresfelsen einen großen Krebs entdecken und Are meint, dass es auch eine Krankheit mit dem Namen gebe.

Hilde Myklebust gelingt es ziemlich gut, die Zerrissenheit ihrer Ich-Erzählerin Mia darzustellen, die sich nach der Krebsdiagnose bei Are auf verschiedenen Ebenen zeigt. Mia ist in ihren Gefühlen Are gegenüber sowieso ambivalent, was noch mal verstärkt wird, als sie Adil begegnet, dem sie sich nicht entziehen kann. Zerrissen ist Mia außerdem, weil sie es am neuen Musikgymnasium so gut hat, das Leben am neuen Ort genießen will, sich das aber beim Gedanken an Are kaum zugestehen kann – und das, obwohl Are damit einigermaßen locker umgeht und Mia durchaus ermuntert, wegen ihm nicht alles stehen und liegen zu lassen.

Als Leser/in kommt man Mia sehr nah, und es gibt immer wieder Stellen in dem Buch, wo Mias Gefühlswelt mit recht passgenauen sprachlichen Bildern sehr treffend und anschaulich beschrieben wird:

„Beim Gedanken an Adil flattert mein Herz. Nicht etwa hell und leicht wie ein dahinschwebender Schmetterling. Nein. Eher wie eine Motte, die ins Licht geflogen ist und sich in den Spinnweben unter der Lampe verfangen hat. Dort hängt sie und flattert vergeblich mit den Flügeln. Keine Chance, freizukommen.“ (S. 228)

Das ist einfühlsam und gekonnt erzählt, zugleich geht Hilde Myklebust behutsam und spärlich mit solchen Bildern um, übertreibt es nicht. Dass der Roman im Präsens geschrieben ist – was durchaus in manchen Büchern etwas artifiziell klingt – stört in „Auch am Tag leuchten die Sterne“ nicht und ist mir erst spät bewusst geworden. Allerdings bin ich in den ersten Kapiteln über einige Dialoge gestolpert, die etwas hölzern wirken – insbesondere zwischen Are und Mia. Wenn Are zu Mia sagt, sie sei „hot“, so klingt das im Deutschen unbeholfen. Aber vielleicht ist das einfach wörtlich übersetzt und die Verwendung des englischen Worts ist im Norwegischen in dem Zusammenhang üblich.

Was mir an „Auch am Tag leuchten die Sterne“ gefällt, ist, dass sowohl die Familien der Hauptfiguren als auch die Schule positiv und nicht wie in vielen anderen Büchern negativ dargestellt werden. Ares und Mias Eltern unterstützen ihre Kinder, sind für sie da, wenn es ihnen nicht gut geht. Und auch Mias Lehrer spürt, dass Mia belastet ist, fragt mehrmals bei ihr nach und zeigt Verständnis.

Geschont wird man im Großen und Ganzen, was Ares Leidensweg angeht – das ist auch nicht das Hauptthema des Buchs. Es ist am ehesten die Szene, als Mia Are ein letztes Mal im Krankenhaus besucht, die etwas heftiger ist, weil Are nur noch aus Haut und Knochen besteht und vollkommen geschwächt ist.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Auch am Tag leuchten die Sterne“ kommt vielleicht etwas langsam in Fahrt; das Hauptthema, wie ein Mädchen mit der Krebserkrankung eines engen Freundes umgeht, kommt erst spät ins Buch – aber dafür wirkt die Darstellung, wie Mia leidet, wie sie gebeutelt wird und überfordert ist, sehr authentisch. Hilde Myklebust lotet Mias Gefühlswelt sehr genau aus, und weil Are schon lange heftig in Mia verliebt ist, Mia sich aber zu Adil hingezogen fühlt, ist alles für Mia kompliziert.

Dass Krebs eine tückische Krankheit ist, die viele junge Menschen viel zu früh sterben lässt, macht das Buch deutlich. Auch wenn im Roman etwas anderes im Zentrum steht: Wie Are mit seiner tödlichen Erkrankung umgeht, ist bewundernswert. Die anfängliche Leugnung weicht nicht viel später der Erkenntnis, dass sein Leben bald zu Ende gehen wird. Dass Hilde Myklebust ihr Buch zwei Personen widmet, die um das Jahr 2000 mit 21 bzw. 23 Jahren gestorben sind, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Autorin aus ihren jungen Jahren Ähnliches kennt. Es würde mich nicht wundern, weil die Geschichte sehr einfühlsam und intensiv geschrieben ist.

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(Ulf Cronenberg, 17.04.2025)


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Kommentare (2)

  1. Hilde

    Vielen Dank für diese ausführliche und gute Buchbesprechung – ich habe mich sehr darüber gefreut.

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Sehr gerne … Und herzliche Grüße nach Norwegen!

      Antworten

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