(Hanser-Verlag 2024, 149 Seiten)
Zoran Drvenkars letztes Kinderbuch ist vor einem guten Jahr erschienen. „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ wurde von der Luchs-Jury mit dem Buch des Monats ausgezeichnet, und auch ich fand das Buch grandios. Grund genug, um nun auch „Frankie und wie er die Welt sieht“, Zoran Drvenkars neues Kinderbuch, zu lesen, obwohl mich das Cover nicht so ganz angesprochen hat. Turbulent, von daher passt das Cover aber ja, geht es in dem Buch zu – das sei schon mal verraten.
Inhalt:
Frankie ist zehn Jahre alt, hat einen besten Freund namens Lars, und sein Leben ist nicht mehr das, was es vor einigen Monaten noch war. Das liegt vor allem daran, dass sein Vater sich in Natalie verliebt hat und deswegen in eine andere Stadt gezogen ist. Frankies Mutter leidet unter der Situation und ist manchmal nur ein Schatten ihrer selbst. Frankies 14-jährige Schwester Delia ist etwas gelassener.
Doch als Frankie eines Tages, nachdem er mit Delia in einem Café gesessen war und vier Milchshakes verdrückt hat, aufs Klo verschwunden und nicht mehr an den Tisch zurückgekehrt ist, macht auch Delia sich Sorgen – zumal sie das Fenster in der Männertoilette geöffnet vorfindet. Es ist nicht das erste Mal, dass Frankie weg ist, aber Delia glaubt, dass da mehr dahinter steckt; und es dauert etwas, bis sie auch ihre Mutter davon überzeugt, dass es diesmal ernst ist.
Später erfahren sie, weil Frankie anruft, dass er sich nach Köln durchgeschlagen hat. Sein Ziel: Den Vater, der in Köln lebt, zu besuchen und zur Familie zurückzuholen. Doch sein Vater ist, wie er mitbekommt, gerade im Urlaub: mit Natalie in Venedig. Einige Stunden später bekommen Frankies Mutter und Delia einen weiteren Anruf von Frankie. Auf die Frage, wo er gerade sei, antwortet er noch „Wörgl“, dann ist die Verbindung unterbrochen. Nach einer Landkarten-Recherche steht fest: Frankie sitzt im Zug nach Venedig …
Bewertung:
Man stolpert als Leser/in in die Geschichte rein, und es dauert nicht lange, da ist man mittendrin: in Leben von Frankie, das in den letzten Monaten auf den Kopf gestellt wurde. Unterkriegen will Frankie sich davon aber nicht lassen. Sein Vater ist ausgezogen, hat eine neue Liebe in Köln, die Mutter ist traurig und kommt mit der Trennung nicht zurecht. Auch Frankie vermisst seinen Vater, er möchte, dass dieser zurückkommt, und er will vor allem, dass es seiner Mutter wieder besser geht.
Ähnliches gilt auch für Frankies Freund Lars. Dessen Eltern streiten ständig, der Vater macht sich dann aus dem Staub, irgendwann kehrt er reumütig zurück, doch die Streitereien können schon kurz darauf von neuem aufflackern. Als Lars‘ Mutter einmal besonders genervt ist, rutscht ihr die Hand aus und Lars hat ein blaues Auge. Er will erst mal nicht zugeben, woher er es hat – aber Frankie lässt natürlich nicht locker, bis er die Wahrheit weiß.
Das Buch handelt also ganz bestimmt nicht von glücklichen Familien, schwer ist die Geschichte aber trotzdem nicht. Das liegt vor allem an zwei Dingen: zum einen am Protagonisten Frankie, der immer sein sonniges Gemüt zu behalten weiß, egal wie schwierig die Situation ist – Frankie steckt nie den Kopf in den Sand. Zum anderen ist das Buch mit viel Humor geschrieben.
Zoran Drvenkar erzählt die Geschichte personal in der Er-Form , aber irgendwie gelingt es ihm, dass einem Frankie trotzdem sehr nahe kommt. Es ist eine im positiven Sinn wilde Mischung aus Tempo und Innehalten, aus Nähe und immer wieder Distanz, die Zoran Drvenkars Erzählton ausmacht. Sie ist wirklich einzigartig, und überraschenderweise deutlich auch anders als in seinem letzten Kinderbuch. Der Kinderroman sprudelt außerdem nur so vor teils skurrilen Ideen. So hält Frankie zum Beispiel immer wieder markante Erkenntnisse in seinem Notizbuch fest, und da Frankie eindeutig Legastheniker ist, lesen sie sich dann so: „punkt 34: solange sich keina kümmert geschiet auch nichts auf dieser wält“. Lautgetreu ist das ja zumindest …
Auch geflunkert wird in dem Buch: Frankie kann sich zum Beispiel unsichtbar machen, und Lars, sein Freund, kann ihn unsichtbar begleiten – so sieht Frankie das zumindest. Außerdem gibt es einige besonders herzerwärmende Stellen im Buch: wenn die Zugbegleiterin ganz sanft wird, als Frankie von seiner Familiensituation erzählt. Und meine Lieblingsstelle ist vielleicht die, als Frankie und Lars nach Madagaskar (das natürlich für einen ganz anderen Ort steht) trampen wollen und sich mit einem Punker im VW Bus ein witziges Gespräch entspinnt: Er hält an, nimmt sie dann aber doch nicht mit.
Ja, die Figuren sind alle liebevoll gezeichnet, selbst sich ständig streitende Eltern bekommen irgendwie noch Sympathiepunkte. Am bewundernswertesten ist jedoch Frankie selbst: wie er Lars nicht von der Seite weicht, nachdem dieser von seiner Mutter im Affekt geschlagen wurde und das schon erwähnte blaue Veilchen davongetragen hat. „Frankie und wie er die Welt sieht“ ist auch ein Buch über eine wunderbare Jungen-Freundschaft.
Fazit:
5 von 5 Punkten. Zoran Drvenkars neues Kinderbuch kennt keine einzige Seite Langeweile; es hat mir von der ersten Seite an gefallen und mich bis zum Ende gefesselt. Das passiert mir, ehrlich gesagt, bei Kinderbüchern nicht so oft. Doch hier stimmt einfach alles. Zoran Drvenkar hat ein temporeiches und rasantes Buch geschrieben, das voller Finten steckt, in dem sich die Geschehnisse überschlagen, das trotzdem auch eine Nachdenklichkeit auszeichnet, weil es zugleich um schwierige Themen geht. All das ergibt eine umwerfende Mischung, zu der auch wunderbar die kleinen Kapitelanfangsvignetten von Sabine Wilharm passen.
Man könnte in einer Buchbesprechung noch so viel über das Buch schreiben; aber letztendlich kann ich selbst Erwachsenen (und Kindern im passenden Alter ab 10 Jahren sowieso) nur wärmstens ans Herz legen, dieses Buch zu lesen und dessen glitzerndes Feuerwerk an Ideen selbst zu entdecken. Man kommt einfach nicht umhin, Frankie selbst und seine Geschehnisse zu mögen: wie er sich durchs Leben schlägt, sich für andere einsetzt, nicht lockerlässt, und dabei trotzdem stets bescheiden und sympathisch bleibt. Mit „Himmelwärts“ von Karen Köhler ist das mein Kinderbuch des Jahres. Eindeutig.
(Ulf Cronenberg, 17.11.2024)
Lektüretipp für Lehrer!
Ein Buch wie gemacht als Schullektüre für die 5. Klasse, das durchaus mit meinem Fünftklass-Allzeit-Favoriten „Die Kurzhosengang“ (das Zoran Drvenkar ja mit Andreas Steinhöfel geschrieben hat) mithalten kann. Die Buchbesprechung spricht eigentlich für sich, dem muss man hier nichts weiter hinzufügen. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass das Buch von vielen Schüler/innen geliebt werden wird.