(Peter-Hammer-Verlag 2024, 201 Seiten)
Ein cooles Cover, das auffällt, ziert das Buch ja schon – weil es mit derzeit vorherrschenden Gewohnheiten bricht: ein Junge mit großer schwarzer Haarmähne, leicht stechendem Blick auf den Betrachter, mit Strichen toll gezeichnet. Das Handy als rote Karte knallt noch so richtig vor dem blauen Hintergrund. Dass die Beschreibung der Hauptfigur im Buch nicht so ganz zu dem Cover-Jungen passt, sei verziehen. Das Cover hat eher Symbolcharakter, den man aber erst so ganz versteht, wenn man weiß, worum es in dem Buch geht: Die rote Karte gilt dem Rechtsradikalismus.
Inhalt:
Finn und Lennard sind beste Freunde. Ihr Hobby ist es, witzige Filmchen zu drehen und sie auf der Plattform SoMe zu veröffentlichen. Und wie wohl alle Jungen, die so was machen, träumen sie davon, dass sie nach und nach immer berühmter werden. Als Sam, eine Schülerin mit Eltern aus Angola, die in der Jahrgangsstufe über ihnen ist, ihnen das Angebot macht, dass sie ja gegenseitig für ihre Filme Werbung machen könnten, sind Finn und Lennard mit dabei.
Als Finn kurz darauf die Kommentare auf Sams Kanal sieht, ist er doch etwas geschockt. Offen werden hier ausländerfeindliche und rassistische Kommentare gepostet, und Finn fängt irgendwann an, darauf zu antworten. Doch das führt nicht dazu, dass diese Kommentare weniger werden. Im Gegenteil: Die Folge ist, dass auf einmal unter seinen Videos auch Hassnachrichten stehen. Lennard gefällt das nicht, und er distanziert sich deswegen etwas von Finn.
Finns Vater ist Lehrer an der gleichen Schule, und schon seit einiger Zeit macht er die Schulleitung und das Kollegium auf rechtsradikale Umtriebe an der Schule aufmerksam. Doch er findet nur wenig Gehör. Allerdings bekommen andere Schüler das mit, und es dauert nicht lange, da wird Finn wegen seines Vaters und der Kommentare auf dem Pausenhof von einem Mittschüler und dessen Kumpels beleidigt und bedroht. Und das ist erst der Anfang von etwas, das immer heftiger wird …
Bewertung:
„Egal war gestern“ hat ein aktuelles Thema, denn der Rassismus in Deutschland nimmt leider nicht ab, sondern er nimmt gerade zu. Es gibt Bevölkerungskreise, da gehört ein teilweise getarnter, teilweise offen ausgesprochener Rassismus fast zum guten Ton. Jörg Isermeyer beschreibt, wie Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zunehmend in Finns Blickfeld geraten, obwohl er bis dahin behütet aufgewachsen ist und mit dem Thema nichts zu tun hatte. Es ist eher ein Zufall, durch den Finn darauf gestoßen wird: Nach der Vereinbarung mit Sam, die aus Afrika stammt, gegenseitig die SoMe-Profile zu pushen, bekommt er mit, was diese alles an üblen Kommentaren für ihre Posts einstecken muss. Sams Strategie, das einfach an sich abprallen zu lassen, kann Finn nicht so recht verstehen.
Aber auch auf einer anderen Ebene wird Finn da reingezogen: Sein Vater kämpft in der Schule als Lehrer gegen den zunehmenden Rechtsradikalismus – doch er wird größtenteils ignoriert. Weder die Schulleitung noch die meisten seiner Kolleg/inn/en unterstützen ihn, wiegeln stattdessen ab: Das seien doch nur Jugendsünden, heißt es bagatellisierend. Und sowohl Finns Unterstützung für Sam als auch das Engagement seines Vaters führen dazu, dass Finn selbst von rechtsradikalen Schülern ins Visier genommen wird.
Sehr genau wird hier beschrieben, wie aus den ersten kleinen Kommentaren im Netz erste Gewaltandrohungen und schließlich auch Aktionen gegen die Familie werden. Und sowohl Finn als auch sein Vater bekommen mit, wie hilflos sie angesichts all dieser Dinge sind, zumal die Polizei Geschehnisse wie Schmierereien an der Hauswand nicht wirklich ernst nimmt und sie als leere Drohungen ansieht. Für Finn und seine Familie wird alles immer schlimmer, sie fühlen sich irgendwann nicht mehr sicher.
Was Jörg Isermeyers Buch sehr genau nachzeichnet, ist die Entwicklung von Finn. Er ist anfangs ein unbedarfter Junge, der bisher dato nichts mit Rechtsradikalismus und Rassismus zu tun hatte, ja, irgendwie bisher nicht mal so richtig einen Standpunkt dazu hatte. Und dann passieren mehrere Dinge, die ihn Stück für Stück auf das Thema stoßen und ihn zwingen, einen Standpunkt einzunehmen. Die beleidigenden Videokommentare ihm gegenüber sind noch vergleichsweise harmlos, aber wenn dann junge Männer mit Bomberjacken ihm auf dem Rad in ihrem Auto folgen, durch das heruntergelassene Fenster mehr oder weniger direkt Drohungen aussprechen, kann man sich vorstellen, wie beängstigend das ist.
Dargestellt wird auch, wie diese ganzen Drohungen und Bedrohungen in das Leben von Finns Familie eindringen und es beeinträchtigen. Lange will der Vater den Sohn schützen, der Sohn den Vater – so erzählen sie sich gegenseitig viel von dem, was sie beide mitmachen, nicht. Erst als die Bedrohungen zunehmend offensichtlich werden (z. B. mit den Schmierereien an der Hauswand), wird ihr wechselseitiges Schweigen gebrochen, und das ermöglicht, dass die Familie sich besser unterstützen kann.
Und wie endet so ein Buch? Zwanzig Seiten vor dem Ende kam ein Moment, wo ich schon befürchtete, es könnte ein Happy End geben. Das wäre dem Thema gegenüber nun wirklich nicht angemessen gewesen. Doch Jörg Isermeyer bekommt hier die Kurve. Es geht nicht alles gut aus, und trotzdem gibt es angedeutete Hoffnungsschimmer, so dass man als Leser/in nicht nur desillusioniert zurückgelassen wird.
Fazit:
4 von 5 Punkten. „Egal war gestern“ stellt für jugendliche Leser/innen anschaulich dar, wie ein Junge ins Visier von Rechtsradikalen gerät; dass alles harmlos beginnt, sich dann immer weiter zuspitzt und bedrängender wird, macht deutlich, dass es jeden treffen könnte, der sich öffentlich positioniert. Das Buch erzählt all das ehrlich und realitätsnah: von den Figuren, die nebenan leben könnten, bis hin zu den Szenarien, die alle durchaus denkbar sind. Sie sind lediglich in ihrer Verdichtung für die Dramaturgie im Buch zugespitzt.
Ein wenig ist mir das Buch allerdings zu gradlinig geschrieben – die Geschichte wird rein chronologisch erzählt. Ein wenig mehr erzählerische Finesse hätte dem Buch, finde ich, gut getan, ihm noch etwas mehr literarische Kraft gegeben. Was ich hier ein wenig kritisiere, kann man durchaus aber auch als Stärke des Romans ansehen, denn Jörg Isermeyers Roman holt dadurch vielleicht manche Leser/innen gut ab und überfordert sie nicht. Das Buch ist schließlich für Leserinnen und Leser ab 12 Jahren geschrieben, und man kann es durchaus auch weniger leseerfahrenen Jugendlichen in die Hände legen.
(Ulf Cronenberg, 13.11.2020)
Lektüretipp für Lehrer!
Wer als Lehrer – sei es in Ethik oder Deutsch – für den Unterricht ein Buch sucht, mit dem man mit Schülerinnen und Schüler über die Themen Rechtsradikalismus und Rassismus diskutieren kann, für den ist „Egal war gestern“ durchaus zu empfehlen – am ehesten in einer 7. Klasse, würde ich sagen. Das Buch sensibilisiert vor allem auch sehr gut dafür, wie sich Rassismus und Rechtsradikalismus im Alltag zeigen können.