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Buchbesprechung: Lize Spit „Der ehrliche Finder“

Cover: Lize Spit „Der ehrliche Finder“Lesealter 16+(Fischer-Verlag 2024, 125 Seiten)

Dass „Der ehrliche Finder“ kein Jugendroman ist, sieht man eigentlich schon am Cover. Er wurde auch im Erwachsenenprogramm des Fischer-Verlags veröffentlicht. Lize Spit ist Belgierin und schreibt auf Niederländisch. Nachdem sie für eine Erzählung mit einem Nachwuchspreis ausgezeichnet worden war, erschien drei Jahre später ihr Debütroman „Und es schmilzt“, der hoch gelobt wurde, den ich aber nicht kenne. Aufmerksam bin ich auf „Der ehrliche Finder“ geworden, weil das Buch von zwei Jungen handelt und in einer Rezension durchaus als Buch für Jugendliche gehandelt wurde. Ein guter Grund, sich also mal wieder im Grenzbereich zwischen Erwachsenen- und Jugendliteratur umzuschauen …

Inhalt:

Tristan ist eines von acht Kindern einer kosovarischen Familie, die Ende der 1990er Jahre auf der Flucht nach Belgien Schlimmes mitgemacht hat. Doch nun wohnt die Familie in einem flämischen Dorf, sie hat dort ein Haus bekommen und wird auch von den Dorfbewohnern akzeptiert. Jimmy geht mit Tristan in die gleiche Klasse und als schlauer Schüler, der aber oft unter Langeweile leidet und dort keine Freunde hat, hat er den Auftrag bekommen, Tristan die niederländischer Sprache und anderes beizubringen.

Das nimmt Jimmy richtig ernst und kümmert sich extrem aufopferungsvoll um Tristan. Er überlegt sich ganze Programme, damit Tristan Fuß fassen kann, ist auch oft bei Tristan, dessen Eltern und zahlreichen Geschwistern; ja, er genießt das Familienleben dort. Jimmys Hobby ist es, Flippos zu sammeln – das sind Sammelsticker, die man in Chipstüten finden konnte (wer neugierig ist: hier kann man Beispiele von Flippos sehen). Für Tristan hat Jimmy im Geheimen einen zweiten Satz in einem Album gesammelt, den er ihm irgendwann überreichen will. Sozusagen als Zeichen, dass Tristan nun endgültig nach Belgien gehört …

Eines Tages lädt Tristan Jimmy das erste Mal zum Übernachten bei sich zu Hause ein – doch das hat leider einen ernsten Hintergrund: Die Familie von Tristan hat die Ausweisungsbestätigung bekommen und soll im Laufe einer Woche endgültig aus Belgien abgeschoben werden. Für Jimmy heißt das, dass er Tristan endlich seine zweite Flippos-Sammlung überreichen muss. Tristan und seine große Schwester haben jedoch eine Idee, wie sie die Ausweisung verhindern könnten. In den Plan wollen sie Jimmy, wenn er bei ihnen übernachtet, einweihen, und er spielt darin eine wichtige Rolle.

Bewertung:

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich auch, nachdem ich mich nun länger mit „Der ehrliche Finder“ (Übersetzung: Helga van Beuningen; niederländischer Originaltitel: „De eerlijke vinder“) beschäftigt habe, nicht so recht, wie mir der Roman gefallen hat. Für mich war das Buch eine zwiespältige Erfahrung.

Lize Spit erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Jimmy und Tristan sind auf eine seltsame Art aufeinander angewiesen, auf eine intensive, aber nicht immer gute Art miteinander verbunden – man könnte das „verstrickt“ nennen. Man spürt, dass Jimmy in Tristan nicht nur einen Freund sieht, sondern eine Lebensaufgabe, der er sich völlig verschreibt. Andere Freunde scheint Jimmy nicht zu haben, und dieses Sich-aufopfern hinterlässt ein gewisses Unbehagen.

Tristan bleibt in dem Buch deutlich blasser. Man kann ihn als Leser/in nicht so richtig einschätzen. Nutzt er Jimmy aus? Oder ist er wirklich ein guter Freund – mit allem, was dazugehört? Im Laufe der Geschichte bekommt man da jedenfalls gewisse Zweifel – gerade wenn es um den Plan geht, den Tristan und seine Schwester Jetmira sich überlegt haben, um der Abschiebung zu entkommen.

„Der ehrliche Finder“ ist personal aus der Sicht von Jimmy erzählt. Dadurch bleibt man als Leser/in dem Geschehen gegenüber immer auch auf einer gewissen Distanz. Das passt aber durchaus gut zu der Geschichte, die wenig von den Gefühlen der Personen preisgibt – man muss sie sich indirekt aus dem Gesagtem und dem Verhalten erschließen.

Was mich an der Geschichte etwas gestört hat, war, dass sie sehr langsam an Fahrt zulegt. Das dünne Buch nimmt sich sehr viel Zeit, die Freundschaft zwischen Tristan und Jimmy einzuführen. Einen Reiz kann man dem nicht absprechen, aber Spannung auf der Handlungsebene kommt lange nicht auf. Man muss Passagen aushalten, in denen viel beschrieben wird, die Handlung eher langsam voranschreitet. Die Spannung baut sich später auf, weil zum einen das erstmalige Übernachten von Jimmy bei Tristans Familie ansteht, zum anderen wegen des Plans, den Tristan und Jetmira lange geheimhalten. Lange ahnt man nur, dass der Plan Unheil bringen könnte – insbesondere, als Jimmy sich erst mal einer Prüfung unterziehen muss, ob er als favorisierter Kandidat für den Plan überhaupt geeignet ist.

Die Erzählweise im Buch lakonisch zu nennen, ist sicher übertrieben. Aber sie ist sachte und behutsam, durchaus distanziert, und sie ist – das merkt man – auch sehr ausgefeilt. Stellen, die einen richtig staunen lassen, weil sie Stimmungen oder die Situation ungewöhnlich, aber treffend beschreiben, kommen immer wieder vor. Sie sind kleine sprachliche und erzählerische Höhepunkt in dem dünnen Band:

„Wenn Tristan Angst hatte, weil Düsenjäger über sie hinwegflogen oder Feuerwerkskörper knallten oder jemand schrie oder wenn er Uniformen sah, wurde er still, alles stockte, als bliebe in seinem Körper zu wenig von ihm übrig, um das Äußere zu steuern. Es konnte lange dauern, bis er wieder ganz präsent war, bis seine Bewegungen wieder in Fluss kamen.“ (S. 53f)

Was die erlebten Traumatisierungen von Tristan und seiner Familie angeht – das zeigt die Stelle –, so werden sie im Buch nur angedeutet, nie in Details geschildert. Jimmy und Tristan reden nie direkt darüber, was Tristan auf der Flucht erlebt hat. Die zitierte Stelle zeigt darüber hinaus, dass das Buch erwachsen reflektiert geschrieben ist – das sind nicht wirklich die Beobachtungen und Gedanken eines 12-Jährigen. Dieser reflektierte Stil funktioniert letztendlich auch nur in einer personalen Erzählperspektive, in der Ich-Form müsste ein 12-Jähriger alles ganz anders beschreiben.

Das Buch – und das ist vielleicht eines der Motive hinter der Geschichte – zeigt an einer 25 Jahre zurückliegenden Geschichte, wie es Flüchtlingen in einem mitteleuropäischen Land ergangen ist. Und damit greift der Roman natürlich ein aktuelles Thema auf, denn die Situation von Flüchtlingen hat sich sicher nicht gebessert.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Der ehrliche Finder“ ist kein typisches Jugendbuch – das ist an so vielem zu merken, vor allem aber an der Erzählweise. Sie ist bedächtig, und das ist etwas, was erfahrene erwachsene Leser/innen sicher eher mögen als die meisten Jugendlichen, denen das Buch zu wenig Spannung bieten dürfte. So gut das Buch das Erleben eines 12-Jährigen in manchen Bereichen einfängt – trotzdem wären Leser/innen im Alter von Jimmy und Tristan damit überfordert. Das liegt vor allem an der Distanz, mit der die Geschichte erzählt wird – sie erfordert reifere Leser/innen. Ich wäre der Hauptfigur Jimmy außerdem gerne noch etwas näher gekommen.

Lize Spit hat für das Buch bereits viele positive Kritiken bekommen; in manchem kann ich die Begeisterung nachvollziehen, in Teilbereichen aber auch nicht. Bin ich zu sehr an Jugendbücher gewöhnt, so dass ich Lize Spits Bedächtigkeit im Erzählen und die Distanziertheit den Figuren gegenüber als gewöhnungsbedürftig ansehe? „Der ehrliche Finder“ ist trotzdem ein Buch, das mich über das Lesen hinaus lange beschäftigt hat, das ich gemocht habe. Aber ich würde es nur reifen und leseerfahrenen Jugendlichen ab 15 oder 16 Jahren empfehlen – oder eben Erwachsenen.

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(Ulf Cronenberg, 02.06.2024) ></p>
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