(Baobab-Verlag 2024, 171 Seiten)
Ein ganzes Leben in einer Graphic Novel festzuhalten (in diesem Fall in vier Bänden), ist ein ehrgeiziges Projekt. Ihm haben sich Pei-yun Yu (Text) und Jian-xin Zhou (Illustration) aus Taiwan verschrieben, und nun liegt Band 3 vor, in dem das Leben des bekannten taiwanesischen Menschenrechtlers Kun-lin nach einer weiteren Wendung beschrieben wird. Taiwan? Ja, für uns ist das eine ganz andere Welt, zudem eine, die schon länger angesichts der immer massiver werdenden Gebietsansprüche, die China erhebt, bedroht ist.
Kun-lin ist nach zehn schwierigen Jahren auf der Gefangeneninsel (siehe Band 2) endlich freigekommen; für ihn herrscht das Gefühl vor, dass er viel versäumt hat und dass er in seinem Leben so einiges nachholen muss. So stürzt er sich voller Elan in sein neues Leben, sucht Arbeit, begegnet vielen Menschen von früher, darunter Kimiko, der Tochter seines Lehrers von früher. Die beiden verlieben sich.
Auch wenn Kun-lins Traum weiterhin ist, als Lehrer zu arbeiten, so muss er zunächst mal schnell eine Arbeit finden; er wird schließlich in einem Verlag als Übersetzer aus dem Japanischen und für andere Dinge eingestellt. Doch die Anstellung bleibt nicht lange bestehen; er wird entlassen, als der Chefredakteur verhaftet wird. Dem Geschäftsführer ist es zu heikel, Kun-lin, der vorbestraft ist, zu behalten – nach wie vor geht das Regime Chiang Kai-sheks gegen viele Menschen vor, die angeblich staatsfeindlich sind. Immerhin findet Kun-lin kurz darauf in einem Comic-Verlag erneut Arbeit. Als er sich für das Lehramtsstudium bewirbt, erleidet er jedoch einen herben Rückschlag – wegen seiner Gefangenenzeit, die er offengelegt hat, wird ihm das Studium letztendlich verwehrt.
Es geht ziemlich rasant weiter in Kun-lins Leben: Er heiratet irgendwann Kimiko; nach einer Zwischenstation in einer Werbeagentur gründet er einen eigenen Verlag und stellte viele Comiczeichner ein, die er von früher kennt. Sein großes Herzensprojekt, das er schließlich mit aller Macht verfolgt, ist es, in einer anspruchsvollen Kinderzeitschrift Wissen und Bildung zu vermitteln … Und das läuft auch lange gut.
Was man als Leser/in bald merkt, ist, dass Kun-lin ein Getriebener ist. Ständig hat er neue Ideen, und er scheut sich nicht, dabei auch Risiken einzugehen. Dass da nicht alles glattgeht, sei verraten … Es ist das Hauptthema von Band 3: dass Kun-lin sich die zehn verlorenen Gefängnisjahre wieder zurückholen will, indem er sich in die Arbeit (und nebenher später sogar in ein Studium) stürzt.
Band 3 „Ein neues Leben“ setzt sich in seiner Farbgestaltung deutlich von den Vorgängerbänden ab. Die Grundfarben sind diesmal ein helles Ockergelb (oft auf den Seiten auch als Hintergrundfarbe in Verwendung) und ein sehr dunkles Grau, fast schwarz, das im Druck mit leichtem Stich ins Lila wiedergegeben wird (die hier wiedergegebenen Buchseiten zeigen eher ein bräunliches Schwarz). Sehr ungewöhnlich. So ganz trifft das nicht meinen Geschmack – aber es sind vielleicht auch andere ästhetische Gewohnheiten, die man in Taiwan im Vergleich zu Mitteleuropa hat. Auch darüber hinaus gibt es bei der Gestaltung der Illustrationen Veränderungen zu den anderen Bänden. Sie wirken weniger detailliert: Das gilt vor allem für die Gesichter, die mehr Weißflächen haben, meist ganz ohne Schattierungen auskommen. In den Vorgängerbänden war das oft anders.
Was außerdem auffällt, ist, dass viele Flächen (zum Beispiel der Himmel oder Wände von Gebäuden) gerastert sind, um sie etwas dunkler als die Ocker-Grundfarbe zu machen. Das sieht fast etwas lieblos aus und kennt man von den anderen Bänden nicht. Dort waren größere Flächen immer mit unterschiedlichen Strichen und Punkten schraffiert. Man könnte vermuten, dass das Zeichnen der Comics von Handzeichnungen auf digital umgestellt wurde; aber es würde mich wundern, wenn nicht schon die ersten beiden Bände am Computer entstanden sind. Ich finde jedenfalls, dass die gerasterten Flächen nicht wirklich reizvoll aussehen – da waren Band 1 und Band 2 deutlich ansprechender. (Vergleicht gerne über die Links die Seitenabbildungen der verschiedenen Bände miteinander.)
Die Kritikpunkte ändern jedoch nichts daran, dass auch in Band 3 „Ein neues Leben“ (Übersetzung: Johannes Fiederling) eine eindrückliche Lebensgeschichte nachgezeichnet und erzählt wird. Kun-lin ist weiterhin eine sympathische Figur, deren Elan und positives Energie man bewundern muss, auch wenn Kun-lin sich ein Stück zu selbstaufopferungsvoll verhält und seine ambitionierten Vorhaben deswegen immer wieder scheitern. Dass Kun-lin nach zehn Jahren auf der Gefängnisinsel überhaupt wieder so auf die Beine kommt, ist allein schon beachtlich.
Fazit:
4 von 5 Punkten. Die Lebensgeschichte Kun-lins in Band 3 ist etwas fahriger als in Band 1 und 2erzählt, was aber auch daran liegt, dass Kun-lins Leben in diesem Abschnitt ein ständiges Hin und Her, Auf und Ab ist. Das ist allerdings auch verständlich, wenn ein neugieriger, wissbegieriger und tatkräftiger Mensch sich nach zehn Jahren in Gefangenenlagern das Leben zurückholen will. Warum ich von „Ein langes Leben“ nicht ganz so begeistert wie von den Vorgängerbänden bin, liegt außerdem an der zeichnerischen Umsetzung. Band 3 wirkt, wie oben genauer beschrieben ist, etwas liebloser, weniger engagiert gezeichnet. Dass diese zehn Jahre besonders herausfordernd in einer Graphic Novel nachzuerzählen sind, kann ich mir allerdings gut vorstellen.
Dennoch bleibt: Die taiwanesische Graphic Novel des Duos Pei-yun Yu und Jian-xin Zhou mit ihren anderen Erzähl- und Illustrationsgewohnheiten hat ihren ganz eigenen Reiz hat, dem man sich auch in Band 3 nicht entziehen kann. Ich bin sehr gespannt, wie die vierbändigen Reihe abgeschlossen wird – denn am Ende des vorliegenden Lebensabschnitts ist vieles noch gar nicht in guten Bahnen.
(Ulf Cronenberg, 12.05.2024)
P. S.: Der Baobab-Verlag hat mir noch zurückgemeldet, dass der dunkle, leicht lilastichige Farbton in der Graphic Novel eine Reminiszenz an die Farbe „coffee violet“ darstellt, in der viele Comic-Magazine in Taiwan (darunter „Prinz“ von Kun-lins Verlag) gedruckt wurden. Die Rasterung von Farbflächen sei außerdem etwas, was man in vielen japanischen Comics finde.
Abdruck der Buchseiten mit freundlicher Genehmigung von Baobab Books – herzlichen Dank! Die Bild- und Text-Rechte liegen bei den Autor/inn/en und dem Verlag.
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Lieber Ulf
Dank dir bin ich auf diese Graphic Novel gestossen und ich bin dir sehr dankbar dafür. Mich haben alle drei Bände begeistert. Dass Band Nummer drei optisch anders daherkommt hat mich gar nicht gestört, im Gegenteil. Mir gefällt, dass zu jeder Lebensphase der Zeichnungsstil und die Farbgebung passen. Auch wenn der Erzählstil ein bisschen trocken, ja sogar hölzern daherkommt, hat mich jeder Band in seinen Bann gezogen. Es haben sich mir neue Welten und Horizonte geöffnet. Was soll Literatur mehr als das?
Nochmals herzlichen Dank für diesen Buchtipp und ich freue mich schon auf Bd. 4.
Lieber Manfred,
ich freue mich, dass der Tipp für dich passend war – in die andere Welt zu gucken, war für mich bei den Kun-lin-Bänden auch immer eine tolle Erfahrung. Dass vieles etwas nüchtern und hölzern daherkommt, kann ich gut nachvollziehen.
Viele Grüße, Ulf