(Rowohlt Rotfuchs 2024, 220 Seiten)
Manchmal rentiert es sich doch, sich vorab ein bisschen über Autor und/oder Buch zu informieren. Ich war lange davon ausgegangen, dass Filiz ein Männername ist; erst als das Buch gelesen war, habe ich mitbekommen, dass Filiz Penzkofer eine Frau ist. An der Leseerfahrung ändert das freilich nichts … Filiz Penzkofer ist laut Wikipedia eine deutsch-türkische Autorin, Journalistin und Theaterpädagogin. Ihre frühere Radio-Kolumne „Türkische Gerichte mit Geschichten“ im Bayerischen Rundfunk war bekannt, ist aber an mir vorbeigegangen – allerdings höre ich auch selten Radio.
Inhalt:
Sie wohnen gemeinsam in der Wohngemeinschaft „Betreutes Wohnen e. V. Hermannplatz“: Rabea, die voller Ängste vor allem möglichen steckt, sich kaum aus dem Haus traut; Queen Tiger, die sich extravagant kleidet und ihr Geld verdient, indem sie bei eBay-Kleinanzeigen Voodoo-Dienste anbietet; und schließlich Mohammed, meist nur Musti genannt, Flüchtling aus Syrien, der Deutsch lernt und sich Sorgen um seinen noch in Syrien lebenden Vater macht.
Die Situation in der WG läuft ordentlich aus dem Ruder, als die Vermieterin Frau Krause, die zwei Stockwerke höher wohnt, einmal mehr droht, der WG zu kündigen. Weil Arthur, ihr Mops, einen von Mustis Sneakers mit in ihre Wohnung geschleppt hat, will Musti ihn holen dort, und dabei findet er Frau Krause tot am Boden liegend. „Die alte Frau ist ins Gras gebissen!“, sagt er kurz darauf völlig geschockt zu seinen Mitbewohnerinnen und nimmt sie mit nach oben. Gemeinsam kommen sie zum Schluss, dass Frau Krause wohl überfallen wurde und nun tot ist. Die Polizei trauen sie sich jedoch nicht rufen – aus Angst, dass ihnen die Tat in den Schuhe geschoben wird.
Queen Tiger meint, dass sie Frau Krause auch mit einem Voodoo-Zauber wiederbeleben könne – dafür bräuchte sie Hühnerknochen und andere Utensilien … Doch dabei geht irgendwie alles schief. Als dann schließlich der vermeintliche Einbrecher zurückkommt, greift Queen Tiger zur Urne von Frau Krauses Mann und schlägt ihn damit k. o. Wieder liegt jemand am Boden, ob tot oder noch am Leben, da sind sie sich nicht sicher.
Bewertung:
„Alles im Grünen oder Wie ich die Kette der Beschissenheit durchbrach“ erzählt eine Geschichte, für die das Prädikat strange durchaus passt. Das, was passiert, ist mehr als absurd und ziemlich abgefahren. Ausgangspunkt dafür sind die drei Hauptfiguren. Was für eine Mischung: Queen Tiger, eine Jugendliche, die Voodoodienste anbietet und ständig mit Pelzmantel rumläuft; Rabea, eine Phobikerin, die in allem überängstlich ist – am liebsten würde sie sich nur noch verkriechen; schließlich Musti, ein Syrer mit langem Bart, von dem Reabea meint, dass ihn jeder gleich für einen Terroristen halten würde.
Doch das ist längst nicht alles. Da liegt die tote Vermieterin auf dem Boden, und anstatt die Polizei zu rufen, kriegen die drei Panik, überlegen, wie sie aus der Sache wieder rauskommen. Die letzte Hoffnung (die Leiche zu entsorgen, scheint wenig zielführend) sind Queen Tigers Wiedererweckungsversuche. An dieser Stelle des Romans wäre ich fast ausgestiegen, weil ich es nur seltsam fand, dass die drei nicht die Polizei rufen. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich so richtig verstanden und auch akzeptiert habe, dass Filiz Penzkofer da eine Klamaukgeschichte erzählt, die davon lebt, verrückt zu sein und die Wirklichkeit immer wieder auf den Kopf stellt. Nachdem das für mich klar war, bin ich mit dem Buch deutlich besser zurechtgekommen.
Erzählerin im Buch ist Rabea – eine logische Konsequenz, denn sie ist die Beobachterin unter den dreien, während Queen Tiger und Musti agieren und nicht stillhalten können. Rabea wird da in etwas reingezogen, das sie total überfordert – auf allen Ebenen. Vor allem die sprunghafte Queen Tiger mit ihren abstrusen Gedanken und Ritualen sind so völlig jenseits dessen, was Rabea aushält und wie sie selbst ist. Dass Rabea von all dem, was passiert, irgendwann profitiert, weil sie sich ihren Ängsten stellen muss und dazulernt, ist der Dreh in der Geschichte, die damit auch etwas von einem Entwicklungsroman hat.
Was „Alles im Grünen oder Wie ich die Kette der Beschissenheit durchbrach“ auszeichnet, ist der Sprachwitz, der immer wieder aufblitzt. Die genialste Idee im Buch ist, dass Musti, von seinem Lehrer ein Buch mit deutschen Redewendungen und Sprichwörtern bekommen hat, und die versucht er immer wieder anzubringen, vertauscht dabei aber regelmäßig Wörter. Das führt zu originellen Formulierungen. „Alles im Grünen“ aus dem Titel des Buchs ist dabei das geflügelte Wort, das er immer wieder verwendet – eine Vermischung aus „alles im Lot“ und „alles im grünen Bereich“. Über Mustis Redewendungen muss man nicht nur schmunzeln, sondern sie machen ihn zu einer sympathischen Figur.
Die Geschichte ist richtig absurd, sie lebt und atmet durch das Schelmenhafte und wird einem dadurch immer sympathischer, je weiter man kommt. Die Story wird getragen von vielen skurrilen Szenen, zum Beispiel das mehrfache Aufkreuzen der drei WG-Bewohner in der Notaufnahme, wo sie einer stirnrunzelnden Empfangsdame gegenüberstehen. Ganz nebenbei wird in dem Buch außerdem erzählt, wie drei Jugendliche zusammenwachsen, wie sie, die anfangs nichts miteinander anfangen können, sich unterstützen lernen.
Fazit:
4 von 5 Punkten. Es ist die richtige Haltung, die man für das Buch braucht, um es gut zu finden. Wer ernste Bücher mag und mit einer entsprechenden Brille Filiz Penzkofers Roman liest, der wird von den seltsamen Entwicklungen irritiert sein und das Buch zur Seite legen. Es ist ein ganz besonderer Humor, der das Buch trägt, hinter dem aber trotzdem etwas Ernstes steht. Denn alle drei Hauptfiguren – das wird einem im Laufe des Buchs klar – haben eine schwierige Vergangenheit, haben große Packen zu tragen, kennen die Beschissenheit, die sich wie eine Kette durch ihr bisheriges Leben zieht; und weil sie das irgendwann selbst erkennen, können sie sich aufeinander einlassen und nehmen sich vor, diese ihre Ketten zu durchtrennen.
Ich hatte es nicht leicht mit dem Buch, mir war die Story anfangs zu abstrus, als dass ich gleich reingefunden hätte. Doch irgendwann hat mich Filiz Penzkofers Roman dann doch gepackt. Wer mal was anderes lesen will, etwas, was man sonst im Bereich des Jugendbuchs nur selten findet, der ist bei „Alles im Grünen oder Wie ich die Kette der Beschissenheit durchbrach“ richtig. Am Ende legt man das Buch irgendwie doch beseelt aus der Hand und ist erstaunt, dass Musti auf einmal deutsche Redewendungen beherrscht: „Und das alles hier ist so hanebüchen, so Banane, so unterirdisch, so zum Mäusemelken, dass jeder Hund in der Pfanne verrückt wird.“
(Ulf Cronenberg, 16.03.2024)
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